Was ist das eigentlich, Stübbels?
Also die Leute wollen von mir ja das einfache Essen haben, aber raffiniert. Je einfacher, desto besser. Für Stübbels braucht man eigentlich nur eine gute Kartoffel. Ich sage mal den Namen: Afra. Das ist noch eine richtig mehligkochende Kartoffel, genau richtig für so einen Stampf. Ich koche die Afra in Wasser mit einem Schuss Olivenöl und dann wird sie ganz, ganz grob gestampft. Kein Muskat! Und dann braucht man guten Speck und Zwiebel. Anditschen mit gutem Fond … Ich sage es nochmal: Alle Abschnitte vom Gemüse sammeln, zum Schlachter gehen und sagen: Guten Tag, mein Name ist Hannelore, ich hätte gern ein Kilo Knochen. Dazu kaufst du dir einen Suppenbund, lässt das zwei Tage kochen, dann hast du Brühe für die ganze Familie. Die frierst du ein, in Würfeln, und wenn du Pasta kochst oder eine Pizza machst, hast du eine Basis! Für Stübbels brauche ich nur Speck, ich brauche Zwiebeln, ich brauche Kartoffeln, Sahne und Crème fraîche und Brühe. Wenn ich keine Brühe habe, muss ich Wasser nehmen, geht auch, schmeckt nicht ganz so gut. Und Eier. Die Eier werden verquirlt und in den Sud gegeben. Wenn sie an die Oberfläche steigen, sind sie fertig.
Wo kommt das Rezept denn her?
Stübbels ist ein Rezept von meiner Oma. Das hat meine Mutter übernommen. Und ich bin mit vier Brüdern groß geworden. Wir sind also zu fünft, mit Mutter und Vater sieben. Oma war auch oft mit im Haus. Das war damals, in den Sechziger-, Siebzigerjahren einfach gut zu machen. Es hat uns immer gut geschmeckt, weil dieses Sahnige dabei ist. Damals hat die Sahne noch ein bisschen anders geschmeckt. Es gab auch noch keine Crème fraîche. Aber es gab immer geilen Speck, gute Schalotten oder Zwiebeln und gute Kartoffeln. Die Kartoffeln standen immer in einer Kiste unten im Keller. Das Rezept habe ich von meiner Mutter übernommen. Wenn ich das koche, essen das sogar meine Brüder, das ist wichtig, denn meine Brüder essen sehr wenig von dem, was ich koche. Weil die wollen natürlich traditionell noch am liebsten die durchgebratene Leber von Mama haben, und auch ihre Königsberger Klopse muss sie machen, die sind riesengroß!
Fünf Brüder, welcher bist du denn?
Der Mittlere. Also Sandwich: Was oben nicht wollte und unten nicht konnte, das bin ich. Ich habe mich immer zu meiner Oma gerettet. Meine Oma hat zum Beispiel Birnen, Bohnen und Speck gemacht, mit der pürierten Birne. Und eben auch Stübbels.
Ein Freund von mir ist Metzger hier in Stade, seit hundertfünfundzwanzig Jahren, also der Laden, er ist nicht ganz so alt. Der hat auch Bentheimer Schwein, das ist fettmarmoriert, das hat grundsätzlich mehr Fett, aber eben auch einen ganz anderen Geschmack. Und von dem nehme ich den Speck, und das schmeckst du eben auch, dass das anderer Speck ist. Mit dem Gericht kannst du überall kommen, ich wünschte mir das mal als Amuse-Bouche in diesen dreizehn Sternerestaurants in Hamburg. Dass da einer kommt und Stübbels bringt. Aber das passiert ja nicht, weil sie es nicht wissen.
Wo kommt das Gericht her?
Aus dem Pommerschen. Meine Oma kommt aus Pommern, mein Opa und mein Vater sind pommerscher Abstammung. Nach dem Krieg haben sie hier oben im Landkreis Stade gelebt, und da haben sie es auch schon immer gegessen. Die haben auch gestovte Kartoffeln gegessen, haben richtig Brühe gekocht, das mache ich übrigens auch und wünsche mir, dass jeder seine eigene Brühe kocht. In die Brühe haben sie die Kartoffeln einfach reingedrückt, Butter dazu und dann Petersilie oder Schnittlauch. Dazu gebratene Eier in der Pfanne. Das kennen wir ja gar nicht mehr. Heute ist das den Leuten nicht fein genug. Aber brate mal sechs Eier in einer Pfanne, das ist schon eine Kunst. Und es sieht auch noch geil aus. Das stellst du auf den Tisch, machst die Stübbels, gestovte Kartoffeln und dazu grauen Burgunder von Johner. Da läuft mir direkt seitlich der Saft raus …
Aber brate mal sechs Eier in einer Pfanne, das ist schon eine Kunst!
So was verfeinert Bodenständiges, das ist schon dein Ding, oder?
Ja, ich versuche zum Beispiel auch Wild anders zu präsentieren. Das ist ja das gesündeste Fleisch, das wir bekommen können, und keiner geht da ran. Es gibt überall nur Wildbraten und Wildgulasch wie vor fünfundzwanzig Jahren. Ich hab dann mal einen Hotdog gemacht, Brötchen aufgeschnitten, leicht angeröstet, Preiselbeeren rein, ein bisschen Kresse, ein bisschen Crème fraîche, dann ein Rehfilet reingelegt, rosa gebraten, fünfzig Grad. Das haben die Leute mir aus den Händen gerissen. Wenn man es modern macht, muss es trotzdem einfach sein.
Wer sind denn die Leute, die dir das aus den Händen reißen, ein Restaurant hast du ja nicht?
Es gibt eine kleine Gruppe von Freunden, die mein Essen testen. Das sind Freunde, die kommen, essen und sagen, ja, das gefällt mir, oder nein, lass mal lieber. Das mache ich regelmäßig, verbunden mit ein bisschen Wein. Ich brauche das auch, weil ich ja sonst nicht weiß, ob das nicht verkehrt ist, ob die Kombinationen zu gewagt sind. Also ich bleibe schon bodenständig, aber natürlich probiere ich auch schickere Sachen, Hummersalat oder Spaghetti mit Calamaretti.
Machst du die Pasta selber?
Das ist ja sowieso das größte! Ich habe gerade ein italienisches Nudelbuch gemacht. Für den Teig musst du dir einfach eine Woche geben. Jeden Abend statt Tagesschau und Tagesthemen musst du Teig rollen und ausstechen. Und wenn es nichts ist, am nächsten Abend nochmal. Dann kannst du es nach einer Woche. Dann kannst du Tortellini, kannst Lasagne, kannst alles machen, musst nur den Teig haben. Das ist genau wie Brot backen.
Dazu reicht ja eine gute Tomatensauce …
Das ist aber auch nicht so einfach. Das kannst du auch nicht nur mit Zucker vollballern, damit es schmeckt. Dazu gehört auch eine gesunde Schärfe, das ist auch mein Spezialgebiet, daran habe ich Spaß.
Hast du denn zu Hause auch schon gekocht, als einer von fünf Brüdern?
Wir hatten früher einen Tisch in der Küche, an dem meine Mutter gestanden hat. Da konnte man unten so Waschbecken rausziehen, da hat man den Salat angemacht und so. Da bin ich immer drunter durchgeklettert und in der Ecke gesessen. Da habe ich natürlich den Teig beim Backen ausgeleckt, aber auch schon immer alles mit geschnitten und getan. Irgendwann, etwas später, musste ich unbedingt Lacroix Tomatensuppe probieren. Ich habe Bild am Sonntag verkauft, um mir das zu finanzieren. Aber ich musste unbedingt diese Tomatensuppe haben, weil die mir so gut geschmeckt hat. In der Schule habe ich den Werkunterricht rausgeschmissen und Kunsterziehung und stattdessen mit den Mädels gebacken. Also ich habe immer schon gern gekocht und gebrutzelt. Dann hatte ich auch früh schon keinen Bock mehr, irgendwo ins Steakhaus zu gehen, die wässrigen Bohnen dazu, der Salat zu kalt und der Wein auch nicht richtig. Da habe ich lieber selbst gekocht.
Stimmt es, dass du mal bei Eckart Witzigmann hospitiert hast?
Ja, dem habe ich auf meiner kleinen Schreibmaschine Briefe geschrieben. Geschrieben und wieder geschrieben. Dann hat er mich genommen, da war ich drei Tage. Dann bei Hans-Peter Wodarz eine Woche. Später Kochkurs bei Josef Viehhauser. Vom Zeik habe ich so viel gelernt. Ich habe immer bei Axel Henkel, der ja leider verstorben ist, gesessen und habe geguckt, geguckt, geguckt … Der hatte die ersten japanischen Teller in Hamburg! Und Königsberger Klopse hat der gemacht, da bist du verrückt geworden.
Aber auf die Idee, eine Ausbildung als Koch zu machen, bist du nicht gekommen?
Ich habe das zwei, drei Mal überlegt. Aber ich bin auch leidenschaftlicher Kaufmann. In der Schule war ich noch ein bisschen schlecht orientiert, hatte immer andere Sachen im Kopf. Und ich habe auch da schon so viel geschnackt … Dann habe ich erst Einzelhandelskaufmann gelernt und noch einen Versicherungskaufmann hinterher gemacht. In der Zeit habe ich auch fünf Jahre lang richtig Geld verdient, bei BMW. Ich habe Autos verkauft, jeden Tag in Anzug und Krawatte, 316er in Mintgrün, 316er in Pastell, 316er zum ersten Mal mit verstellbarem Außenspiegel … Später wurde ich Partner in einer Versicherungsagentur. Das ist sehr solide.
Du hast überhaupt keine Werbeverträge oder so was?
Nein, keine Werbung und auch kein Management. Das ist alles sehr reduziert. Ich könnte da nichts mit anfangen, wenn mir einer sagt, ich muss um vierzehn Uhr einen WMF-Shop eröffnen und morgen Nachmittag im Schwarzwald einen anderen? Nein, Freunde! Oder Pralinen oder so was? Ich brauche das nicht. Ich habe ja jetzt nach vierzig Jahren beim NDR aufgehört und habe mich so, wie es war, immer wohlgefühlt.
Der NDR hatte mir die Plattform gegeben, und die Ideen, der Titel der Sendung, die Rezepte, das kam von mir. Jetzt hatte ich mir gedacht, bevor ich noch andere Zeiten mitmache, wo jemand kommt und was an meiner Person verändern will, da höre ich lieber auf. Aber es war eine schöne Zeit als NDR-Koch. Ich habe ja auch nicht für andere Sender gearbeitet, nur zwei Jahre lang Kerners Köche mitgemacht, das war es dann eigentlich.
Wie bist du denn eigentlich Fernsehkoch geworden?
Also, es gab da einen NDR-Korrespondenten in Stade, Ludger Pooth, der hat aus der Region berichtet. Damals gab es ja noch kein anderes Radio als den NDR, und ich fand das immer geil. Dann habe ich gesagt, Lupo, können wir nicht mal Essen und Trinken im Radio machen? Da sagt er: Bist du nicht ganz dicht? Das machen die Landfrauen! Und ich sage, komm, lass uns Matjes machen, wenn Saison ist. Er hatte dann einen Kutterfahrer, mit dem hat er den O-Ton gemacht, und ich das Rezept gemacht, ganz einfach, Preiselbeeren, Sahne und so weiter. Und das Ding war geboren. Das ging dann in den Frühkurier auf NDR 2, und mittags und abends. Dann gab es den Club am Freitag, auch auf NDR 2. Da habe ich fünf Jahre lang jeden Freitagabend gekocht. Mit Geräuschen, alles mitgeschleppt, gemacht und getan. Was heute der Henssler macht, schnelles Ding? Das hatten wir damals schon, drei Minuten, fertig!
Das war alles im Radio?
Das war alles im Radio. Dann bin ich mit den ganzen Radiogeschichten zum NDR gegangen. Der Redakteur, der nannte sich Kulturredakteur und saß da mit Cordhose und Hosenträgern. Und ich habe gesagt, hier, das hätte ich Lust im Fernsehen zu machen, ein paar modernisierte Klassiker. Sechs Wochen später hat er angerufen und wir haben Fernsehen gemacht. Dann ist direkt der Lauf gekommen, zack, zack! Es kamen viele Anfragen, damals ja noch per Brief. Ich habe mir alles selbst beigebracht, hab im Mamma Mia, einem Italiener in Ottensen gesessen und zugesehen, da habe ich viel gelernt, nicht nur aus Kochbüchern. Wenn ich durch den Garten gehe oder über den Markt, habe ich immer alle Ideen notiert, nachts am Bett hatte ich einen Zettel. Und in der kleinen Küche alles zusammengeschüttet, probiert, neu gemacht. Und die Leute haben gesagt, danke, das ist mal was ganz anderes.
Sechs Wochen später hat er angerufen und wir haben Fernsehen gemacht. Dann ist direkt der Lauf gekommen, zack, zack!
Irgendwann klingelt das Telefon, hier ist Kerners Talkshow, wir möchten Sie einladen.
Das war ja schon stilprägend damals.
War es! Das habe ich eine ganze Zeit lang gemacht, aber nachher bin ich abgehauen, weil es immer mehr Sterneköche gab, immer noch ein Stern, noch ein Stern, immer den gedrehten Spiegel von Valrhona-Schokolade an Mandelschaum und so was. Und dann kam ich mit Senfeiern! Aber heute machen sie selbst Senfeier …
Na ja, wenn die Eier gut sind …
Unser Ei darf ja nichts kosten … Eigentlich müsste ein Ei fünfzig Cent kosten. Ich kaufe freilaufend und will wissen, wie die Hühner heißen. Das kann eigentlich jeder machen. Aber so ist unsere Kultur, wir trauen uns ein neues Auto zu kaufen, aber die Bauern stöhnen, weil die Leute das teure Fleisch nicht kaufen, das auf der Wiese Karl-Heinz heißt.
Deshalb machen ja die Schlachter zu …
In Stade haben wir noch einen. Für fünfzigtausend Einwohner. Früher hatten wir siebenundzwanzig. Mit Essen und Trinken in Deutschland, das ist schon schwierig.
Es geht in der Tat viel kulinarische Kultur verloren.
Essen und trinken müssen die Leute, aber sie kochen immer weniger. Kaufen die teuersten Küchen, die teuersten Grills, alles schick, aber nie benutzt. Jeder kriegt einen Nachruf im Fernsehen, aber wenn ein Heinz Winkler stirbt, ein großer deutscher Koch? Kein Ton! Ich sag das immer wieder gern: Wir fördern wirklich alles, jeder Tänzer, jedes Operettenhaus kriegt Geld vom Staat, aber wenn es um Essen und Trinken geht, kann man nicht den Mehrwertsteuersatz bei sieben Prozent lassen. Das ist mir unbegreiflich.
Stübbels mit Kartoffeln
Für 4 Personen
- 1 kg Kartoffeln
- Salz
- 3 mittelgroße Schalotten
- 3 Stangen Frühlingszwiebeln
- 150 g durchwachsener Speck
- Butterschmalz
- 250 ml Sahne
- 500 ml Milch
- 1 EL Butter
- 1 EL Mehl
- 8 Eier
- 1 EL schwarze Pfefferkörner
- 1 EL Piment
- 1 Bund Schnittlauch
- Kartoffeln schälen und in Salzwasser kochen. Schalotten schälen und die Frühlingszwiebeln säubern. Beides in kleine Würfel und Ringe schneiden. Den Speck in feine Streifen schneiden.
- Butterschmalz in einem Topf erhitzen und die vorbereiteten Zutaten anschwitzen. Sahne und die Milch angießen. Alles bei kleiner Hitze etwa 10 Minuten köcheln lassen, bis sich die Speck- und Zwiebelaromen auf die Flüssigkeit übertragen haben. Zimmerwarme Butter mit Mehl verkneten. Die Mehlbutter nach und nach in die Flüssigkeit rühren, bis sie schön sämig ist. Nun die Eier aufschlagen, in eine Schüssel geben und mit einem Schneebesen gründlich verquirlen. Man kann auch nur das Eigelb verwenden oder 2-3 ganze Eier mit dem Eigelb der restlichen Eier vermengen. Die Eiermasse wird dann beim Garen etwas fester.
- Die Masse mit gemörsertem Pfeffer und Piment würzen. Etwas Pfeffermischung für das Anrichten beiseitestellen. Die Eier nur wenig salzen, da der Speck im Sud ebenfalls eine salzige Note hat.
- Die Eiermasse in den Sahne-Milch-Sud gleiten lassen und darin etwas verteilen. Die Eier stocken und bilden unterschiedlich große Klümpchen. Wenn sie an die Oberfläche steigen, sind sie fertig. Nochmals abschmecken, dann mit Salzkartoffeln auf Teller geben und alles großzügig mit Schnittlauchröllchen bestreuen. Zum Schluss mit einer Prise der vorbereiteten Pfeffermischung abrunden.
Aus Effilee #70 / 71 , Herbst, Winter 24 / 25