Ringring…ringring »Guten Morgen, Louis Mafille hier. Die Miesmuscheln, äh, es gibt da ein kleines Problem.« Am Morgen erzählt der Koch, er habe nirgends frische Miesmuscheln auftreiben können – die Woche zuvor gab es überall welche, aber jetzt nicht mehr. Schließlich lässt er sich überzeugen, tiefgefrorene zu besorgen. Als wir bei ihm eintreffen, ärgert er sich immer noch darüber. »Das ist schade. Die ganze Nordsee ist voller Miesmuscheln, und ich muss mit den großen neuseeländischen kochen. Die schmecken einfach nicht so gut. Das ist sehr ärgerlich.«
Bis vor kurzem lebte Louis mit seiner deutschen Frau Ricarda und seinen Kindern Frédéric und Chantal in Mecklenburg, jetzt suchen sie zusammen eine Wohnung in der Nähe ihres neuen Restaurants: Seit anderthalb Monaten betreibt der Franzose das Restaurant Gourmet Louis in Reinbek. »Wir sind schon viel in Deutschland umgezogen. Eine Zeitlang lebten wir in Sachsen in einem kleinen Ort an der tschechischen Grenze. Aber die Mentalität dort war nicht so einfach. Da ist man als Franzose eben ein Ausländer. Das ist in den größeren Städten anders. Dort gibt es sehr viele Menschen aus verschiedenen Ländern, und man ist viel toleranter. Für mich sind Freundschaften immer wichtiger als Arbeit. Man arbeitet, um Leben zu können. Die Arbeit sollte nie zu sehr im Mittelpunkt stehen.«
In den vergangenen Jahren hat Louis unter anderem in England, Kanada und China gearbeitet. »Vor den Chinesen hab ich Angst, die lernen so unglaublich schnell. Man zeigt ihnen ein einziges Mal, wie ein Gericht zubereitet wird, und sie können es perfekt. Die sind ungeheuer diszipliniert, die können jedes Restaurant betreiben. Französisch, italienisch, egal.«
Einige Zutaten für die Moules marinières hat er schon vorbereitet: Mohrrüben, Schalotten, Sellerie, Zwiebeln und Petersilie liegen fein geschnitten in kleinen Schälchen. In seinem Restaurant hat sich eine größere Gruppe angesagt, und so wollen wir uns bemühen, vorher fertig zu werden. »Aber das ist kein Problem. Das geht ruckzuck, das ist das Schöne an diesem Gericht. In Belgien, Holland und in der Normandie, wo ich herkomme, wird das übrigens meist mit Pommes Frites gegessen. Es geht aber auch mit Baguette.« Louis kommt aus Vimoutiers, wenige Kilometer vom Käsedorf Camembert entfernt.
Louis erhitzt in einer Pfanne ein geschmacksneutrales Öl. »Man kann Olivenöl nehmen, wenn man eine kräftigere mediterrane Zubereitung will, mit Knoblauch und vielen Gewürzen. Aber hier wär das zu stark im Geschmack.« Er gibt das Gemüse in die Pfanne. »Die Zutaten dürfen nicht braten, nur kurz dünsten.« Nach wenigen Minuten gießt er den Weißwein an und gibt ordentlich Butter an das Gemüse. »Der Wein muss trocken sein, so trocken wie möglich. Alles andere ist nicht so besonders wichtig. Manche Weine sind so trocken, dass man sie fast nicht trinken kann. Hierfür kann man die gut verwenden.«
In einem Topf erhitzt er noch ein wenig Öl. »Das muss jetzt sehr heiß werden. Die Muscheln müssen einen Schock kriegen und gleich tot sein. Wenn man frische Muscheln hätte, würde man warten, bis die sich geöffnet haben, und dann das Gemüse dazugeben. Bei den gefrorenen mache ich das nach Gefühl, weil die schon vorgegart sind. Frische europäische Miesmuscheln sind kleiner und schmecken viel besser. Die muss man auch gar nicht salzen, die haben noch genug Salzwasser in sich. Da reicht etwas Pfeffer. Außerdem haben sie ein anderes Fleisch, es ist viel weicher und aromatischer. Der Sud sammelt sich dann zwischen den Schalen, so nehmen die Muscheln den Geschmack viel besser auf. Diese hier sind viel zu fest und schmecken zu sehr nach Plankton. Frische sind immer besser. Aber leider …« Er bricht ab und macht eine Was-kann-man-schon-machen-Geste, wie sie nur die Franzosen draufhaben.
Louis deckt den Topf kurz mit der Pfanne zu, damit die Muscheln in Ruhe ziehen können. Das ist in der Tat ein sehr schnelles Gericht. Er serviert uns unsere Portion am Tresen, mit aufgeschnittenem Baguette. Durch die viele Butter bekommen die Muscheln und das Gemüse einen sehr reichen, abgerundeten Geschmack, der sich deutlich von den bekannteren mediterranen Varianten unterscheidet: ein nahrhaftes Gericht, das gut zu dem rauhen Wetter im Norden passt. Selbst die Vorstellung, dazu leckere Pommes Frites zu essen, scheint gar nicht mehr abwegig. »In der Normandie wird auch sehr viel mit Sahne gekocht. Man kann also noch einen Becher Crème double dazugeben. Oder, besser, in einer Schale die Crème double mit etwas Sud vermischen. Dann kann sich jeder davon nehmen, so viel er möchte.«
Während wir unsere zweite Portion essen, erzählt Louis von seiner Ausbildung in Marseille und davon, wie er zwei Wochen umsonst in dem berühmten Restaurant Léon gearbeitet hat, um an das Rezept der legendären Bouillabaisse zu kommen. Er erzählt davon, dass er als Nordfranzose die Lebensart der Südfranzosen bewundert, die einfach nur in Ruhe ihr Leben leben wollen. Aber auch davon, wie sich die Gegend verändert hat, dass der südfranzösische Akzent kaum noch zu hören ist, weil die Alteingesessenen die hohen Immobilienpreise nicht mehr zahlen können. »Das ist nicht mehr das Südfrankreich von Louis de Funès und Fernandel.«
Zum Schluss warnt er uns vor französischen Restaurants mit deutschen und englischen Speisekarten. Und erzählt dann, wie Léon sein Restaurant abgeschlossen hat, wenn 20 Plätze besetzt waren. »Er hätte viel Geld verdienen können, aber er wollte nur zurechtkommen. Deshalb hat er nie angebaut.« Da merkt man, dass Kochen für ihn mehr ist als nur Arbeit. Und warum er sich ärgert, nicht die perfekten Muscheln gefunden zu haben.
Moules Marinières
- 2,5 kg Muscheln
- 100 g Butter
- 150 ml trockener Weißwein
- 50 g Schalotten, gewürfelt
- etwas Petersilie, kleingeschnitten
- 1/2 Stange Sellerie, gewürfelt
- 1/2 Mohrrübe, gewürfelt
- 1/2 Stange Lauch, gewürfelt
- 3 EL Öl
- Salz, Pfeffer
- Gemüse in etwas Öl andünsten.
- Weißwein angießen.
- Butter hinzufügen, sowie Pfeffer und etwas Salz.
- In einer zweiten Pfanne etwas Öl stark erhitzen und anschließend die Muscheln hinzugeben.
- Wenn sich die Muscheln öffnen, den Gemüsesud angießen. Deckel drauf, kurz ziehen lassen.