Sehen Sie hier, in dem Haus bin ich aufgewachsen.« Gudrun Themlitz zeigt ein Bild, das sie aus einer Zeitung ausgeschnitten hat. »Hier vorne ist das Emssperrwerk in Gandersum, das gab es damals natürlich noch nicht. Und da, direkt hinter dem Deich, ist das Haus, das meinem Großvater gehörte. Von den oberen Zimmern konnte man die Schiffe sehen.« Vor einiger Zeit hat sie ihren Heimatort anlässlich ihrer goldenen Konfirmation noch einmal besucht. »Da möchte ich wirklich nicht mehr tot überm Zaun hängen. Das ist schon sehr weit ab vom Schuss.«
Heute lebt sie mit ihrem Mann Friedel in einem Einfamilienhaus in Hamburg-Lohbrügge. Die beiden Töchter sind längst erwachsen, gerade waren die Enkelkinder zu Besuch. Eigentlich wollte sie als junges Mädchen technische Zeichnerin werden, »aber in dem Bereich gab es nur sehr wenige Ausbildungsplätze. Da bin ich eben Buchhalterin geworden.« 30 Jahre hat sie für Spar gearbeitet. Friedel war Ingenieur und ist lange Zeit zur See gefahren. Heute kümmern sich die beiden viel um ihren Garten. »Der ist schön, macht aber jede Menge Arbeit.« Direkt vom Garten aus gelangt man in die Boberger Dünen. »Da geh ich immer Beeren pflücken«, erzählt Gudrun.
Die Zutaten liegen schon in der Küche bereit, Friedel holt beim Bäcker noch ein Baguette. »Das ist jetzt keine traditionelle friesische Zubereitung, das ist das Rezept, das ich mir selbst im Laufe der Jahre zusammengestellt habe«, erzählt Gudrun. »Bei uns in Gandersum gab es eigentlich nie Muscheln. Krabben ja, die hatten wir oft. Aber Muscheln hat man damals einfach nicht gegessen.«
Friedel kommt mit dem Brot nach Haus und macht sich gleich daran, die Muscheln zu putzen. »Früher musste man viel mehr putzen, heute sind die Muscheln meist schon relativ sauber, wenn man sie kauft«, sagt er. Gudrun hackt derweil die Zwiebeln und Schalotten grob vor und legt sie in eine Küchenmaschine mit Handkurbel. »Ich hasse Zwiebelschneiden. Den Knoblauch tu ich auch mit rein, dann habe ich nur einmal den Schweinkram.« Anschließend schneidet sie die Mohrrüben in kleine Streifen. »Dafür kann man auch eine Julienne-Reibe benutzen, aber da macht man sich nur die Finger mit kaputt. Ich schneide lieber von Hand.«
Die Mohrrüben legt Gudrun in eine kleine Plastikschale, dann nimmt sie die Fenchelknolle in die Hand. »Wir mögen die Muscheln gerne mit viel Gemüse, und die meisten Rezepte gehen in die gleiche Richtung. Sellerie ist zum Beispiel fast immer dabei, aber das hat mir nie so gefallen. Ich nehme lieber Fenchel. Das ist ein ganz tolles Gemüse.«
Für den Fenchel benutzt sie dann doch eine Reibe und schneidet sich prompt in den Finger. »Naja. Das passiert. Friedel, hol mal bitte ein Pflaster.« Friedel sagt, »es geht nicht ohne Erste-Hilfe-Kasten in der Küche«, während er die Wunde seiner Frau versorgt. Danach widmet er sich wieder dem Muschelputzen. Zwischen den Schalen findet er einen schwarzen Stein: »Da hat man uns reingelegt. Das hat uns mindestens eine Muschel gekostet.«
Gudrun hobelt derweil die Paprika in dünne Scheiben und schneidet Lauch. »Ich mag es nicht, wenn man in Stress kommt, deshalb leg ich die Zutaten immer in Schälchen, dann ist alles griffbereit, wenn ich es brauche. Unnötige Arbeit muss man sich nicht machen.«
Kennengelernt haben sich die beiden auf dem Polterabend einer Kollegin. »Und da war alles recht schnell klar«, erinnert sich Gudrun. Friedel ergänzt: »Ich musste ihr dann nur erstmal erklären, dass ich noch’n büschn mehr zur See fahren will.« Gudrun: »Das war mir aber auch recht, weil ich damals ganz gerne alleine war.«
Zwiebeln, Schalotten und Knoblauch werden in etwas Olivenöl angedünstet. Friedel bringt die Abfälle auf den Komposthaufen und erzählt anschließend, wie er selbst eine Bewässerung unter dem Rasen angelegt hat. »Damals war ich ja noch jung und kräftig. Und wir brauchen auch viel Kompost. Der Boden ist hier sehr sandig. Da würde sonst kaum was wachsen.« So können dem kargen Boden immerhin etliche Küchenkräuter abgerungen werden. Von der Küche aus kann man den Thymian sehen und den Lorbeerbaum.
Gudrun legt Fenchel und Mohrrübe in den Topf, den Lauch, ein paar getrocknete Chilis, gießt trockenen Weißwein an und streut großzügig Pfefferkörner über die Zutaten. »So, Deckel drauf, das muss jetzt etwa 10 Minuten kochen. Ganz zum Schluss kommen dann noch die Paprikascheiben und der Thymian aus dem Garten dazu.«
»Ich mache das jetzt nochmal ganz heiß, bevor die Muscheln reinkommen. So ein langsames Siechtum möchte ich denen nicht zumuten. Wenn schon sterben, dann schnell.« Sie schaut noch einmal in den Topf, um die Temperatur zu prüfen. »So Jungs, jetzt ist es so weit – jetzt kommt ihr da rein.« Und mit Schwung landen die Muscheln in dem heißen Gemüsesud. »Ich entschuldige mich immer noch mal bei denen. Das gehört zum Ritual.«
Friedel sucht im Keller einen passenden Wein, dann tragen wir gemeinsam die Teller ins Esszimmer. Die ungewohnte Fenchelnote und die Schärfe von Pfeffer und Chili bleiben relativ dezent im Hintergrund, geben den Muscheln aber einen eigenen Charakter. »Das Rezept hat sich über die Jahrzehnte so ergeben. Einfach durch Ausprobieren und Verändern. So mache ich die jetzt eben«, sagt Gudrun. Friedel gießt noch einmal Wein nach, für die zweite Portion. »Meine Frau ist da sehr bestimmt. In der Küche hat sie das Sagen. Aber das soll mir recht sein. Sie kann das ja auch.«
Muscheln à la Themlitz
- 2 kg Muscheln
- 2 große Zwiebeln, kleingehackt
- 2 Schalotten, kleingehackt
- 2 Knoblauchzehen, kleingehackt
- 1 Stange Lauch, in Streifen
- geschnitten
- 1 Knolle Fenchel, dünn gehobelt
- 2 kleine getrocknete Chilischoten
- 2 Mohrrüben, in Streifen geschnitten
- 1 TL Pfefferkörner
- 1 TL Salz
- 1/8 l Wasser
- 1/4 l Weißwein, trocken
- 1 TL getrockneter Thymian
- 1 rote Paprika, dünne Scheiben
- 1-2 Tomaten, gehäutet und
- gewürfelt
- Petersilie
- etwas Olivenöl
- Zwiebeln, Schalotten und Knoblauch im Öl andünsten, dann Lauch, Fenchel, Mohrrüben, Salz und Pfeffer hinzugeben.
- Wenn das Gemüse weich wird, mit Wasser und Wein ablöschen. Etwa 10 Minuten köcheln lassen.
- Muscheln und Tomaten hinzugeben und 8-10 Minuten kochen. Mit Petersilie bestreuen und servieren.