Die Lösung des Problems mit Risotto ähnelt der Lösung des Problems mit Hefeteig: Entweder man traut sich oder man traut sich nicht. Die einen verstehen gar nicht, was am Risotto so schwierig sein soll, während die anderen nur Varianten des Scheiterns sehen: zu matschig. Zu hart. Zu trocken. Zu flüssig. Welcher Reis? Welcher Wein? Wann dazugeben? Die Brühe heiß oder kalt? Und muss man wirklich ständig rühren? Vor allem, wenn die kulinarischen Wurzeln nahe beim süßen Milchreis liegen, fällt es schwer, Sinne und Instinkt am Herd neu zu kalibrieren, um das Risotto in seinem Wesen so zu begreifen, dass man es zuverlässig ins alltägliche Kochen integrieren kann.
Es hilft dabei ungemein, nicht nur ein Rezept als Anleitung zu haben, sondern immer wieder zuschauen zu können beim Anschwitzen, Zugießen, Rühren, Zugießen … Das Problem - und ja, es stimmt, ich gehörte bis vor Kurzem eher zur Problemfraktion - das Problem ist nur, dass die meisten von uns keine italienische Mamma haben. In meinem Fall ergab sich die Lösung allerdings quasi von selbst: Mein Bruder heiratete eine Frau aus Turin und zog zu ihr nach Italien, mitten ins Piemont.
Bald entwickelte er sich zu einem echten Risotto-Spezialisten, dem das Gießen und Rühren genauso ins Handgelenk überging wie der Griff zur Olive beim abendlichen Aperitivo. Von ihm lernte ich auch, dass es ganz wichtig ist, den Käse erst zum Schluss dazuzugeben, vielleicht mit einem Stück Butter. Den Topf anschließend von der Platte ziehen, Deckel drauf, und das Ganze ein paar Minuten ruhen lassen. Dann noch einmal behutsam mischen - pronto!
Trotz meiner inzwischen gut eingerührten Handgelenke ist mir mein Bruder immer noch weit voraus. Neulich machte er ein Kürbis-Risotto: Viel ganz klein gewürfelten Hokkaido mit der ersten Kelle Brühe zum Reis geben - das leuchtete mir ein. Doch als der Käse dazukommen sollte, griff mein Bruder statt zu Parmesan zu einem blassgelben Stück Käse mit hellbraungrauer, rauer Rinde. Eine Reibe war überflüssig, der Käse ließ sich zwischen den Fingern zerkrümeln. Ich schnappte mir ein paar Krümel, und als ich das säuerliche, beinahe quarkige Aroma auf der Zunge spürte, sah ich meine Vermutung bestätigt: Es war Castelmagno.
Ich wäre nie darauf gekommen, diesen höhlengelagerten piemontesischen Rohmilchklassiker in ein Risotto zu bröseln - aber ich hätte ihn auch nicht unbedingt für eine Käseplatte gekauft. Er mag eine lange Tradition bis ins 13. Jahrhundert haben, und die spontane Schimmelpilzbildung ohne den Zusatz entsprechender Kulturen mag im Zurück-zur-Natur-Trend liegen - für mich ändert das nichts daran, dass den säuerlichen Bröckchen der Kick fehlt.
Er ist für mich ein gutes Beispiel für die unterschiedlichen Käsekulturen. Grob bis fahrlässig vereinfacht lassen sich die französischen Käsevorlieben als würzig-ausgewogen beschreiben und die deutschen einerseits als leicht süßlich (Bergkäse & Co), andererseits als stinkig (Limburger etc.). In Italien gilt junger milder Käse als Vorspeise, während nach dem Hauptgang von jahrelanger Reife ausgetrockneter Hartkäse auf den Tisch kommt - da weiß man dann, wozu die Gemüsemarmeladen und der flüssige Honig gut sind, die dazu gereicht werden.
Doch das Risotto war großartig, es wirkte leichter und lebendiger als mit der üblichen Umami-Bassstimme des Parmesans. Ich war so beeindruckt, dass ich meinen Bruder um den restlichen Castelmagno erleichterte, als ich nach Hause ging. Es war ein großes Stück, mein Bruder war schon immer ein großzügiger Mensch, und als ich kurz darauf selber Kürbisrisotto kochte, blieb immer noch eine anständige Portion übrig. Wunderbar, dachte ich, noch einmal Risotto! Denn leider ist Castelmagno hierzulande eine echte Rarität, zumal in sommerlicher Almqualität. Selbst in seiner Heimat, in den Bergen des Valle Grana südwestlich von Turin, wäre er vielleicht ganz verschwunden, wenn nicht seit den Achtzigern bewusst an seiner Erhaltung gearbeitet würde.
Zwei Wochen später würfelte ich wieder Kürbis, schwitzte Reis und Zwiebeln an, löschte ab, rührte etc. und holte dafür meinen wertvollen Käserest aus dem Kühlschrank. Der hatte in der Zwischenzeit allerdings eine interessante Wandlung durchgemacht: In der Mitte bröckelte er immer noch blassgelb, doch ein fingerdicker Streifen direkt unter der Rinde leuchtete mir nun beinahe bienenwachsgelb entgegen, er wirkte eher glasig und war elastisch wie ein fester Weichkäse.
Ich schob ein Stück in den Mund und war höchst beeindruckt: Hier endlich fand ich die Intensität der Aromen, die ich von einem so urtümlich erzeugten Bergmilchkäse erwarte. Bis jetzt hatte ich diesen Käse, zumindest für meinen Geschmack, immer zu jung erlebt. Am liebsten hätte ich den Reis Reis sein lassen und den übrigen Castelmagno einfach so gegessen …
Stattdessen zeigte sich dann, wie komplex das Thema Risotto ist - denn auf dem Teller hatte ich schließlich alles andere als ein Kürbisrisotto. Der Käse weigerte sich mit der ganzen Gewichtigkeit seiner neu erworbenen Reife, zugunsten der Gesamtharmonik in den Hintergrund zu treten. Gnadenlos übertönte er den Kürbis: CAS-TEL-MAG-NO! Aber auch das hatte seinen Reiz: Wer fährt als Nächster ins Piemont und bringt Käse mit?
Meine Meinung …