Parmigiano – Parmesan aus Italien

Milchschafhof Pimpinelle, Quappendorf

Wer sich mit Käse tatsächlich beschäftigt, statt ihn lediglich quadratscheibenweise aufs Brot zu packen, wer zudem Italien nicht ganz abgeneigt ist, der kennt diese Bilder: hohe Holzregale mit schier endlosen Reihen großer gelber Käselaibe. Parmigiano Reggiano. An den Seiten ein wenig gewölbt, als zwinge ihn die eigene Masse in die Knie, ist jeder Laib ausladend wie ein rundes türkisches Sitzkissen und dreißig oder gar vierzig Kilo schwer. Ob in den Tortellini oder auf den Tortelloni, in den Küchen von Parma, Reggio Emilia, Modena und Bologna geht ohne Parmesan einfach gar nichts. Was die Frage von Henne und Ei aufwirft, oder vielmehr Kuh, Käse und Kochtopf: Wer rief zuerst nach wem? Wie kam es zu dieser geballten Masse an Käse in den Reifekellern Norditaliens?

Die Antwort lautet: Tüchtige Händler während der Blütezeit der Städte des italienischen Nordens und Zentrums ab dem 10. Jahrhundert wollten lagerfähige Ware, die ihnen weite Märkte erschließen konnte. Nicht umsonst beschreibt Giovanni Boccaccio Mitte des 14. Jahrhunderts in einer der Novellen seines Dekameron das Schlaraffenland als »einen Berg von geriebenem Parmesankäse, auf welchem Leute standen, die nichts anderes taten, als Makkaroni und Ravioli zu machen«. Ganz offensichtlich war der Käse aus Parma (denn nichts anderes bedeutet Parmigiano, in dessen offiziellen Namen sich inzwischen zusätzlich die Stadt Reggio Emilia geschlichen hat) beliebt und bekannt – und es gab deutlich mehr davon, als die Leute von Parma selbst essen konnten. Denn die hätten ihn natürlich nicht Parmigiano, sondern unseren Käse genannt, Nostrano.

Die Bauern in Parma hätten wahrscheinlich auch keine solch großen, harten Laibe gemacht, die laut der DOC von 1955 beziehungsweise der DOP von 1996 mindestens ein Jahr reifen müssen, aber eigentlich erst nach zwei Jahren die milchigen Kinderkäsetage hinter sich lassen. Abgesehen von der Investition an Zeit bedeutet dies nämlich eine beträchtliche Menge Milch. Vierzehn bis sechzehn Liter ergeben ein Kilo Parmesan; dreißig bis vierzig Kilo schwere Laibe bedeuten also vierhundertfünfzig bis sechshundert Liter Milch, was sich unter modernen Bedingungen in durchschnittlich fünfzehn bis zwanzig Kühe übersetzt. Doch das sind auf reine Milchproduktion gezüchtete Tiere, die bis zu elftausend Liter jährlich in den Käsekessel fließen lassen und mit großer Wahrscheinlichkeit ein schwarzweiß geflecktes Fell und Vorfahren in Holstein und Friesland haben. Ihre historischen Vorgänger zwischen Po und Apennin waren in und um Modena vornehm weiß (La Bianca Modenese), in und um Reggio Emilia rotbraun (Rossa Reggiana). Sie liefern jedoch viel weniger Milch, weil sie gleichzeitig mit dem Ziehen von Pflügen und Karren beschäftigt waren. Dieses Weniger an Milch enthielt allerdings auch mehr Kasein, ergab also prozentual mehr und ausdrucksvolleren Käse. Trotzdem: eine kleine Herde war schon nötig, um einen Käse dieser Ausmaße und Konzentration zu produzieren.

Der Käse aus Parma ist also ein stark vom Absatzmarkt geprägtes Produkt. Nun sind ja Märkte als solche hochkomplizierte Gebilde, wie uns die Wirtschaftsseiten der Zeitungen, aber auch ganz konkret die Dumpingpreise der modernen Lebensmittelindustrie tagtäglich vor Augen führen.

Parmesan ist allgegenwärtig, sein Image kratzt gefährlich nahe am Industriellen entlang

Ein weithin verfügbares, nahezu ständig lieferbares Produkt kann trotz hoher Qualität gefährlich schnell als beliebige Massenware wahrgenommen werden. Bereits vor Jahrhunderten waren die tüchtigen italienischen Händler weit über die Grenzen der Emilia-Romagna hinaus aktiv, und heute ist Parmesan nahezu allgegenwärtig und sein Image kratzt nahe am Industriellen entlang. Das liegt paradoxerweise auch am Marketing und an der sehr dichten Kette der Qualitätssicherung, durch die nur perfekte Laibe in die Käsetheken und Küchen gelangen. Als Charakterdarsteller fürs Käsebrett wird der Große aus Parma nur selten wahrgenommen.

Eigentlich wird einem erst bei einem Besuch einer der Käsereien am Po richtig klar, wie viel einem da entgeht, wie viel Handarbeit nach wie vor im Parmesan steckt. Das Caseificio Poggioli ist ein moderner Betrieb, der von vier Milchbauern in der Nähe von Modena als Genossenschaft betrieben wird. Zwei Stunden nach dem Melken ist die Milch bereits in der Käserei; abends wird sie in großen flachen Edelstahlwannen zum Aufrahmen aufgestellt, morgens läuft sie sofort zusammen mit dieser entrahmten Milch in die zweiunddreißig jeweils elfhundert Liter fassenden runden Kupferkessel. Gesäuerte Molke vom Vortag kommt dazu, dann Kälberlab. Die gestockte Milch wird mit Hilfe des spino, eines überdimensionierten, sehr einfachen Rührquirls mit einem Metallgeflecht an einem langen Holzstiel in reiskornkleine Stücke gebrochen – mit der Hand. Danach kommt während der cottura, dem Kochen, Hitze ins Spiel, wobei sich der Käsebruch bei etwa fünfunddreißig Grad am Boden absetzt. Im richtigen Moment tauchen starke Arme in die warme Molke, heben den großen weißen Käse-Embryo an die Oberfläche und knoten ihn in ein großes Tuch. Mit einem großen Messer wird er in zwei Hälften geteilt, die zwei Tage lang in Formen lagern und dann für knappe drei Wochen im Salzbad schwimmen. Schließlich bekommen sie einen Platz in den großen Holzregalen des sechzehn Grad kühlen Lagers zugeteilt, werden regelmäßig gewendet – und oft erst Jahre später vor der Auslieferung ausgehfein gemacht, geflämmt und gebürstet … und dann hoffentlich fachgerecht aufgebrochen statt geschnitten. Was tatsächlich anders schmeckt, so wie auch jede Altersstufe andere Aromen hervorbringt. Mit drei Jahren schleicht eine Ahnung von Karamell um die Knusperkristalle, verbindet sich fruchtig wirkende Lebendigkeit mit einer konzentrierten Abgeklärtheit und die gehört eigentlich weder in die Tortellini noch auf die Tortelloni, sondern verdient die ganze Aufmerksamkeit des Käse essenden Menschen.

parmigiano
Coop. Casearia Poggioli
Via Montanara, 1550
41057 Spilamberto (MO), Italien
www.poggiolicoopcasearia.it

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Aus Effilee #34, Herbst 2015
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