Während wir nach der Klingel suchen, öffnet uns Ando Yoo schon die Tür. »Eine Klingel haben wir immer noch nicht installiert.« Vor fünf Jahren haben die Yoos mit Bekannten zwei alte Arbeiterhäuser im Hamburger Schanzenviertel gekauft, die sie erst mal renovieren mussten. »Wir haben viel selbst gemacht. Okay, alles, wofür man Profis brauchte, haben wir machen lassen. Aber da blieb noch genug für uns übrig.« Mit dem gesparten Geld konnten sie das Haus innen so gestalten, wie sie es sich vorstellten: Oben befinden sich die Kinder- und das Schlafzimmer, unten bilden drei Räume einen großen Küchen-, Ess- und Wohnzimmer-Komplex. Hier lebt Ando mit seiner Frau Jutta und den Kindern Morten (11) und Suna (14).
Auf dem Esstisch sind die Zutaten für Maeuntang ausgebreitet: Seetang und Miesmuscheln in Wasser eingeweicht, Shiitakepilze, Knoblauch, Sellerie, Chili, Soju, ein koreanischer Reiswein, Zwiebeln und eine rote Paste unbekannter Herkunft. »Maeuntang bedeutet scharfe Suppe, es ist ein klassisches koreanisches Gericht. Ich muss aber zugeben, dass ich es schon lange nicht mehr gekocht habe. Die rote Paste heißt übrigens Gochujang. Wir wollen mal sehen, wie scharf die wirklich ist.«
Ein amerikanischer Soldat half Andos Vater, von Korea in die USA zu kommen. »Korea ging es damals sehr schlecht. Mein Vater war das einzige Kind seiner Familie, das studiert hat. Die anderen sind in Korea geblieben. Als er dann in Berkeley Medizin studierte, hat er meine Mutter kennengelernt. Sie sind zusammen nach Lübeck gezogen, als das erste Kind unterwegs war.«
Ando ist Landschaftsarchitekt und hat sowohl beruflich als auch persönlich immer noch Beziehungen zum Land seines Vaters. »Zuletzt war ich vor anderthalb Jahren in Korea. Da hat mein Büro an einem Wettbewerb für einen Park teilgenommen. Wenn ich dort bin, versuche ich immer, die Verwandten zu besuchen. Die wohnen zum Teil in Seoul und zum Teil in Pu-San im Südosten des Landes, wo meine Familie ursprünglich herkommt. Wollt ihr einen Tee oder Kaffee?« Wir entscheiden uns für einen grünen Tee. »Korea hat unter dem Krieg auch architektonisch gelitten. Zerstörte Tempel wurden später in Stahlbeton neu errichtet, da ist man nicht sentimental. Koreaner leben auch gerne in Hochhäusern. Wenn ein Hochhaus gebaut wird, sind die Wohnungen sofort weg.«
Ando schält die Knoblauchzehen, halbiert sie und entfernt die grünen Triebe in der Mitte. »Das habe ich mir so angewöhnt, weil ich glaube, dass es den Geschmack verbessert. Mir ist übrigens aufgefallen, dass man, wenn man eine Knolle Knoblauch nimmt und einmal rundum die Zehen abmacht, oft exakt sieben hat. Und genau so viele braucht man für dieses Rezept.«
Ando hackt den Knoblauch und zwei Gemüsezwiebeln grob. »Zwei Zutaten habe ich nicht bekommen. Nach Minari habe ich den Verkäufer im Asiamarkt gefragt, aber der hat nur gelacht. Keine Ahnung, warum. Ich habe stattdessen Wasserspinat gekauft, der sieht so ähnlich aus. Und essbare Chrysanthemen konnte ich ebenfalls nicht auftreiben. Aber es geht auch ohne.«
Ando schält und hackt ein ordentliches Stück frischen Ingwer, dann schneidet er ein paar rote Chili in Streifen. »Eigentlich müssten die Schoten recht scharf sein. Ich habe sie an einem chinesischen Stand auf dem Markt gekauft, an dem ich häufig mittagesse. Dabei bin ich eigentlich gar kein Scharfesser, da bin ich nicht sehr koreanisch. Mein Vater war einer, Tabasco war sozusagen sein Maggi.« Er geht zum Herd und bearbeitet in einem kleinen Topf Zwiebel, Knoblauch, Ingwer und einen Esslöffel Gochujang mit dem Pürierstab. »Ich glaube, ich hätte alles noch etwas kleiner schneiden sollen. Das soll eine richtig feine Paste werden, die nachher unter die Suppe gerührt wird.«
Als Nächstes schneidet Ando eine Handvoll Shiitakepilze in breite Streifen, dann schält und schneidet er zwei Stangen Rettich. »Rettich ist sehr beliebt in Korea. Es gibt dort auch Kimchi mit Rettich statt Kohl. Asiaten schneiden übrigens alles in Streifen statt in Würfel. Ich weiß nicht, ob wegen der Optik oder weil man dann mit der Faser schneidet.« Er nimmt einen großen Topf. »So, jetzt kann es losgehen.«
Ando legt Pilze, Rettich und Seetang in den Topf, gießt sechs Tassen Wasser dazu und lässt alles ein wenig vor sich hinkochen. »Der Seetang ist nur für den Geschmack, der kommt später wieder raus.« In der Zwischenzeit schneidet er ein paar Frühlingszwiebeln in Streifen, dann geht er in den Garten und holt den Fisch. »Unser Kühlschrank ist gerade kaputtgegangen, aber zum Glück haben wir bei den Temperaturen den großen Kühlschrank draußen.« Er packt den bulligen Rotbarsch aus. »Der ist noch nicht ausgenommen, aber ich habe vor zwei Jahren meinen Angelschein gemacht, weil Morten angeln wollte. Da habe ich das gelernt.«
Ando wäscht den Fisch über der Spüle und entschuppt ihn. »Rotbarsch lebt in relativ tiefem Wasser, deshalb quellen die Augen hervor, wenn man ihn gefangen hat. Und guckt euch mal die Stacheln an.« Mit geschulten Handgriffen nimmt er den Fisch aus. »Der wird nur noch in vier Teile geschnitten und kommt dann in die Suppe. So kenne ich das aus Asien - da wird ein Huhn auch so geteilt. Einfach mit der Axt drauf und in die Suppe.« Nun bereitet er die Garnelen vor. »Oh, schaut, das sind auch sieben. Dann stimmt das wohl so. Jetzt nehme ich den Seetang raus. Eigentlich schade, denn den kann man ebenfalls essen.« Ando legt Fisch, Garnelen und Muscheln in die Suppe und gießt etwas Wasser nach. »Oh, ich habe den Soju vergessen. Der sollte eigentlich an die Paste. Dann eben jetzt, das kommt aufs Gleiche raus. So, jetzt dauert es noch 30 Minuten.«
Tochter Suna kommt aus dem Kino nach Hause. Ando fragt sie: »Hast du Hunger, Suna?« »Nein.« »Willst du Kimchi?« »Nein.« »Magst du keinen Fisch?« »Nein.« Suna entdeckt koreanische Süßigkeiten auf dem Tisch: »Wo hast du denn die gekauft?« fragt sie. »Die sind lecker!« »Nein.«
Ando erzählt: »Meine Halbschwester kam nach Deutschland, als ich 15 war. Und sie brachte ihre Essgewohnheiten mit. Die stand zum Beispiel vorm Kühlschrank und löffelte kalte Fischinnereien. Das fand ich sehr verstörend.« Ando legt den Wasserspinat und die Enokipilze in die Suppe. »So, fertig! Ich tu uns jetzt auf.« In jede Schale legt Ando etwas Chili, neben jede Suppe stellt er ein Schälchen Reis. »Mashike Duseyo! Guten Appetit!« Die rote Paste ist erstaunlich mild, die Chili haben es dafür wirklich in sich. Je mehr sie sich in der Maeuntang ausbreiten, desto mehr verdient sie ihren Namen. Ansonsten schmeckt die Suppe dank der vielen Zutaten aber sehr abwechslungsreich.
»Ich habe noch etwas Reiswein übrig, den müssen wir jetzt eigentlich trinken. Wenn wir in Korea wären, müsstest du dein Glas mit beiden Händen anfassen, weil du jünger bist als ich. Und wenn dir noch ein Glas angeboten wird, darfst du nicht ablehnen. Koreaner sind schnell beleidigt, wenn es ums Trinken geht.« Da wir nach einer so freundlichen Bewirtung keinesfalls unhöflich sein wollen, bleibt uns also keine Wahl.
Maeuntang (Scharfe Suppe)
- 1 Rotbarsch, ausgenommen, entschuppt, in 3-4 Teile geschnitten
- 10 Miesmuscheln, geputzt
- 7 Garnelen, geköpft, aufgeschnitten und ausgenommen
- 7 Knoblauchzehen
- ½ EL Ingwer
- 1-2 Gemüsezwiebeln
- 2 EL Fischsauce
- 2 EL Soju (koreanischer Reisschnaps, 20 % Alkohol)
- 2 EL Gochugaru (Chiliflocken)
- 1 EL Gochujang (Chilipaste)
- 5-10 Shiitakepilze in Stücken
- 1 Tasse Rettich in Streifen
- Seetang, Miyeok bzw. Wakame, in Wasser eingeweicht
- 1 Bund Minari, Wasserfenchel (oder Wasserspinat) in Streifen
- 1 Bund Sugat (Ess-Chrysanthemen)
- 2 Bund Enokipilze
- 2 Frühlingszwiebeln in Streifen
- 2-3 Chili
- Knoblauch, Ingwer, Zwiebeln, Fischsauce, Soju, Chiliflocken und -paste mit dem Pürierstab zu einer Paste verarbeiten.
- Shiitakepilze, Rettich und Seetang mit 6 Tassen Wasser ca. 20 Minuten in einem großen, flachen Topf kochen. Danach den Seetang herausnehmen.
- Fisch, Garnelen und Muscheln in den Topf geben, die pürierte Gewürzpaste darübergießen und auf mittlerer Hitze 30 Minuten kochen. Nach 10 Minuten den Schaum abschöpfen.
- Frühlingszwiebeln, Minari und Enokipilze in den Topf geben und salzen. Chrysanthemen einlegen, 2 Minuten mit geschlossenem Deckel kochen lassen. In tiefe Schalen mit Chili füllen und mit Reis servieren.