Deutschstunde: Leipziger Allerlei

Als auch die Ärmsten noch gut essen konnten: Leipziger Allerlei, ein Essen für Bettler aus dem 19. Jahrhundert

Der Ruf des Leipziger Allerlei ist gesamtdeutsch und nachhaltig ramponiert. Das Gericht ist zum Synonym für vorgekochtes Mischgemüse aus der Dose verkommen. Nicht wenige erinnern sich mit Grausen an ihre Kindheit, als der Gemüse-Mix mit einer leimigen Mehlsoße zu den ansonsten sehr beliebten Frikadellen zwangsverabreicht wurde. Das hat das Leipziger Allerlei nicht verdient, denn es ist in seiner Urform ein erlesenes Festessen. Auf dem Teller findet sich das Beste aus Feld, Wasser und Wald: knackiges junges Gemüse, fleischige Flusskrebsschwänze und aromatische Morcheln vereinen sich mit einer leichten, hellen Sauce, die unter Zugabe von Krebsbutter vornehm errötet. Die klassische Beilage sind luftige Semmelklößchen – selten gibt sich die deutsche Küche so elegant.

Dabei galt das Leipziger Allerlei ursprünglich als Arme-Leute-Essen. Erstmals schriftlich erwähnt ist es in Susanna Egers Leipziger Kochbuch von 1745. Der frühe Tod ihres Mannes machte die Berufsköchin zur erfolgreichen Existenzgründerin: Sie kochte in bürgerlichen Haushalten und notierte dabei neunhundert Rezepte der Leipziger Barockküche, darunter auch das damals kostengünstige Allerlei. Alle Zutaten gab es im 18. und 19. Jahrhundert reichlich: Im fruchtbaren Ackerland des Leipziger Binnendeltas um den Fluss Pleiße gediehen die Gemüse, die Wasserläufe wimmelten von Flusskrebsen und der angrenzende Auwald war reich an Pilzen.

Der Stadtschreiber empfahl, das Gericht zur Vertreibung von Bettlern und Steuereintreibern einzusetzen

Im Zeichen dieses Überflusses steht die Empfehlung des Stadtschreibers Malthus Hempel, der den Leipziger Stadtvätern gegen Ende der napoleonischen Kriege (1815) empfahl, das Gericht zur Vertreibung von Bettlern und Steuereintreibern einzusetzen: »Verstecken wir den Speck und bringen nur noch Gemüse auf den Tisch, sonntags vielleicht ein Stückchen Mettwurst oder ein Krebslein aus der Pleiße dazu. Und wer kommt und etwas will, der bekommt statt Fleisch ein Schälchen Gemüsebrühe und all die Bettler und Steuereintreiber werden sich nach Halle oder Dresden orientieren.«

Heute gelten die Zutaten als Delikatesse, vor allem die Flusskrebse, von denen bereits der Gastrosoph Brillat Savarin im ausgehenden 18. Jahrhundert schrieb: »Wenn es auch nur eine Spur von Gerechtigkeit auf der Welt gäbe, müssten wir vor Krebsen auf die Knie sinken und sie göttlich verehren.« Doch 1876 dezimierte eine aus Nordamerika eingeschleppte Krebspest die deutschen Bestände nachhaltig, außerdem reagieren die Zehnfüßler sehr sensibel auf die Verunreinigung ihres Lebensraumes, und so sind Edelkrebse in Deutschland inzwischen sehr selten.

Die reichliche Verwendung von Butter und die lange Zubereitungszeit empfehlen das Leipziger Allerlei als Festtagsessen, das verdient, wiederentdeckt zu werden

Die Morcheln ersetzen die Lorcheln aus dem Originalrezept. Das kann Leben retten, denn während die Spitzmorchel ungefährlich ist, kann die Lorchel nach zu kurzer Garzeit schwere Vergiftungen hervorrufen. Die Gemüsemischung selbst besteht traditionell aus weißem Spargel, Erbsen, Karotten und Blumenkohl. Ursprünglich wurden alle Gemüse einzeln gegart, um ihren Eigengeschmack zu erhalten. Bei einem Herd mit vier Platten ist das aber kaum möglich, zumal auch Semmelklößchen und Sauce ihr warmes Plätzchen fordern. Die reichliche Verwendung von Butter und die lange Zubereitungszeit empfehlen das Leipziger Allerlei als Festtagsessen, das verdient, wiederentdeckt zu werden.

Leipziger Allerlei

Für 4–6 Personen
  • 20 frisch gekochte Krebse (wahlweise 20 Krebsschwänze aus der Lake)
  • 25 g getrocknete Spitzmorcheln
  • 200 g frisches Weißbrot in Scheiben
  • 200 ml Vollmilch
  • 2 Eier (S)
  • Salz, Pfeffer
  • 150 g Butter
  • 500 g Erbsenschoten (ergeben ca. 180 g Erbsen)
  • 400 g Blumenkohl
  • 12 feine Bundmöhren
  • 12 Stangen weißer Spargel (ca. 800 g)
  • Zucker
  • 30 g Mehl (Typ 405)
  • 1/2 EL Krebsbutter
  • 200 ml Sahne
  • 2–4 EL trockener Weißwein
  • einige Zweige Kerbel
  1. Die Krebsschwänze mit einer Drehbewegung vom Körper trennen, Schwanzfleisch herausbrechen, unter kaltem Wasser abwaschen. Den Schwanzrücken an einer Stelle einschneiden, dort den Darm herausziehen. Die Morcheln mit 150 ml heißem Wasser übergießen.
  2. Weißbrot in der Küchenmaschine fein hacken und mit Milch begießen. Eier trennen, Eiweiß mit einer Prise Salz steifschlagen. 50 g Butter glattrühren. Die Eigelb nacheinander (!) vollständig unter die Butter rühren. Mit dem Weißbrot vermischen, Eiweiß unterheben. Die Klößchenmasse salzen und zugedeckt kalt stellen.
  3. Erbsen aus den Schoten palen, Blumenkohl in Röschen putzen, Möhren und Spargel schälen, den Spargel von holzigen Enden befreien. 500 ml Wasser mit Salz und einer Prise Zucker aufkochen, den Spargel darin zugedeckt 12 Minuten garen. Nach 3 Minuten den Blumenkohl und die Möhren zugeben, nach 9 Minuten die Erbsen. Gemüse mit einer Schaumkelle herausnehmen und auf einer Platte anrichten. Mit Alufolie bedeckt im Ofen bei 80 Grad warm halten. Vom Kochfond 250 ml abmessen.
  4. Aus dem Klößchenteig mit angefeuchteten Händen ca. 20 Klößchen formen. In 2 Liter siedendem Salzwasser 8 Minuten garen. Morcheln kräftig ausdrücken und in kaltem Wasser gründlich waschen, Morchelfond durch ein Sieb mit Küchentuch passieren. 80 g Butter mit Mehl und Krebsbutter glattrühren. Gemüsefond, Morchelfond (ca. 75 ml) und die Sahne aufkochen. Butter-Mehlmischung unter Rühren darin auflösen und unter Rühren 2 Minuten kochen. Mit Salz, Pfeffer und Weißwein abschmecken.
  5. Klößchen mit einer Schaumkelle aus dem Wasser nehmen und auf einer vorgewärmten Platte anrichten. Die trocken ausgedrückten Morcheln mit den Krebsschwänzen in 20 g geschmolzener Butter heißschwenken, salzen und über die Gemüse verteilen. Alles mit der Sauce servieren und mit gehacktem Kerbel bestreuen.
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Aus Effilee #5, Jul/Aug 2009
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