Herrn Paulsens Deutschstunde: Die Weihnachtsgans

Die Weihnachtsgans ist der heilige kulinarische Gral der deutschen Hausfrau und ein Traditionsessen, das keinerlei Modernisierung duldet.

Die Arbeit an einem Foodmagazin gestaltet sich bisweilen tragisch, ihren traditionellen Tiefpunkt hat sie im August. Wenn im Spätsommer die Weihnachts- und Winterausgaben produziert werden, kann man in den Versuchsküchen Köche weinen sehen Binangesichts zu Stein gefrorener Weihnachtsgänse, die ihrem Auftritt als Fotomodell entgegentauen – auch dem Autoren dieser Zeilen ging es so. Dieses Unglück ist der biologischen Uhr der Gans geschuldet: Die edlen Tiere sind in Sachen Fortpflanzung ausgesprochene Saisonarbeiter. Nur im Frühjahr legen sie Eier, im Frühsommer wird geschlüpft und pünktlich zur Weihnachtszeit ist die Gans ausgewachsen. Hauptschlachtzeit ist in Deutschland ab dem 20. Dezember.

Es gibt nur eine Ausnahme: den 11. November, Martinstag. Der Sage nach soll der bescheidene Sankt Martin im Winter 372 versucht haben, sich vor seiner Weihe zum Bischof zu drücken, indem er sich in einem Gänsestall versteckte. Doch er wurde von den schnatternden Vögeln verraten, und so revanchierte sich Bischof Martin mit einem großen Gänseessen.

Am Martinstag endete früher das Wirtschaftsjahr der Bauern – Löhne, Zinsen, Pacht und Steuern waren fällig. Bezahlt wurde teilweise mit frisch geschlachtetem Vogelvieh, die Martinsgans war die letzte große Mahlzeit vor dem Beginn der Adventfastenzeit. Die fettesten Tiere aber hielt man sich bis zum Heiligen Abend.
Bis heute gilt die Weihnachtsgans als der heilige kulinarische Gral der deutschen Hausfrau, sie ist die Krönung ihrer Kochkunst. Fürsorgliche Mütter werkeln bereits vor Morgengrauen in der Küche, damit zum Einbruch der Dunkelheit die Gans auf dem Tisch steht.

Die sorgsam gehüteten Familienrezepte variieren nur leicht bei Fragen der Füllung, Temperatur und Garzeit – die Gans ist ein Traditionsessen, das keinerlei Modernisierung duldet. Nie vergesse ich die verachtende Miene meiner Mutter, als Johann Lafer bei Kerners Köchen eine Weihnachtsgans mit Hefeteig füllte. Es darf als sicher gelten, dass all die von Gourmetköchen und Rezeptautoren erdachten Weihnachtsgans-Variationen niemals nachgekocht werden.

Eine Weihnachtsgans braucht Beifuß, Apfel, Salz und Pfeffer sowie pro Kilo Gewicht mindestens eine Stunde Garzeit. Klassische Beilagen sind Kartoffelklöße und Rotkohl, die Äpfel der Füllung sollten ebenfalls serviert werden. In Norddeutschland wird zur Gans auch gerne würziger Grünkohl mit Salzkartoffeln aufgetragen.
Die Sauce kommt traditionell aus dem Ofen – Wurzelgemüse, Gänseklein, Rotwein und Brühe schmoren über Stunden mit der Gans und dem reichlich austretenden Gänsefett. Bei dieser Zubereitung muss die Sauce vor dem Servieren allerdings noch mit einem Fett-weg-Kännchen entfettet werden, zudem wird die Gänsehaut dank der hohen Feuchtigkeit im Ofen kaum knusprig und muss nachgeröstet werden. In diesem Rezept entsteht die Sauce deshalb außerhalb des Ofens.

Purismus in der Küche verlangt nach besten Zutaten und so ist die Voraussetzung für eine gute Weihnachtsgans eine gute Herkunft. Gänse gedeihen am besten in bäuerlicher Freiland- oder Weidehaltung mit viel Auslauf und natürlichem Futter. Vielleicht haben Sie das Glück, einen Gänsebauern zu kennen, sonst bestellen Sie rechtzeitig bei einem Wild- und Geflügelschlachter eine artgerecht aufgezogene frische Gans aus Ihrer Region. Die tiefgekühlten Vögel zweifelhafter Herkunft eignen sich nur für Fotos im August.

Weihnachtsgans

Für 4–6 Personen
  • 1 Gans, ca. 4,5 kg mit Gänseklein (Hals, Herz, Magen und Leber)
  • 3 große Zwiebeln
  • 4 kleine Äpfel
  • Salz, Pfeffer
  • 1 EL Majoran, gerebelt
  • 1 kleines Bund getrockneter Beifuß
  • 3 Möhren
  • 300 g Sellerieknolle
  • 10 braune Champignons
  • 8 Pimentkörner
  • 3 Lorbeerblätter
  • 1 EL brauner Zucker
  • 800 ml Gänsefond a. d. Glas (wahlweise Enten- oder Geflügelfond)
  • 500 ml trockener Rotwein
  • 1 EL Speisestärke
  • Saft einer Orange
  • 1 TL Honig
  1. Gänseklein und das Fett aus der Bauchhöhle der Gans entfernen, beiseitelegen. Die Gans innen und außen gründlich mit kaltem Wasser waschen und mit Küchenpapier trocken tupfen. Die Flügel am zweiten Gelenk und den Hals abschneiden und beiseitelegen. 1 Zwiebel pellen und halbieren. Äpfel ungeschält halbieren, entkernen und in eine Schale geben. Mit Salz, Pfeffer, Majoran und Beifuß würzen und mischen, dann in die Bauchhöhle geben. Die Gans kräftig mit Salz einreiben, die Keulen an den Enden kreuzen und mit Küchengarn zusammenbinden. Die Gans in einen Bräter setzen und im 180 Grad heißen Ofen (Ober- und Unterhitze) 2 Stunden garen, dabei immer wieder mit dem austretenden Fett beschöpfen. Temperatur auf 150 Grad reduzieren und weitere 2 ½ Stunden garen.
  2. Für die Sauce Gänseklein waschen und (bis auf die Leber) grob stückeln, Hals und Gänseflügel grob hacken. Das entnommene Fett aus der Bauchhöhle in eine kalte Pfanne geben, langsam erhitzen und auslassen, bis der Pfannenboden dünn mit flüssigem Gänsefett bedeckt ist. Übriges Fett entfernen. Restliche Zwiebeln, Möhren und Sellerie waschen, grob stückeln und mit dem Gänseklein, den Flügeln, dem Hals und den Pilzen im Gänsefett sehr dunkel anrösten.
  3. Piment und Lorbeer zugeben, mit Salz, Pfeffer und Zucker würzen, mit Rotwein ablöschen. Offen 10 Minuten einkochen. Gänsefond zugeben und offen 25 Minuten einkochen. Die Sauce durch ein Sieb passieren und beiseitestellen.
  4. Die gegarte Gans im abgeschalteten Ofen 15 Minuten ruhen lassen. Die Sauce aufkochen. Speisestärke mit Orangensaft und Honig glatt rühren und die Sauce damit binden. Zügig einrühren, einmal aufkochen, eventuell mit Salz und Pfeffer nachwürzen. Von der Gans die Keulen abtrennen, die Brustfilets am Brustbein entlang aufschneiden und vom Knochen lösen. Mit den Äpfeln und Zwiebeln auf einer vorgewärmten Platte anrichten und mit der Sauce servieren. Dazu passen Rotkohl und Kartoffelklöße.

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Aus Effilee #13, Nov/Dez 2010
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