Herr Fehling, haben Sie einen Favoriten aus dem Menü, über den wir sprechen wollen?
Auster und Aal?
Sehr gut, das ist auch mein Favorit, ein wirklich spannender Gang.
Ja, für uns auch. Das war vorher nämlich ein ganz anderer Gang, der auch vom Michelin hoch gelobt wurde. Wir haben da die Auster mit Eisbein, Sauerkraut, Bratkartoffelgel mit Meerrettichstaub und Petersilienemulsion gereicht. Bei der Weiterentwicklung haben wir aber alles verändert, außer der Auster. Die Auster wurde genauso hergestellt, und dann haben wir die gleiche Anrichtweise genommen, aber alles ausgetauscht. So entstand eine völlig neues Geschmacksbild: Vorher war es Petersilienemulsion, jetzt ist es Korianderemulsion. Der Meerrettichstaub wurde zum Wasabistaub. Den Aal in der japanischen Zubereitung als Unagi fand ich immer schon gut: Wenn ich in Hamburg bin, gehe ich gern ins Restaurant Matsumi essen und da bestelle ich jedes Mal Unagi. Mehr geht nicht.
Das wollte ich selbst auch hinbekommen. Da muss man sicher in der Methode sein, wenn man das einem japanischen Meister so von der Hand nimmt. Gerade jetzt, wo wir drei Sterne haben, muss ich ja damit rechnen, dass auch Gäste aus Japan kommen.
Wir haben bestimmt drei, vier Monate dran gearbeitet bis wir diesen Unagi-Aal produzieren konnten. Dazu kommt ein Fond aus Yuzu, Apfel und Gurke, eigentlich alles nur entsaftet und abgebunden, mehr ist das gar nicht. Eine Prise Salz und das Dashi-Tapioka für das Umami - fertig.
Wie bereiten Sie die Austern zu?
Die Auster wird ausgebrochen. Wir nehmen die Umami-Auster, die wird speziell auf diesen Geschmack hin gezüchtet. Wir lassen auch den Knorpel drin, weil der eine interessante Textur gibt. Die Auster wird auf einem Teller mit etwas Austernfond in den Wärmeschrank gestellt und bei 50 Grad zwanzig Minuten temperiert. Dazu gibt es Reisgel, Reisknusper und ein bisschen Alge. Im Grunde genommen könnte man auch sagen: Es ist ein dekonstruiertes Sushi.
Wie bereitet man denn so einen Unagi-Aal zu?
Zuerst wird frischer Aal ganz normal gegrillt. Die Japaner nehmen dafür einen Holzkohlegrill, aber wir benutzen dafür die Pfanne. Das Ergebnis ist besser, wenn wir den Aal mit richtig Power und beschwert von beiden Seiten anbraten. Erst auf der Haut, damit er sich nicht wellt. Dann kochen wir einen Grundfond aus Dashi, Sojasauce, Reiswein und relativ viel Zucker. Darin wird der Aal gekocht. Ganz wichtig, wenn man ihn gekocht hat, ist, dass er dann stark beschwert gekühlt wird, sodass das Fett wieder anzieht, damit er in schöne Stücke geschnitten werden kann. Dann gibt es noch einen ähnlichen Fond, in dem noch mehr Zucker ist, der wird reduziert. Und darin wird der Aal dann à la minute glasiert.
Da freut sich der Gast!
Ja, der Aal macht Spaß. So etwas kann man dann auch mal wieder auf die Karte nehmen. Normalerweise ist unsere Devise ja, die Gerichte auf der Karte nie wieder so draufzusetzten, wie sie mal waren, weil mir eine kontinuierliche Weiterentwicklung sehr wichtig ist. Eigentlich nach dem Vorbild von Ferran Adrià, dass ein Menü einzigartig ist und nie wieder kommt. Was wir machen, ist eben keine Kunst, die für zweihundert Jahre an den Wänden hängen kann, sondern es ist vergänglich.
Wie fühlt man sich denn als einer, der es geschafft hat?
Weiß ich noch nicht, habe ja erst ein Kind!
Gute Antwort. Haben Sie keine Angst davor, die nächsten dreißig Jahre das Erreichte verteidigen zu müssen?
Nein. Ich sehe das nicht als Kampf. Ich mache das, was ich möchte. Als ich damals den ersten Stern bekam, hatte ich mich sehr darüber gefreut. Da habe ich geschrien, da habe ich geweint, da habe ich alles rausgelassen, weil der Druck so groß war, diesen ersten Stern zu erkochen. Und es hatte ja auch drei Jahre gedauert. Und ich hatte jedem davon erzählt und gesagt: ›Ich schaff das, ich schaff das!‹ - mit einem Selbstbewusstsein, wo es kein Zurück mehr gibt. Und mit dem ersten Stern hatte ich eigentlich mein Ziel erreicht.
Aber wenn ich damals mit Kollegen telefonierte, hieß es immer nur: ›Zwei Sterne, jetzt müssen zwei Sterne her!‹. Und ich habe gedacht: Entspannt euch doch mal, genießt doch, was wir haben. Mir war das erst einmal gar nicht wichtig, ich wollte einfach nur besser werden. Aber als dann gleich drei Jahre später der zweite Stern da war, habe ich unser Potenzial noch deutlicher erkannt und habe gesagt: ›Jetzt kochen wir drei!‹
Und als die da waren?
Das war natürlich das Maß aller Dinge, ein richtig grandioses Gefühl. Und ich gehe jetzt schon ein bisschen schärfer an die Sache ran, hinterfrage vieles mehr. Man ist noch skrupelloser.
Was heißt skrupellos? Meinen Sie, was die Kosten betrifft?
Wenn man jetzt Qualität mit Kosten gleichsetzt, vielleicht ja. Die Qualität muss stimmen. Und wenn das beste Perlhuhn sieben Euro mehr kostet, als das zweitbeste, dann kaufe ich das beste. Anders geht es gar nicht.
Sind Sie denn jetzt ausgebucht?
Eigentlich ist Travemünde ein Reiseziel für die Sommersaison. Da ist es für uns schon etwas Besonderes, dass wir jetzt auch außerhalb der Saison die ganze Zeit ausgebucht sind. Im Winter kommen nicht so viele Gäste. Ab Mai oder Juni sind hier Menschenmassen auf der Promenade, aber außerhalb der Saison ist es für uns in Norddeutschland nicht so einfach.
Was glauben Sie, woran das liegt?
Ich denke, wir als Gastronomen oder Spitzenköche haben uns schneller entwickelt als die Gäste. Sehen Sie sich den Michelin von vor fünf Jahren an, was dort drinstand an Ein-Sterne-, Zwei-Sterne- und Drei-Sterne-Restaurants und wie viel mehr das heute sind. In der Zeit kommen ja nicht so viele kulinarisch interessierte Gäste nach. Der dritte Stern hilft jetzt natürlich, das Restaurant kontinuierlich zu füllen. Wir haben einen großen Umsatzzuwachs und hoffen, das auch langfristig halten zu können.
Wie würden Sie das Konzept Ihrer Küche beschreiben?
Das Konzept ist eine weltoffene Küche, sehr kreativ umgesetzt mit absoluter Perfektion. Zumindest versuchen wir die irgendwann zu erreichen, wenn es die denn gibt. Wir wollen einen lockeren Service, der trotzdem sehr diszipliniert und professionell ist. Und wir wollen den Gast überraschen, bei jedem Gang. Auch wenn da Hummer Thermidor steht. Er soll sich freuen, lächeln und ein Geschmackserlebnis haben, das er bis dahin noch nicht kannte. Ähnlich wie im Fat Duck oder elBulli, aber unabhängig von diesem Molekularschnickschnack. Das macht ja mittlerweile jeder zweite Koch in Deutschland: Sphärisierung auf dem Teller - darauf habe ich keine Lust. Das machen wir schon lange nicht mehr. Oder Airs und Schäumchen und anderes, was den Geschmack nicht fördert. Es fängt ja alles beim Geschmack und der Qualität an.
Ich finde, Ihre Küche hat eine schöne Leichtigkeit und ist trotzdem sehr geerdet. Es ist so eine disziplinierte Kreativität …
Klar, auf Teufel komm raus kreativ zu wirken, interessiert mich auch nicht. Eigentlich ist es der falsche Ansatz zu sagen: ›Ich habe eine tolle Idee. Jetzt setze ich das mal um und schaue welches Produkt ich nehme, welche geschmacklichen Verbindungen.‹ Zuerst muss ein Grundprodukt da sein, zum Beispiel Gänsestopfleber, und dann frage ich mich, wie bringe ich sie rüber? Bringe ich sie süß, bringe ich sie würzig und etwas scharf wie bei uns? Es gibt da viele verschiedene Gedankengänge und unterschiedliche Ansätze.
Ich denke, es ist so etwas wie kulinarische Intelligenz. Ich weiß selber nicht, woher es kommt. Es ist einfach da. Sie können sich das so vorstellen: Die oberste Schublade ist Fleisch, die nächste Fisch, Gemüse, Obst, Gewürze, Texturen, Temperaturen - und ich jongliere damit im Kopf. Und dann kommt etwas dabei raus und es ist gut. Es macht Spaß, wenn man unbefangen an die Sache rangeht. Dann kommt es auch ganz von alleine.
Wen gibt’s denn, der Sie beeinflusst hat oder noch beeinflusst?
Mich beeinflusst keiner mehr. Der Prozess ist abgeschlossen. Nicht so wie der klassische Sous-Chef, der sieben, acht Jahre beim Küchenchef war und dann irgendwann selbst Küchenchef wird und kocht wie sein alter Meister. Das habe ich nie gemacht. Aber ich habe den Perfektionismus von Harald Wohlfahrt gelernt. Ich denke diesen Perfektionismus muss man einmal selbst erlebt haben. Das hat mich auf jeden Fall geprägt, obwohl ich da nicht besonders lange war, nur ein Dreivierteljahr. Den Herrn Wohlfahrt schätze ich schon sehr, er ist ein guter Mensch. Und Wahabi Nouri vom Piment in Hamburg. Der ist auch heute noch ein guter Freund. Da war ich ein Jahr Sous-Chef. Das sind die zwei Personen.
Wie lange bleiben die Köche in der Regel bei Ihnen?
Ich glaube schon überdurchschnittlich lang. Wir haben ein ganz gutes Arbeitsklima. Ich bin sehr ruhig in der Küche und ich glaube, wir haben sehr viel Spaß. Eigentlich bin ich ein lockerer Typ, aber trotzdem natürlich total diszipliniert, wenn es ums Kochen geht.
Siezen Sie sich in der Küche?
Also, ich werde gesiezt und ich duze. Auch komisch, nicht?
In der Küche ist das, glaube ich, durchaus üblich.
Ich bin halt der Chef.
Wissen Sie, was Sie anders machen als andere Köche, die auch sehr gut kochen und drei Sterne anstreben? Mit einem kleinen Tipp könnte ich das Heft teuer verkaufen.
Ja, mich würde es auch interessieren, damit ich es weiter nutzen könnte für die Zukunft. Aber das wird man nicht herausfinden, deshalb ist der Michelin ja der Michelin. Ich sage mir: ›Okay, ich habe irgendwas richtig gemacht und mache das weiter so. Ich gehe meinen Weg.‹Das machen ja auch die wenigsten.
Zitat: „Mich beeinflusst keiner mehr. Der Prozess ist abgeschlossen. Nicht so wie der klassische Sous-Chef, der sieben, acht Jahre beim Küchenchef war …“
Oha, er ist also der Größte und keiner kann ihm mehr etwas zeigen?! Wenn das mal nicht Selbstbewusstsein ist. Merkwürdig nur, das andere Spitzenköche das so ganz anders sehen. Die lassen sich gerne noch von kreativen Ideen beeinflussen …