Muss denn Wein so teuer sein?

Früher war alles besser. Vor allem beim Wein. Da waren schlechte Weine billig – leider häufig auch untrinkbar – und gute waren teuer. Da trank man die guten Weine erst Jahre, manchmal Generationen nach der Lese, und bei den schlechten war man gut beraten, sie möglichst innerhalb weniger Monate zu ›vernichten‹

Muss denn Wein so teuer sein?
Muss denn Wein so teuer sein?

Die alten Gewissheiten sind passé. Nicht nur, aber vor allem beim Wein. Da gibt es auf der einen Seite unzählige billige – vielleicht sagen wir besser preiswerte – Angebote von durchaus trinkbarer oder sogar guter Qualität. Und auf der anderen haben sich die Preise der wirklich außergewöhnlichen, seltenen Spitzen- und Kultgewächse in atemberaubendem Tempo in unbekannte Höhen geschraubt. Fünfhundert, tausend, eintausendfünfhundert, zweitausend Euro? Wer bietet mehr? Für manche, wenige, mögen auch diese Preise noch aus der Portokasse zu bezahlen sein, für die meisten sind solche Weine unerschwinglich.
Da muss es nicht wundern, wenn das Thema Weinpreise unter Freunden erlesener Roter und Weißer heute zu den emotionalsten überhaupt gehört. Wann immer in den einschlägigen Netzwerken – allen voran Facebook – die Rede auf Preise kommt, geht der Puls der Beteiligten hoch, die Beiträge werden heftiger und die Latte der Kommentare wird lang und länger.

Lagerdenken

Eigentlich kreisen diese Diskussionen immer um zwei Fragen: Müssen teure Weine wirklich so teuer und können nicht auch preiswerte Weine sehr gut sein. Wenn dann die Weintaliban aufeinanderprallen, bleibt meist eine mögliche Lösung außen vor, nämlich die, dass vielleicht alle Recht haben. Oder keiner, was ungefähr auf dasselbe hinausliefe. Den einen ist alles, was über zwanzig Euro kostet, unsittlich teuer, den anderen kein Wein gut genug, für den sie nicht (mindestens) so viel ausgegeben haben.
Es ist eine typische Weindiskussion mit klar abgegrenzten Lagern, wie sie im Falle anderer Konsum- und Luxusgüter undenkbar wäre. Oder haben Sie schon einmal erlebt, dass sich beim Bugatti Veyron, beim Picasso-Gemälde oder der Patek Philippe jemand darüber beschwerte, sie seien zu teuer? Obwohl, oder vielleicht gerade weil auch sie kaum jemand sich leisten kann? Aber eine Flasche Wein? Die vielleicht nicht mal für den netten Abend zu zweit reicht? Das kann doch nicht sein!
Die Diskussion basiert auf einer Fehleinschätzung, nämlich der, dass die Produktionskosten eines Liters Wein eigentlich immer dieselben seien. Drei oder fünf Euro maximal – mehr könne das doch wirklich nicht sein, glaubt nicht nur der gemeine Freund des Discounter-Regals, sondern selbst der Großteil der Winzer, die dieses Regal beliefert haben. Was bei der Karosse, bei der Rolex oder bei Haute Couture als selbstverständlich gilt, dass nämlich die Luxusbrüder des VW Polo, der Swatch und des Kleids von der Stange schon bei den Kosten für Material und Arbeitszeit Lichtjahre von ihren armen Verwandten entfernt sind, soll beim Wein nicht gelten.

Billig und gut

Aber fangen wir der Einfachheit halber am unteren Ende der Preisskala mit unserer Betrachtung an. Ja, es ist tatsächlich so, dass die Gestehungskosten von Weinen extrem niedrig sein können. Dann nämlich, wenn die Arbeit im Weinberg großflächig maschinell zu erledigen ist, wenn die Arbeitskosten niedrig sind, der Einsatz an Spritzmitteln zu vernachlässigen ist und die Kellerarbeit in Größenordnungen erfolgt, die sich der kleine Winzer nicht einmal räumlich vorstellen kann. Wenn modernste Kellertechnik und die Hilfsmittel der Önologie jedes Risiko ausschließen helfen und die Wertschöpfungskette an jedem Glied auf Effizienz und Kostenersparnis getrimmt ist. Ein Euro pro Liter kann dann schon sehr viel sein.
Großindustrielle Fertigung und die moderne Önologie haben aber – wenn auch leider nicht immer und überall – dafür gesorgt, dass selbst auf diesem niedrigen Preisniveau gute, saubere, im Idealfall sogar leckere Produkte erzeugt werden können. Gab es im Preisbereich unter drei oder fünf Euro für den anspruchslosen Weinfreund früher allenfalls die Alternative grimassensauer oder pappsüß, so hat er heute die Qual der Wahl zwischen anständigen Getränken aus aller Herren Länder.
Mehr noch! Wenn industrielle Produktionsweise, niedrige Lohnkosten, vielleicht noch ein außergewöhnlich guter Jahrgang und der Wille, die eigene Marke durch ein oder zwei besonders gute Etiketten zu veredeln zusammenkommen, dann können unter diesen Bedingungen und zu solchen Preisen sogar Weine entstehen, die ohne Mühe mit Premiumgewächsen mithalten können. Solche Weine findet man vor allem in den Anbaugebieten, deren Renommee kein für die Erzeuger wirklich befriedigendes Preisniveau zulässt, weil sie zu unbekannt sind oder kein Prestige genießen. Ich selbst habe zum Beispiel in der südspanischen Extremadura, im nördlichen Navarra oder auch in einigen portugiesischen Regionen Weine verkosten dürfen, die ohne Mühe mit Edelgewächsen zum zehn- oder zwanzigfachen Preis mithalten konnten.
Das sind die Schnäppchen, nach denen Weinfreunde besonders gern jagen, die Gegenstand von Insiderempfehlungen in den Social Media sind. Aber sind solche Weine die Regel? Natürlich nicht, und sie zu finden, erfordert mehr als nur den flüchtigen Blick über die Regale von Supermarkt oder Discounter.

Qualität kostet

Denn im Prinzip kostet es Geld, viel Geld sogar, um einen wirklich hochwertigen, in Geruch und Geschmack ausdrucksstarken, individuellen, vielleicht sogar noch lagerfähigen Wein zu erzeugen. Das fängt schon im Weinberg an: niedrige Erträge, sorgfältige Weinbergsarbeit über das ganze Jahr, präzises Bestimmen des besten Lesetermins kosten Arbeitszeit und damit Geld. Wer den Traubenbehang im Sommer gegebenenfalls radikal ausdünnt – sprich, überschüssige Trauben abschneidet und wegwirft, damit sich die restlichen umso besser entwickeln können – der macht häufig einen deutlich besseren Wein, zahlt dafür aber ebenfalls mit seiner Arbeitszeit und mit niedrigeren Mengen. Wenn der Weinberg eine Steillage ist, die einen zwei-, wenn nicht dreifachen Arbeitseinsatz im Vergleich zu flacheren Weingärten verlangt, dann ist der Winzer komplett bedient.
Wer schließlich im Keller sauber, um nicht zu sagen pingelig arbeitet, wer modernste Kellertechnik bis hin zur Abfüllung einsetzt, wer die Weine vielleicht noch in teuren, kleinen Fässern aus neuem Holz reifen lässt, wie es für viele der großen Rotweine der Welt die Regel ist, der zahlt für all das erneut aus seiner eigenen Tasche. Erst einmal, jedenfalls. Solange er nicht vom Verbraucher mit höheren Erträgen belohnt wird.
Es hat schon seinen Grund, wenn vor allem in den 1980er- und 1990er-Jahren, als in fast allen Ländern Europas die Tendenz weg vom Massen- und hin zum Qualitätsweinbau ging, junge ambitionierte Winzer von ihren eigenen Vätern enterbt wurden, weil sie zu konsequent auf Ertragsreduktion und moderne Kellertechnik setzten: Die Angst vor dem Ruin und der Armut steckte den Alten noch viel zu fest in den Knochen, und Trauben wegzuwerfen galt als Sakrileg. Oder, wie es der bekannte Elsässer Winzer Marc Kreydenweiss einmal ausdrückte: »Wer hochwertigen Wein erzeugen will, der muss erst einmal zehn Jahre investieren. Wenn er Glück hat, kann er danach den Lohn der Mühe ernten.«
Wie hoch die Gestehungskosten für die wirklich guten, großen Weine im Einzelfall werden können, hat kürzlich einmal Jean-Michel Valette, der Chef der Online-Weinhandelsfirma Vinfolio und der britischen Masters of Wine vorgerechnet. Er setzte sich dabei mit dem weitverbreiteten Vorurteil auseinander, die Süßweine der Bordelaiser Appellation Sauternes seien die mit den höchsten Produktionskosten der Welt. Valette dagegen wies nach, dass sich nach Aufrechnung der Kapitalkosten für das Land – bei berühmten Gütern des Bordelais teilweise horrende Summen –, der Kosten für die Arbeit in Weinberg und Keller sowie für Abfüllung beziehungsweise Ausstattung, und unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Hektarerträge für einen Spitzen-Sauternes ein Gestehungspreis von siebzehn Euro pro Flasche ergab, für einen zum Vergleich herangezogenen Topwein aus dem Anbaugebiet Pauillac dagegen die Summe von neunundzwanzig Euro pro Flasche.
Neunundzwanzig Euro pro Flasche! Und da haben wir noch keinen Cent für die Vermarktung, für PR und Werbung, für die kostspielige Teilnahme an Messen und Präsentationen in aller Welt eingerechnet. Es dürfte auch dem geizigsten Schnäppchenjäger einleuchten, dass ein solcher Wein in Anbetracht der üblichen Großhandels- und Handelsmargen kaum weniger als hundert, eher vielleicht sogar hundertfünfzig Euro pro Flasche kosten kann, wenn er beim Endverbraucher ankommt. Ein wirklich großer Wein, das gilt heute noch mehr als früher, ist immer teuer in der Gestehung. Wobei ich von Weinen spreche, die nicht nur die Qualitätsspitze ihres Anbaugebiets oder Landes repräsentieren, sondern auch über Jahre und Jahrzehnte lager- und entwicklungsfähig sind.

Sind teure Weine wirklich besser?

Natürlich sind wir da noch nicht bei Preisen von fünfhundert, tausend oder zweitausend Euro aber – ganz wie bei Luxuskarossen und teuren Uhren – lassen sich die Erzeuger der besten und seltensten Produkte natürlich ihren prestigeträchtigen Namen, die Begehrtheit ihrer Flaschen teuer bezahlen. Und natürlich sind die Gewinnmargen bei solchen Prestigeprodukten wesentlich üppiger als bei Massenprodukten. Das übrigens auch über alle Produktgenres hinweg. Wie es der Weinkritiker Mario Scheuermann einmal sinngemäß formulierte: So lange es mehr Menschen gibt, die bereit sind, für einen Château Latour oder Lafite tausend Euro und mehr zu bezahlen, als die Weingüter Flaschen produzieren können, so lange werden solche Weine eben auch zu diesen Preisen gehandelt.
Stellt sich die Frage, ob man diese Weine wirklich braucht, ob sie wirklich so viel besser sind als preiswertere und einfachere. In der Regel ist das tatsächlich so, auch wenn es oft bestritten wird. Das erlebe ich immer wieder: Wann immer ich Gästen oder Freunden Weine aus meinen Verkostungen vorsetze – natürlich ohne ihnen zu verraten, wie ich sie bewertet habe oder wie viel sie kosten –, kann ich sicher sein, dass in der Regel die sehr guten und sehr teuren von einer Mehrzahl meiner Versuchskaninchen auch zu ihren eigenen Favoriten erklärt werden.
Und mal ehrlich: Glaubt denn wirklich jemand, dass so viele Menschen Fantasiesummen für Wein ausgeben würden, wenn sie dafür nicht auch besondere Qualität bekämen. Natürlich ist es richtig, dass so genannte Etikettentrinker ihre Flasche Margaux oder Mouton, Sassicaia oder Grange nur deshalb kaufen, weil sie mit ihr angeben wollen, nicht, weil sie sich wirklich am Weingenuss ergötzen. Und ein gewisser Teil der Produktion dieser Kultweine landet sicher auch bei Spekulanten, denen es weniger auf den Geschmack als auf die Wertanlage ankommt. Aber das betrifft überschaubare Mengen, und wenn die Weine nicht wirklich besser, viel besser wären als das, was man im Supermarkt kaufen kann, dann wäre es wahrscheinlich auch mit ihrer Eigenschaft als Wertanlage nicht weit her. Ganz wie bei Gemälden, Luxusuhren, Autos oder Briefmarken.
Denn, ja: Ein großer Wein ist ein großer Wein ist ein großer Wein! Egal, was die bezahlten und unbezahlten Apologeten von Rewe und Edeka, Aldi und Lidl gelegentlich in die Welt hinausposaunen. Und nein! Man muss kein Weinkenner sein, um das zu erschmecken. Das gilt sogar bei verschlossenen, noch unzugänglichen Weine, vielleicht mit den harten Tanninen eines großen Bordeaux ausgestattet, die das Trinken in jungen Jahren zu einer kleinen geschmacklichen Tortur werden lassen können.
Ein großer Wein ist ein großer Wein
Das heißt natürlich keineswegs, dass es nicht auch teure Weine gibt, die ihr Geld nicht wert sind. Denn genau so, wie preiswerte Weine aus den bereits genannten Gründen gelegentlich sehr gut sein können, gibt es teure und sogar renommierte Flaschen, die einer wirklich unvoreingenommenen Probe – am besten blind, das heißt ohne Kenntnis des Etiketts durchgeführt – nicht standhalten und durchfallen. Gerade in den Social Media findet man immer wieder Beiträge, deren Autoren von einer Flasche des einen oder anderen sehr teuren oder Kultwein enttäuscht waren und ihrem Unmut in lauten, heftigen, nicht selten maßlos übertriebenen Kommentaren Luft machen. Verständlich ist das, denn in der Regel haben die Betroffenen für ihren Wein ja viel Geld ausgegeben. Aber solche Erlebnisse sind weit davon entfernt, repräsentativ zu sein, und könnten in vielen Fällen auch auf eine fehlerhafte, vielleicht korkige Flasche zurückzuführen sein.
Ist vielleicht dann alles doch immer noch so einfach wie früher? Nein, es ist wesentlich komplizierter. Gerade in einer Zeit, in der der Weinmarkt immer mehr in eine große, industriell erzeugte Masse von geschmacklich und analytisch geradlinigen, angenehm schmeckenden Markenprodukten und eine kleine, exklusive Gruppe von individuellen, geschmacklich außergewöhnlichen, charaktervollen und authentischen Produkten auseinanderdriftet, in der der Mittelbau es immer schwerer hat, sich auf den Märkten zu behaupten, ergeben deshalb die eingangs erwähnten, oft reichlich ideologischen Diskussion eigentlich keinen Sinn mehr.
Und was passiert, wenn die auseinanderdriftenden Extreme des Weinmarkts erst einmal am Markt durchgesetzt sind, die Fronten zementiert? Wenn es vielleicht am unteren Ende der Skala keinen Anreiz mehr gibt, auf die Qualität der Weine zu achten? Wenn der Absatz vielleicht (wieder einmal) nur noch über die Preisschraube angekurbelt wird? Offene Fragen! Aber das ist dann schon wieder ein ganz anderes Thema. Nur kann man wohl mit ziemlicher Sicherheit sagen: Die Diskussion über teuer und billig, über gut und weniger gut wird uns noch lange begleiten.

Text: Eckhard Supp Foto: Andrea Thode
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Aus Effilee #25, Sommer 2013
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