Deutschstunde: Gebackener Karpfen

Es ist ruhig geworden am Bokeler See in Schleswig-Holstein. Seit einhundertdreißig Jahren feiert man hier in der Karpfen-Hochsaison ein Volksfest. Zum großen Abfischen am letzten Oktoberwochenende wird dem zwanzig Hektar großen See sprichwörtlich der Stöpsel gezogen. Gegen Mittag ist es so weit: Fischer treiben mit fußballtorähnlichen Konstruktionen Karpfen, Schleien, Aale und Hechte vor sich her in Richtung Ablauf. Bei jedem Schritt sinken die Männer in den Wathosen tief ein, immer wieder müssen die Tore aus dem Schlick gehoben und versetzt werden, Knochenarbeit

An der Mündung beginnt das Wasser zu wuseln, schwere Karpfen schwimmen hektisch gegen den Strom, ihre gebogenen Rücken teilen strudelnd das dunkle Gewässer. Die Fische fallen in ein Becken unter dem Auslaufrohr, werden von dort mit Keschern zu den hölzernen Sortiertischen getragen und nach Größe geordnet. Eine Schlammschlacht, Mann gegen Fisch. Und Karpfen sind Kämpfer. Die glitschigen Tiere sind kaum zu fassen, mit muskulösen Schwanzschlägen katapultieren sie sich aus den Händen der schlickbespritzen Helfer in die Luft. Sind die Karpfen sortiert, geht es ins erste Wasserbad, die gesäuberten Fische werden dann in Wannen mit dem Leiterwagen zum nahen Auffangweiher gefahren. Dieses Jahr entfiel das große Volksfest, still liegt der See, nur ab und an ist kurz ein Rücken zu sehen, Aufschub für die Bokeler Karpfen.

Deutschland ist Karpfenland. In den Teichwirtschaften der Pfalz, in Bayern und der Oberlausitz ist von September bis April Saison, der Fisch ist aber vor allem als Fest- und Fastenschmaus in der kalten Jahreszeit beliebt. Schon im Mittelalter galt der schnell wachsende Fisch als stärkende Nahrungsquelle im Winter, er wurde zuerst in klösterlichen Teichen gezüchtet. Bis heute kommt der Karpfen hierzulande aus regionaler Teichwirtschaft, die sich immer öfter in Konkurrenz zu osteuropäischer Aquakultur findet, überwiegend aus Polen und Tschechien. Auch der Klimawandel mit seinen zunehmend heißen Sommern setzt den Teichfischern zu: Karpfen werden in wärmeren Gewässern hyperaktiv. Dieser Stress belastet die gesamte Physiologie, und die Fische werden anfällig für Krankheiten. Tiefergelegte Teiche und Schaufelräder zur Belüftung sollen es erst einmal richten.

Nur geübte Karpfenschlachter schaffen es, auch die Schwanzflosse exakt zu teilen

Von diesen Problemen weiß man auch in den Karpfenhochburgen Bayerns und der Fränkischen Schweiz, etwa die Hälfte der gesamtdeutschen Karpfenproduktion kommt von hier. In den Gasthäusern feiert man den Fisch, gerne klassisch als Karpfen blau aus dem Essig-Sud (siehe Effilee #27) oder knusprig gebacken. Ein Nationalgericht, für das der Karpfen gespalten, also entlang der Wirbelsäule in zwei Hälften geteilt wird. Nur die geübtesten Karpfenschlachter schaffen es, auch die Schwanzflosse exakt mittig zu teilen.

Die Vielfalt des Fisches zeigt sich ausgeprägt bei den Aischgründer Karpfenschmeckerwochen. Nach dem Besuch des Karpfenmuseums in Neustadt an der Aisch schmeckt der Aischgründer Karpfen (»besonders hochrückige und gering beschuppte Gattung«, seit 2012 eine geschützte geografische Angabe) beispielsweise in Bierteig, geräuchert, als Karpfenbratwurst oder als Sushi. Ich mochte den gebackenen Karpfen im Brauerei-Gasthof Prechtel in Uehlfeld am liebsten, dort gab es dazu noch ein hervorragendes Bier!

Gebackener Karpfen

Für 2 Personen
  • 6 l Pflanzenfett oder Pflanzenöl zum Frittieren
  • ca. 150 g Mehl
  • ca. 300 g Semmelbrösel
  • 1 Karpfen, ca. 1,8 kg, küchenfertig, vom Händler gespalten (entlang der Wirbelsäule geteilt)
  • Salz
  1. Öl in einer Fritteuse oder einem Bräter erhitzen. Den Ofen auf 100 Grad schalten.
  2. Mehl und Semmelbrösel am besten auf je einen breiten Streifen Backpapier aufstreuen. Ein tiefes Backblech mit kaltem Wasser füllen.
  3. Die Karpfenhälften unter fließendem Wasser kalt abspülen und trockentupfen. Kräftig salzen und im Mehl wenden. Abklopfen, ins Blech mit dem Wasser tauchen, dann in den Bröseln wenden und die Panade gut andrücken.
  4. Die Hälften nacheinander im heißen Öl schwimmend bei ca. 170 Grad 10 Minuten frittieren. Auf Küchenpapier abtropfen, die bereits gebackene Hälfte im Ofen warmhalten.
Gebackener Karpfen wird klassisch mit Kartoffelsalat serviert.
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Aus Effilee #55, Winter 20/21
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