Nachdem wir uns vier Altbaustockwerke hinaufgearbeitet haben, betreten wir eine von Punk beschallte Wohnung. »Ich hab schon mal die passende Musik angemacht«, begrüßt uns Martina Lenzin. »Das sind alles Schweizer Bands.« Im Flur hängen gezeichnete Portraits der WG-Bewohner und von Freunden. »Die hat meine Mitbewohnerin gemalt. Ich gebe mit ihr zusammen ein Comic-Magazin heraus.« Für das Heft Two Fast Colours zeichnen die beiden selbst, suchen aber auch Zeichner aus aller Welt, deren Strich ihnen gefällt.
In der Küche stehen die schon am Vorabend gekochten Kartoffeln, die die Nacht im Kühlschrank verbracht haben. »Da gibt es einen Konflikt zwischen den Ostschweizern und Bernern«, erzählt Martina, während sie die Kartoffeln pellt. »Die Ostschweizer meinen, dass Kartoffeln für Röschti ums verrecken nicht vorher gekocht werden dürfen. Die Berner dagegen sagen, dass es ohne Kochen gar nicht geht.« Als nächstes müssen die Kartoffeln gerieben werden, beziehungsweise geraffelt, wie der Schweizer sagt. Martina breitet auf der Arbeitsfläche eine Schweizer Zeitung als Unterlage aus und fängt an zu raffeln. »Man sollte auf jeden Fall festkochende Kartoffeln nehmen und die auch nicht zu lange kochen. Sonst bekommt man keine Kartoffelstreifen sondern Brei. In der Schweiz steht auf den Kartoffelsäcken extra ‚Geeignet für Röschti’. Idealerweise soll man schöne Streifen bekommen, die nicht auseinanderfallen.«
Martina kommt aus Nussbaumen im Aargau. »Dort gibt es nichts zu sehen. Die Gegend besteht vor allem aus Feldern und Autobahnen.« Die Hügel sind höchstens 350 Meter hoch, in der Schweiz gilt das als Flachland. »Ich habe zwanzig Jahre gebraucht, um da wegzukommen. Dann hatte ich das Glück, an drei Kunsthochschulen angenommen zu werden und mir eine aussuchen zu können. Ich bin nach Basel gegangen, denn wenn ich nach Zürich gegangen wär, hätte ich zu Hause wohnen müssen. Seitdem habe ich mich nur noch von der Schweiz entfernt.« Im Rahmen des Studiums musste man einen Austausch oder ein Praktikum machen. Martina wollte nach Island, was ihr nicht genehmigt wurde. Auch bei Schottland stellte sich die Hochschule quer. »Wahrscheinlich kannten die Sekretärinnen dort keinen, und es war ihnen zu anstrengend, sich drum zu kümmern. Die Begründungen waren auf jeden Fall recht fadenscheinig. Nach Hamburg gab es offenbar bessere Verbindungen. So wurde es Hamburg.«
»Im Gegensatz zu Kartoffelpuffern kommt bei Röschti kein Mehl ran und keine Eier.« Martina streut etwas Salz über die Kartoffelstreifen und schaut in die Schüssel. »Ich glaube, das sind jetzt genug Kartoffeln. Genaue Mengenangaben kann ich da nie machen. Wenn man viel Hunger hat, nimmt man viele Kartoffeln, wenn man wenig Hunger hat, dann nimmt man eben weniger.« Die Kartoffelmasse kommt in die Pfanne, alles auf einmal, so dass ein mehrere Zentimeter dicker Fladen entsteht. »Das röstet da jetzt auf niedriger Flamme. Wenn es an der Unterseite schön braun ist, muss man die Röschti wenden.« Martina legt noch ein wenig Butter nach. »Hauptsache viel Butter. Wieviel, muss man selbst entscheiden. Oder wie lange man danach joggen gehen will.«
»Eigentlich müsste es jetzt schon zischen«, sagt Martina, als sie Salz und Pfeffer über die Kartoffeln streut. Aber eigentlich nimmt man für Röschti auch eine gusseiserne Pfanne. »Da weiß man, wann man das Teil wenden muss: Wenn es sich beim Rütteln in der Pfanne bewegt und nicht mehr am Boden klebt. Bei diesen Teflonpfannen muss man Glück haben, um die richtige Minute zu treffen. Jetzt weiß ich nicht, wie es drunter aussieht. Ich versuch es einfach mal.« Martina legt einen Teller auf die Röschti und dreht die Pfanne um, so dass der Kartoffelfladen mit der gebratenen Seite nach oben auf dem Teller liegt. Glück gehabt, die Farbe ist ideal goldbraun. Sie lässt die Röschti vom Teller zurück in die Pfanne gleiten, um die andere Seite zu bräunen.
»Ich habe überlegt, was meine Omas gekocht haben. Bei der einen hab ich das komplett verdrängt, weil ich das nicht mochte. Die lebte auf einem ehemaligen Bauerhof, von dem nur die Kaninchen übriggeblieben sind, die wir dann nach und nach aufgegessen haben«, erzählt Martina, die seit langem eine kaninchenresistente Vegetarierin ist, während sie in einer Miniaturpfanne nacheinander Spiegeleier brät und Speck für die fleischfressenden Gäste. Die Röschti bleibt auf niedriger Temperatur in der Pfanne.
»Oh, der Dürrenmatt ist kaputt«, sagt Martina, als sie die angerichtete Röschti serviert. Leicht besorgt schaut sie unter den Tisch. Da liegt der Dürrenmatt leicht zerfleddert unter einem Tischbein, um den unebenen Boden auszugleichen, wie zum Beweis, dass die Schweizer Literatur wesentlich vielfältigeren Nutzen hat, als mancher glaubt. »Röschti kann man nach Belieben variieren. Man kann vorher gebratene Speckwürfel zwischen die Kartoffelstreifen rühren, wenn man kein Vegetarier ist, oder Käse hineinmischen. Und drauftun kann man natürlich auch, wozu man Lust hat.«
Wir sind ganz froh, keine Vegetarier zu sein, denn der Speck macht sich auf den Röschti ganz ausgezeichnet. Und wenn sich dann noch das Eigelb mit den Kartoffeln vermischt, wird es perfekt. Ein kleiner Lauf über einen 350-Meter-Hügel würde danach aber vermutlich wirklich nicht schaden.
Röschti
- 1 kg festkochende Kartoffeln
- Butter, Salz, Pfeffer
Nach Belieben
- Ei, Speck, Käse
- Am Tag vorher Kartoffeln kochen und über Nacht kühl lagern.
- Kartoffeln reiben und salzen.
- In einer Pfanne einen ordentlichen Klacks Butter erhitzen und die Kartoffelmasse dazugeben, leicht andrücken. Bei niedriger Temperatur braten. Noch mal salzen und pfeffern.
- Nach etwa 15 Minuten (oder wenn die Kartoffeln in der gusseisernen Pfanne nicht mehr am Boden kleben) die Röschti wenden. Auch die andere Seite mit Salz und Pfeffer bestreuen.
- Spiegeleier und Speck braten.
- Röschti in vier Teile teilen und mit Speck und Eiern servieren.