Matjes Hausfrauenart

Für Matjesfreunde ist einmal im Jahr Festzeit: Ende Mai bis Anfang Juni fahren die Fischer aus den Niederlanden, Dänemark und Norwegen hinaus auf Nord- und Ostsee, werfen ihre Netze aus und ziehen das Silber der Meere an Bord. Die glänzenden Jungheringe sind zu dieser Zeit zwischen drei und fünf Jahre alt. Sie haben sich den Winter über im Nordatlantik mit eiweißreichem Plankton fett gefressen und schwärmen nun zum Laichen in südlichere Gewässer. Während ihrer Reise sind die Heringe noch nicht geschlechtsreif, Rogen und Milch sind nicht ausgebildet. Das ist wichtig, was schon der Name verrät: Matjes ist die Kurzform des holländischen Maatjesharing, des Mädchen- oder Jungfrauenherings.

Die Verwandlung des Jungfisches in Matjes haben wir einer Nachlässigkeit zu verdanken. Eher aus Versehen entdeckte der Niederländer Wilhelm Beukelzoon im Jahre 1395 die Methode zur enzymatischen Reifung der Heringe, die bis dahin lediglich in Fässer eingesalzen und konserviert worden waren. Beim Ausnehmen der Heringe entfernte der wackere Fischer zwar die Innereien, übersah dabei aber die Bauchspeicheldrüse und staunte später beim Blick ins Salzfass nicht schlecht – die Fische waren fermentiert. In Zusammenwirkung mit dem Salz hatten die Enzyme der Bauchspeicheldrüse den Fisch in eine butterzarte Delikatesse verwandelt.

An diesem Prozedere hat sich seitdem nicht viel geändert: Fünf bis sieben Tage reifen die bereits auf See eingesalzenen Fische in Kantjes, Holzfässern, bevor sie gehäutet und entgrätet als Filets oder Doppelfilets auf den Markt kommen. Weil Matjes als Frischfisch deklariert wird und leicht verderblich ist, wird die fette Beute bereits unterwegs eingefroren. Spätestens Mitte Juni gibt es dann den neuen Heringsjahrgang.

Früher gab es auch deutsche Matjes. 13 deutsche Städte, darunter Emden, Cuxhaven und Glückstadt an der Elbe, besaßen große Flotten von Heringsloggern. Doch als in den Sechzigerjahren die Heringsbestände zusammenbrachen und die Fangquoten gedrosselt wurden, sorgte eine staatliche Abwrackprämie zur raschen Auflösung der deutschen Heringsliga. Ende der Siebzigerjahre schlummerte das mühsame und immer weniger ertragreiche Geschäft endgültig ein – der letzte Logger lief 1975 in den Hafen von Glückstadt ein. Die Niederländer dagegen blieben im Heringsgeschäft, das heute überwiegend maschinell und automatisiert abgewickelt wird.

In Glückstadt befindet sich die einzige Matjesmanufaktur Deutschlands

Dennoch wird bis heute importierter Hering aus den Niederlanden und Norwegen in Deutschland zu Edelmatjes verarbeitet, und zwar wie früher: in Handarbeit. In Glückstadt befindet sich die einzige Matjesmanufaktur Deutschlands: 150 Tonnen Fisch im Jahr, entgrätet und gehäutet, legen Henning Plotz und seine 30 Mitarbeiter ein, in der Hauptsaison 20 000 Filets pro Tag.

16 bis 18 Prozent Fettanteil hat der Glückstädter Matjes – andernorts begnügt man sich mit 12 Prozent. Nur jungfräuliche Heringe aus der Nordsee werden verarbeitet, weil sie festfleischiger sind als die Heringe aus der wärmeren Ostsee. Und der Zusatz von naturidentischen Enzymen zur schnelleren Reifung der Fische ist tabu.

Das ist ein Grund zum Feiern. Jedes Jahr am dritten Donnerstag im Juni beginnen die Glückstädter Matjeswochen mit dem traditionellen Matjesanbiss durch den Bürgermeister. 2004 schlängelte sich in der Kleinstadt nördlich von Hamburg die wohl längste Matjestafel der Welt durch die Altstadt: Auf zwei Kilometern Länge bogen sich die Tische nahtlos unter 30 000 Matjesfilets, eineinhalb Tonnen Sauce, 20 000 Scheiben Schwarzbrot, 400 Kilogramm Butter und 200 Kilogramm Zwiebeln – 6000 Menschen kamen zu diesem Matjesessen.

Ins Guinness-Buch der Rekorde hielt die Glückstädter Tafel trotzdem nicht Einzug – Matjes sei eine regionale Angelegenheit, befand die Redaktion. Die Liebe zum Matjes sorgt in der Tat für ein geteiltes Deutschland: Im Norden und Osten des Landes essen und ehren die Menschen den jungfräulichen Hering, südlich des Mains ebbt die Begeisterung merklich ab.

In Schleswig-Holstein und Hamburg wird Matjes mit Kartoffeln, grünen Bohnen und ausgelassenem Speck (Speckstippe) serviert oder als Kutterbrot auf gebuttertem Schwarzbrot mit Krabben gereicht. Im Rheinland wird der Fisch vom heimischen Reibekuchen begleitet oder mit Salzgurken zu Bratkartoffeln gegessen. Doch auf Matjes Hausfrauenart mit sahniger Sauce, frischen Zwiebeln, Würzgürkchen und Apfelstücken kann sich das ganze Land einigen.

Matjes Hausfrauenart

Für 4 Personen
  • 1 kg festkochende Kartoffeln
  • Salz
  • 1 TL Kümmelsaat
  • 1–2 Doppelmatjesfilets pro Person
  • 50 ml Schlagsahne
  • 200 ml Schmand
  • 1 EL Senf
  • 1 EL Essig
  • 4 Gewürzgurken a. d. Glas
  • Pfeffer
  • 1 Zwiebel
  • 1 Apfel (z. B. Jona oder Elstar)
Zubereitungszeit: 30 Minuten
Zubereitungszeit:
  1. Kartoffeln in Salzwasser mit der Kümmelsaat aufkochen und je nach Größe 15–25 Minuten garen. Matjesfilets kurz unter kaltem Wasser abspülen und trocken tupfen. Auf Tellern oder einer Platte anrichten. Sahne mit Schmand, Senf, Essig und 3–4 Esslöffel vom Gewürzgurkensud aus dem Glas glatt rühren, mit Salz und Pfeffer würzen.
  2. Zwiebel halbieren und in feine Streifen schneiden, Apfel ungeschält achteln, entkernen und die Schnitze in Scheiben schneiden. Gewürzgurken ebenfalls in Scheiben schneiden. Alles unter die Sauce mischen.
  3. Die Pellkartoffeln abgießen. Die Sauce über den Fisch geben und mit den Kartoffeln servieren.
Tipp: Am besten schmeckt der Matjes, wenn er Zeit hat, in der Sauce zu ziehen. Der Fisch kann in die fertige Sauce eingelegt werden und, luftdicht verschlossen, ein paar Stunden oder über Nacht, jedoch nicht länger als 48 Stunden, im Kühlschrank ziehen. Danach sollte er 1–2 Stunden vor dem Essen aus dem Kühlschrank genommen werden, um die optimale Temperatur anzunehmen.
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  1. Ein schönes Rezept, weil simpler Standard. So ähnlich kann man Matjes Hausfrauenart auch im Plastikschälchen bei aldi kaufen.

    An Stelle von Essig rate ich zu Zitronensaft und ein wenig Schalenabrieb, statt Elstar oder Jona zu Boskoop, statt zu Pfeffer zu reichlich weißem Pfeffer.
    Schmand muss nicht sein, ein Gemisch von Naturjoghurt (10 % Fett, vom Griechen oder vom Türken), vermischt mit Sahne, tut es auch.

    Dass Pellkartoffeln das Aroma von Kümmelsaat beim Kochen durch die Schale aufnehmen, glaube ich nicht. Mein Tipp: Nach dem Pellen die Kartoffeln kurz mit wenig Butter, Kümmel und einem feisten Zweig Rosmarin in der Pfanne schwenken.

  2. In seiner Einfachheit bestechend schönes Rezept. Leider schummelt der Fotograf beim auch sehr schönen Bild. Klar sieht der silbrig schimmernde Matjes attraktiver aus als ein in der Sauce marinierter, aber genau diese Herausforderung – den Teller möglichst realistisch abzubilden – macht doch ein gutes Foodstyling aus, oder?

Aus Effilee #16, Mai/Jun 2011
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