Marisco lambe lambe

Ein Muschelrezept aus Brasilien: Lambe heißt lecken, beim Essen nimmt man die Muschelschalen in die Hand und leckt den Reis und das Muschelfleisch heraus

In Barbara Lemmerts Küche hängt eine helle Tageslichtlampe, die Wände sind in einem freundlichen Rotton gestrichen. »In Brasilien ist immer helles Licht in der Küche. Aber in Deutschland sind die Küchen manchmal so dunkel, da kann man gar nicht richtig arbeiten.« Ihre zweieinhalbjährige Tochter Malu liegt mit Fieber nebenan im Wohnzimmer, sie wird von Barbaras Mann Thorsten gepflegt. »Eigentlich heißt sie Maria Luiza. Aber ich mochte die Kurzform immer lieber.«

Die Muscheln stehen in einer roten Schüssel in der Spüle. »Ich habe sie heute Morgen um neun auf dem Markt geholt und gleich in Salzwasser gelegt. Das wechsel ich etwa fünfmal aus. Warum genau, kann ich gar nicht sagen, aber so wurde das bei uns immer gemacht.«

Barbara kam vor vier Jahren nach Deutschland. »Ich vermisse Brasilien nicht, nicht einmal das Wetter. Ich freu mich sogar, dass es hier nur drei Monate im Jahr warm ist.« Sie schaut aus dem Fenster auf den Hamburger Winterhimmel. »Das ist für mich nicht grau da draußen, das ist weiß. Und ich finde es auch gut, dass die Menschen hier zurückhaltender sind. In Brasilien kannst du nicht mal mit der Bahn fahren, ohne dass sich jemand zu dir setzt und redet.«

Nicht umsonst haben viele Brasilianer Probleme mit der Leber.« Wegen des Öls. Und vielleicht auch wegen des Trinkens

»Die deutsche Küche gefällt mir ebenfalls. Ich finde es toll, einfach nur Kartoffeln zu kochen, ohne Zwiebeln und Knoblauch. In Brasilien wird alles mit Knoblauch und Zwiebeln gekocht. Hier schmeckt man die einzelnen Zutaten besser«, sagt Barbara, während sie ein letztes Mal das Muschelwasser austauscht und einen Teelöffel Salz hinzugibt. »Außerdem wird viel mit Öl gekocht. Das ist gut, wenn man später trinken will, aber schlecht für die Leber. Nicht umsonst haben viele Brasilianer Probleme mit der Leber.« Wegen des Öls. Und vielleicht auch wegen des Trinkens.

Barbara ist in der Großstadt Santos im Bundesstaat São Paulo großgeworden, dem wichtigsten Hafen Lateinamerikas. »Da wird viel mit Muscheln gekocht, weil es da viele gibt – kostenlos. Wir haben direkt am Pier gewohnt und die einfach eingesammelt.«

Barbara schneidet mit einem Messer die Seepocken ab und entfernt die Muschelbärte. Dann nimmt sie eine kleine Zahnbürste und putzt sorgfältig die Algen ab. »Muschelputzen ist fast wie eine Therapie. Bei diesem Gericht ist es besonders wichtig, dass die Muscheln sehr gut geputzt sind, weil sie nachher im Reis in der Schale gekocht werden.«

Eine Muschel nach der anderen wandert gründlich geputzt zu ihren Genossen in die Schale. »Für das Gericht habe ich kein Rezept, ich hab das immer aus dem Kopf gekocht. Mit acht Jahren habe ich es zum ersten Mal selbst gekocht. Ich wollte schon früh unabhängig sein.«

Barbara füllt zwei Tassen Reis in ein Sieb. »Der wird jetzt so lange gewässert, bis nichts Weißes mehr rauskommt. Auch wenn das Gericht am Ende aussieht wie ein Risotto, nehmen wir ganz normalen Reis, der aber gut kleben muss. Ich verwende immer Basmati.«

In einen großen Topf füllt Barbara etwas Sonnenblumenöl. »Das ist besser als Olivenöl, das ist oft zu intensiv und bitter.« Sie dünstet drei Knoblauchzehen und eine mittelgroße, kleingehackte Zwiebel an. »Im Restaurant ist oft noch Paprika drin, aber ich finde es mit wenigen Zutaten interessanter.«

Barbara rührt mit einem Holzlöffel den Knoblauch und die Zwiebeln um, die sich langsam golden verfärben. Dann schüttet sie den Reis in den Topf, brät ihn an und rührt weiter um. »Jetzt wird der Reis langsam klebrig – Zeit für die Muscheln.« Mit den Muscheln gibt sie einen Teelöffel Salz und etwas Pfeffer in den Topf. Und rührt. »Das Gericht ist auf jeden Fall gut für die Armmuskeln.« Als der Reis nach einer Weile am Boden des Topfs zu kleben beginnt, gießt sie vier Tassen Wasser dazu.

»Então crianças, vocês estão bem? Em breve eu tampo a panela, aí sim ficará confortável pra vocês.«

Sie beugt sich über den Topf und sagt in einem freundlichen Tonfall: »Então crianças, vocês estão bem? Em breve eu tampo a panela, aí sim ficará confortável pra vocês.« Dann erklärt sie: »Jetzt habe ich mich die ganze Zeit kontrolliert, damit ich nicht mit dem Essen rede. Aber für mich gehört das beim Kochen dazu. Ich spreche mit den Muscheln natürlich nur Portugiesisch. Ich habe sie gefragt, ob es ihnen gut geht, und ihnen gesagt, dass jetzt der Deckel auf den Topf kommt und es dann schön gemütlich wird.«

Nach einer Weile schaut Barbara nach, wie es den Zutaten so geht in ihrer gemütlichen Sauna: »Das Wasser ist beinahe verdampft. Ich schalte jetzt den Herd aus und lass alles noch zehn Minuten ziehen.«

»Lambe lambe heißt eigentlich ‚lecken lecken‘«, sagt Barbara. »Das ist ein wenig zweideutig und manche mögen den Namen nicht. Aber man kann auch Resote do marisco sagen, das ist das Gleiche.«

Barbara füllt die Teller großzügig mit Muscheln und Reis. »Manche streuen noch Petersilie über die Muscheln, mir ist die aber zu kräftig, sie überdeckt schnell den Geschmack von den anderen Zutaten. Aber von der Petersilie bedient sich ohnehin jeder selbst.«

Man nimmt sich die Muschelschalen und leckt mit der Zunge den Reis und das Muschelfleisch heraus. Manchmal hat man Glück und findet in seinem Reis noch etwas Muschelfleisch, das sich vorzeitig aus der Schale gelöst hat. »Das ist immer wie ein Bonus. Aber auch schade. Eine weniger zum Lecken.« Der Reis schmeckt leicht salzig, sehr mild nach Meer. Und wenn was übrigbleibt, kann man ihn sehr gut kalt essen. »Ich werde immer ganz fröhlich, wenn ich das koche. Ich liebe diesen Meergeruch, er erinnert mich an meine Kindheit. Durch Gerüche ist man immer so stark mit der Vergangenheit verbunden.«

Marisco Lambe Lambe

für 4 Personen
  • 1 kg Muscheln
  • 2 Tassen Reis
  • 4 Tassen Wasser
  • 1 Zwiebel, gewürfelt
  • 4 Knoblauchzehen, gewürfelt
  • 1 TL Salz
  • Öl
  • Pfeffer
  • Petersilie
  1. Muscheln gründlich putzen, Algen und Seepocken entfernen. Den Reis waschen und abtropfen lassen.
  2. Zwiebeln und Knoblauch in heißem Öl anbraten, bis sie eine leicht goldene Farbe bekommen. Den Reis kurz anbraten (ca. 1 Minute), dann die Muscheln noch lebend hinzufügen und weiterkochen, bis der Reis anfängt, leicht am Bodentopf anzukleben (ca. 3 Minuten).
  3. Wasser, Salz und Pfeffer zugeben.
  4. Wenn es anfängt zu kochen, Flamme niedrig stellen und warten, bis das Wasser verkocht ist.
  5. Herd ausschalten und das Risotto 10 Minuten ziehen lassen.
  6. Die Petersilie zum Drüberstreuen kleinschneiden und die Muscheln damit individuell anrichten.
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Aus Effilee #30, Herbst 2014
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