Lingua di Vitello in Crema di Acete Balsamico su Letto di Scalogno

Was für ein Rezeptname: Lingua di Vitello in Crema di Acete Balsamico su Letto di Scalogno.

Es klingelt an meiner Tür. Ich gehe meine innere Checkliste durch. Küche aufgeräumt? Nein. Alles in optimal präsentable Form gebracht? Nein. Fein, dann kann‘s ja losgehen. Ich befinde mich in der ungewohnten Rolle des Gastgebers. Aber wenigstens muss ich nicht kochen. Das übernimmt heute Samuele Palazzi, Bassist der italienischen Akustik-Punk-Elektronik-Band The Calorifer is very Hot, deren erstes Album Marzipan in Zurich heißt und die gerade durch Frankreich, Deutschland und die Schweiz tourt. Vor zwei Tagen sprach ich ihn auf einem Festival an, ob er Lust hätte, für uns Zunge zu kochen. »Ich habe das noch nie gemacht, aber als Kind habe ich mal Zunge gegessen. Ich habe schon eine Idee, wie es gehen könnte.«

Samuele kommt mit Nico, dem deutschen Gastgeber der Band, der versucht, zwischen dem deutschen und dem italienischen Zeitgefühl zu vermitteln, oder anders gesagt: für eine grobe Einhaltung der vereinbarten Termine zu sorgen. Beide sind ein wenig angefressen, weil es mit der Zahlungsmoral der deutschen Veranstalter nicht zum Besten steht. Doch sie haben beste frische Zutaten mitgebracht, die Samuele auch gleich ausbreitet: Sellerie, Rosmarin, Salbei, Knoblauch, Schalotten, eine Gemüsezwiebel, eine Kalbszunge. Und eine Flasche Weißwein. »Ich habe spanischen gekauft. Ist doch nur zum Kochen.«

Samuele wohnt auf dem Land, mit zwei Hühnern und zwei Ziegen, von denen eine schwanger ist.

»Ich habe zwar noch nie Zunge zubereitet, aber ich nehme das als Herausforderung«, sagt Samuele. »Kochen ist immer auch experimentieren. Ich versuche, die Zunge so zuzubereiten, wie ich es zu Hause tun würde.« Samuele wohnt auf dem Land, mit zwei Hühnern und zwei Ziegen, von denen eine schwanger ist. »Ich wollte immer Natur um mich haben. In Finale Romania habe ich ein Haus mit Gemüsegarten, einer großen Küche, zwei Schlafzimmern, einem Esszimmer und einem Proberaum, in dem ich so laut Musik machen kann, wie ich möchte. Und das alles kostet fast nichts.«

Samuele legt die Zunge in einen Topf, um sie zu wässern. »Ist es okay, wenn ich das Wasser laufen lasse? Ich gehe dann mal kurz runter ins Café, ich muss eine Kleinigkeit essen. Die Zunge braucht noch eine Weile. Sie muss jetzt erst mal wässern, weil der Geschmack sonst zu intensiv wäre.« Während die Zunge badet und Samuele und Nico essen, schaue ich mir die Zutaten an. Wir sind sehr gespannt auf den Ausgang des Experiments. Samuele kocht viel. »Ich lebe alleine und esse gerne gut«, hat er erzählt. Und er versucht gerne, aus den Sachen, die in seinem kleinen Garten wachsen, jedes Mal etwas anderes herauszuholen. Wenn er nicht mit der Band spielt, betreibt er zusammen mit einem Freund eine Booking-Agentur für Musiker in Italien.

»Ich koche sehr gerne für viele Leute, aber ich lasse mir nie dabei helfen. Ich bin vermutlich ein Ego-Koch«

Frisch gestärkt kehren Samuele und Nico zurück. Samuele macht sich gleich daran, ein paar Stangen Sellerie, eine Mohrrübe und eine große Gemüsezwiebel grob zu zerkleinern. Er setzt das Gemüse und die Zunge mit einem Esslöffel Salz zum Kochen auf. »Ich koche sehr gerne für viele Leute, aber ich lasse mir nie dabei helfen. Ich muss alles selbst schneiden, damit alle Zutaten auch wirklich so sind, wie ich sie haben möchte. Ich bin vermutlich ein Ego-Koch.«

Da unser Fotograf Andrea zu drei Vierteln Italiener ist, ist die Verkehrssprache in meiner Küche italienisch. Das klingt zwar sehr gut, ist aber schade, weil ich kaum etwas verstehe. Doch alles, was wichtig ist, wird übersetzt. Samuele wäscht Salbei und Rosmarin, er schält ein Dutzend Schalotten. »Eigentlich habe ich nach einer anderen Zwiebel gesucht, der Cipolla di Tropea. Das ist eine rote Zwiebel aus Kalabrien, die hat den besten Geschmack. Aber mit normalen Schalotten geht es auch.«

Er schaut nach der Zunge und dreht die Temperatur ein wenig herauf. »Eigentlich könnte die Zunge noch etwas länger kochen, dann wird sie zarter, aber ich versuche, sie gleich mal zu pellen. Wir haben heute Abend noch einen Termin bei einem Internetsender. So um 19 Uhr, glaube ich.« Nico wiegt die Hände und bewegt den Kopf von einer Seite zur anderen, was wohl bedeutet, dass da schon wieder ein italienisches halbes Stündchen eingerechnet ist.

Ich frage Samuele, ob die Zunge nicht erst mal abkühlen soll, bevor er sie schält. »Das macht nichts, ich kann das. Ich koche viel und bin da recht widerstandsfähig.« Er holt sie aus der kochenden Brühe und beginnt sofort, die Haut abzuziehen. »Okay, die ist tatsächlich heiß.« Er lächelt. Andere hätten vermutlich geflucht. Die gepellte Zunge legt Samuele mit Salbei und Rosmarin in eine Auflaufform. Eine halbe Knolle Knoblauch, mit dem Handballen zerdrückt, kommt dazu. Dann gießt er noch ein wenig Wein über die Zunge, damit sie nicht trocken wird. Die Form kommt bei 250 Grad und Oberhitze in den Ofen.

Samuele nutzt die Zeit, um die Schalotten längs in Scheiben zu schneiden und in einer Pfanne mit Olivenöl anzudünsten. In einer anderen Pfanne erwärmt er Balsamico-Creme. »Normalerweise würde ich die selbst machen, aber ich wusste nicht, wie das Mehl heißt, das ich dazu brauche. Also habe ich eine fertige gekauft, aber die schmeckt okay.« Die Zunge wird zwischendurch immer wieder mit etwas Wein benetzt. Er holt sie nach anderthalb Stunden aus dem Ofen, schneidet sie schräg in lange Streifen und gibt sie mit der verbliebenen halben Knoblauchknolle zu den Schalotten.

Während im Ofen noch ein paar Baguettescheiben rösten, richtet Samuele alles auf einer Platte an und gießt ein wenig Balsamico-Creme darüber. »Ich bin jetzt selber neugierig.« Die Zunge hat noch ein wenig Biss, aber das ist keinesfalls unangenehm. »Eigentlich hätte die noch länger kochen können, dann wäre sie zarter geworden. Aber die Richtung stimmt«, sagt Samuele und hat damit vollkommen recht. Doch die Zunge mit ein wenig Biss hat ihre ganz eigenen Qualitäten. Die süße Balsamico-Creme ist eine gelungene Ergänzung zum sanften Zungengeschmack und den milden Zwiebeln. Zusammen mit dem Baguette vermittelt das Essen eine Ahnung davon, wie Samueles Leben in Romania sein muss: beneidenswert.


Lingua di Vitello in Crema di Acete Balsamico su Letto di Scalogno

Für 4 personen
  • 1 Kalbszunge
  • 4–5 Stangen Sellerie, grobgehackt
  • 1 Mohrrübe, grobgehackt
  • 1 Gemüsezwiebel, grobgehackt
  • Salz
  • 1 Bund Salbei
  • 1 Bund Rosmarin
  • 12 Schalotten, in Scheiben
  • 1 Knoblauchknolle
  • Weißwein
  • Olivenöl
  • Balsamico-Creme
  • Baguette
  1. Zunge gründlich wässern und mit dem gehackten Gemüse in einen großen Topf geben. Mit Wasser bedecken, Salz hinzugeben. Mindestens 1 Stunde kochen.
  2. Zunge häuten. Mit einer halben zerdrückten Knoblauchknolle, Rosmarin und Salbei bei 250 Grad Oberhitze in den Ofen geben. Mit Wein begießen. Etwa 1/2 Stunde backen, bis die Zunge dunkelrot ist. Dabei immer wieder drehen und mit Wein begießen.
  3. Schalotten mit etwas Olivenöl andünsten. Zunge in Streifen schneiden, mit dem Rest Knoblauch zu den Schalotten geben. In einer zweiten Pfanne Balsamico-Creme erhitzen. Etwas von der Kochbrühe zu Zunge und Schalotten gießen.
  4. Zunge auf einem Schalottenbett anrichten, mit Balsamico-Creme übergießen. Mit einem Baguette servieren.

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Aus Effilee #6, Sep/Okt 2009
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