Hubaner aus Österreich

Reden wir übers Älterwerden. Schmerzhaftes Thema? Ein Grund mehr, ihm fest ins Auge zu schauen. Schließlich lässt es sich nicht […]

Reden wir übers Älterwerden. Schmerzhaftes Thema? Ein Grund mehr, ihm fest ins Auge zu schauen. Schließlich lässt es sich nicht vermeiden, und die große Kunst des Lebens besteht doch darin, das Unvermeidliche so erfreulich wie möglich zu gestalten. Vielleicht ist es einfacher, von Reife zu sprechen – womit wir schon beim Punkt wären: manche werden tatsächlich mit dem Alter reifer und weiser, andere bleiben so zickig wie zuvor oder verfallen in Altersdepressionen.

Das gilt auch für den Käse. Scheibletten werden nicht besser mit der Zeit (die werden überhaupt nicht; schon allein dies stellt ihren Status als Käse in Frage. Handkäse hingegen, der verändert sich, verkündet dies sehr deutlich und stirbt, wenn er nicht längst verzehrt wurde, nach einigen Wochen den Tod der absoluten Zersetzung. Denn was tut die Zeit mit dem Käse? Sie erlaubt unzählig vielen verschiedenen Mikroorganismen, aktiv zu sein. Die bauen nicht nur Laktose, also Milchzucker, ab und um, sondern auch Eiweiß und Fett. Je mehr Feuchtigkeit dabei im Spiel ist, desto schneller. Milchsäurebakterien zerlegen den Milchzucker, Bakterienstämme und ihre Enzyme futtern Fett und Eiweiß. Dabei produzieren sie kleine, flüchtige Moleküle, von fruchtig-blumigen Estern bis hin zu würzigen Aminosäuren und Schwefelverbindungen – Käsegeschmack. Gleichzeitig verändert sich die Struktur, der Käse wird weicher oder fester, bildet Kristalle oder wird bröckelig, etwa so, wie wir wachsen und unser Körper sich verändert. Irgendwann sind die Falten nicht mehr zu übersehen, die Haare werden grau. Das kann attraktiv wirken oder tragisch, ganz wie beim Käse.

Worauf ich hinauswill? Jeder Käse hat sein vorbestimmtes Alter. Denn alt ist ein relativer Begriff: Ein Hund hat mit zehn Jahren das Rentenalter erreicht, wenn seinem menschlichen Spielgefährten das pickelige Teeniealter erst noch bevorsteht. Ob ein Käse Hund oder Mensch ist, wird durch die Art seiner Entstehung definiert. Je größer und härter, desto mehr tendiert er zu den Menschenjahren.

Mit sieben Monaten ist er geschmeidig und lässt noch Butter und Sahne erahnen …

Wenn der Harzer längst auf dem Schmalzbrot das Zeitliche gesegnet hat, dann steckt der Parmesan noch im milchigen Babyspeck, lässt die in ihm verborgene Persönlichkeit höchstens dank Verkostererfahrung erahnen. Doch auch Lebenswandel und äußere Umständen spielen eine Rolle. Innerhalb der einzelnen Käsekategorien von weich bis hart variiert das Reifepotenzial je nach Herkunft, Jahreszeit und Käser. Außerdem möchte Käse bei der Reifung ebenso einfühlsam begleitet werden wie ein Teenie von Eltern und Lehrern (die in diesem Fall Affineur heißen).

Und damit kommen wir endlich zu dem Prachtexemplar von Hubaner, das sich linkerhand im Rampenlicht sonnt. Denn nach dieser langen Vorrede muss klar und deutlich gesagt werden: Dieser Hubaner stellt eine Art Quadratur des Käsekreises dar. Mit über zwölf Monaten ist er im übertragenen Sinn mindestens hundert Jahre alt, wahrhaft weise – und trotzdem springlebendig! Er stinkt nicht, hat aber jede Menge Geschmack. Er ist dicht im Teig, aber nicht trocken. Und somit eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Denn der Hubaner ist ein Schnittkäse, kein harter klassischer Bergkäse, und noch dazu im Vergleich ein kleiner Kerl von nicht einmal fünf Kilo. Das heißt: vom Wesen her eher Hund als Mensch. Die Sennerei Huban, die ihn in Doren im Bregenzerwald produziert, bietet ihn mit sieben Monaten an, dann ist er geschmeidig und lässt noch Butter und Sahne erahnen, tanzt förmlich über die Zunge und flirtet mit gelben Früchten und Walnüssen.

Auch dann macht er seiner Herkunft alle Ehre. Die Sennerei Huban steht an historischem Orte: Hier wurde 1901 die erste und einzige k. u. k. Landeskäsereischule gegründet, um Lernende aus dem gesamten österreichisch-ungarischen Kaiserreich zu Spezialisten in der Milchverarbeitung auszubilden. Das ergab Sinn: Doren war und ist das milchreichste Gebiet Österreichs. Damals bestand der Auftrag der Schule in der Fabrikation von Laibkäsen nach Schweizer Vorbild – der Emmentaler der Schweizer Bauern war ein Exportschlager und wurde im gesamten Alpenraum kopiert. Doch wie es so mit Kopien geht: Es kamen schwierige Zeiten. Die Käsereischule folgte Kaiser und König, und die Sennerei Huban musste 2009 einen gewagten Neuanfang hinlegen, um die umliegenden Bauern nicht im Stich zu lassen. Um sich mit deren Milch in Käseform am schwer umkämpften Markt durchzusetzen, setzten die Hubaner auf den schneller reifenden Schnittkäse. Mit Erfolg: In Kombination mit dem offensichtlichen Talent von Sennereimeister Thomas Schwarz stellt der hier viel mehr dar, als das schnöde Wort erhoffen ließe, und gewinnt regelmäßig bei allen möglichen Wettbewerben Goldmedaillen.

Doch damit nicht genug – mit Norbert Sieghart kam ein beinahe zufällig entstandener Allgäuer Käseexporteur ins Reifespiel, der unter dem Namen Kaeskuche seit einigen Jahren Spitzenadressen in den USA und Großbritannien mit deutschsprachigem Käse gehobener Art versorgt. Als Quereinsteiger von unbeschwertem Idealismus dachte er sich, was mit sieben Monaten gut sei, könne doch mit zwölf vielleicht noch viel besser sein? Er erahnte gewissermaßen den Menschen im Hund … zu Recht. Den er dann als begeisterter Bayer natürlich der bayerischen Käsespezialistin schlechthin auf die strenge Zunge legte: Seitdem gibt es den jungen, alten, weisen, springlebendigen Hubaner bei Susanne Hoffmann im Tölzer Kasladen auf dem Münchner Viktualienmarkt. So schön kann Alter sein.

Hubaner extra alt
Sennerei Huban
A-6933 Doren
www.sennerei-huban.aterhältlich beim Tölzer Kasladen, u. a. auf dem Münchner Viktualienmarkt
www.toelzer-kasladen.de

Meine Meinung …

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Aus Effilee #40, Frühjahr 2017
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