Der Eingang von Javiers Haus ist vergittert, denn hier, nördlich des Hamburger Hauptbahnhofs, gibt es einerseits schöne, große Wohnungen für Gutverdiener, andererseits aber auch von Drogen oder Armut geplagte Nachbarn - und die könnten einen ungesicherten Hauseingang als Aufforderung zur illegalen Mittelbeschaffung verstehen. Immerhin scheint es zwischen den Bewohnern des Viertels trotzdem eine halbwegs friedliche Koexistenz zu geben.
Oben öffnet uns Javier die Tür zu der Wohnung, in der er mit seinem Freund lebt. Die Wände des Wohnzimmers sind mit alten Stereoanlagen vollgestellt. »Ich muss immer eine wirklich gute Anlage haben und die alten Teile verkaufe ich dann. Aber von einigen kann ich mich nicht trennen, die bleiben eben hier.« Neben diesen Verstärkern und CD-Spielern aus verschiedenen Zeitaltern befindet sich ein Regal mit Audio- und Videomedien aller Formate sowie den entsprechenden Abspielgeräten.
Im Flur und im Wohnzimmer steht ein knappes Dutzend Projektoren für 8mm-Filme, manche sogar handbetrieben. »Die habe ich im Laufe der Zeit zusammengekauft.« Javier öffnet einen kleinen Schrank und holt einige Schachteln und Filmdosen hervor. »Die Filme kaufe ich auf Flohmärkten und bei ebay. Manchmal findet man da wirklich schöne Sachen. Das hier sind Zeichentrickfilme aus den frühen Jahren der DDR.« Javier hält einen Film gegen das Licht, in dem Tiere Verkehrserziehung betreiben. Danach öffnet er eine alte rote Kodak-Pappschachtel. »Das hier ist ganz dünnes Filmmaterial, da muss man wirklich aufpassen.«
Auf dem Küchentisch liegt ein großer Beutel gelben Maismehls. »Ich habe leider kein mexikanisches bekommen«, sagt Javier. »In mexikanischem ist Kalk drin, wie es bei den Olmeken Tradition war.« Die Olmeken waren, neben den Mayas und Azteken, einer der großen Indianerstämme Mittelamerikas. »Die Olmeken haben den Mais einige Stunden in Kalk gekocht, dadurch werden die Eiweiße im Mais für den Menschen verwertbar. Mexikanisches Maismehl schmeckt anders und eignet sich auch besser zum Backen, aber wir versuchen es jetzt mit diesem hier.« Javier schüttet etwas Mehl in eine große Schüssel, streut eine Prise Salz drüber, knetet und schüttet nach und nach Wasser hinzu. »Der Teig ist richtig, wenn er nicht mehr an den Fingern klebt.« Als er die richtige Konsistenz hat, stellt er die Schüssel beiseite. »Lass uns mal auf den Balkon gehen und eine Zigarette rauchen.“
Wir sitzen auf dem großen, neu angebauten Balkon in der Spätsommersonne. Javier arbeitet als Tanzlehrer, sein Freund Martin betreibt eine Internetfirma in der Nähe der Wohnung. Nach Deutschland kam Javier wegen einer Frau: Er hatte eine Deutsche kennengelernt, geheiratet und war nach Hamburg gezogen. Doch wie es im Leben so ist: Irgendwann waren die Gefühle fort und die Ehe geschieden.
Beim Ausgehen lernte er dann Martin kennen. »Meine Mutter hat mich nach der Scheidung immer gefragt, ob ich mal wieder eine Frau kennengelernt habe. Ich habe ihr dann irgendwann Martin vorgestellt, seitdem fragt sie nicht mehr. Die Familie spricht nicht darüber, aber sie hat Martin akzeptiert und alle mögen ihn.«
Wir gehen zurück in die Küche. Javier brät in einer Pfanne Speckwürfel an. »Wenn der Speck fertig ist, erwärme ich in der gleichen Pfanne die Chilibohnen. Die werden dann püriert, danach kommt der Speck zurück zu den Bohnen in die Pfanne.« Er öffnet eine Flasche Salsa Verde, eine scharfe mexikanische Würzsauce. »Ich habe leider keine grünen Tomaten gefunden, sonst hätte ich die Salsa Verde selbst gekocht. Aber die hier ist auch gut, die habe ich aus Mexiko mitgebracht.« Den Inhalt der Flasche erwärmt er in einem kleinen Topf. Mit dem Speck gibt er noch eine in Streifen geschnittene Chilischote an die pürierten Bohnen. »Am besten ist für die Sauce Serrano-Chili, man kann aber auch Jalapeños nehmen.«
Den Teig presst Javier mit einer Tortilla-Presse zu kleinen Fladen. »So eine Presse haben wahrscheinlich nur Mexikaner, aber man kann den Teig auch mit einer Pfanne flachdrücken.« Um die Sopes zu garen, benutzt man in Mexiko eine Comal, eine spezielle flache Pfanne. »Der Boden einer Springform ist auch in Ordnung. Wichtig ist, dass die Pfanne keinen hohen Rand hat.« Warum das so wichtig ist, leuchtet einem einen Augenblick später ein: Nachdem Javier Öl in die Pfanne gegossen und den ersten Sope von einer Seite gegart hat, dreht er ihn um und formt in der heißen Pfanne mit den Fingern einen Rand in den Teig - wäre die Pfanne tief, würde er sich nicht nur die Fingerspitzen, sondern auch die Handgelenke verbrennen. »Das mit den Fingern ist nicht so schlimm, daran gewöhnt man sich. Die Mamuchas in Mexiko machen das den ganzen Tag.«
Sope um Sope formt Javier, füllt sie mit Bohnensauce und Salsa Verde, streut etwas Schafskäse, Zwiebeln und Koriander darüber, und krönt alles mit einem Klacks Crème fraîche. Martin ruft an, er kommt gleich zum Mittagessen. Javier richtet uns allen einen Teller mit drei Sopes und etwas Avocado an. In der Mitte jedes Tellers platziert er eine Chili-Schote. »Davon könnt ihr zwischendurch abbeißen.«
Die sehr scharfe Chili beruhigt tatsächlich die Geschmacksnerven ein wenig, wenn man gerade die noch schärferen Saucen auf der Zunge hatte. Die Intensität und die unterschiedlichen Arten von Schärfe sind für mitteleuropäische Gaumen überraschend. Doch bei aller Schärfe schmeckt man auch Speck und Bohnen, grüne Tomaten und Koriander. Und die Crème fraîche mildert die Einschläge des Capsaicins etwas.
Ich transpiriere bereits merklich, als sich Javier einen mexikanischen Hut aufsetzt, um die letzten Portionen stilecht fertigzustellen. »In Mexiko trägt man solche Hüte, keine Sombreros. Das ist nur ein Klischee, genau wie Nacho-Chips.« Ich muss an diese furchtbaren mexikanischen Themenrestaurants voller Kakteen und Sombreros denken, in denen sich Büroangestellte nach Feierabend mit Zitronenbier und schlechtem Tequila abschießen, bis sie das Elend ihres Lebens ebenso vergessen haben wie ihren Namen. »Diese Ketten sind ganz schlimm«, sagt Javier. »Die haben mit Mexiko und der mexikanischen Küche nichts zu tun. Mexiko hat viel mehr zu bieten, gerade auch in der Küche.« Wovon er mich inzwischen überzeugt hat.
Sopes
- 2 Tassen mexikanisches Maismehl
- 1⁄2 Tasse Wasser
- 1 Prise Salz
- 1 Dose Chilibohnen (ohne Tomatensauce)
- 250 g Speckwürfel
- 1 Chilischote
- 500 g grüne Tomaten
- 5 Korianderstengel
- 1⁄2 Zwiebel
- 2-3 Chili (plus eine pro Teller zum Dekorieren)
- Schafskäse
- Crème fraîche
- 2 Avocado
- Bohnensauce: Speck in einer Pfanne anbraten, dann beiseitestellen. Die Chilibohnen in derselben Pfanne kochen, anschließend pürieren. Mit dem Speck vermischen. Wer es scharf mag, kann eine Chili in Streifen schneiden und untermischen. Warm servieren.
- Salsa Verde: Tomaten kochen und pürieren. Die Korianderstengel klein schneiden, die halbe Zwiebel und 1-2 Chili fein hacken, unter die pürierten Tomaten mischen. Warm servieren.
- Mehl mit Salz und Wasser vermischen. Nach und nach mehr Wasser untermischen, bis der Teig nicht mehr an den Fingern klebt. Ruhen lassen.
- Etwas Teig mit einer Presse (oder einer Pfanne und einem Brett) in CD-große Fladen formen. In einer Pfanne bei mittlerer Hitze den Sope von einer Seite kurz anbacken, drehen und vorsichtig (!) mit den Fingern einen Rand formen, damit eine kleine Teigschüssel entsteht.
- Sopes mit Bohnensauce füllen, etwas Salsa Verde drübergeben, mit Schafskäse, gehacktem Koriander und gehackter Zwiebel bestreuen. Eine Haube aus Crème fraîche draufsetzen. Mit Avocadoscheiben und einer Chilischote servieren.