Ein Teller von Heinz Reitbauer: Saibling im Bienenwachs mit gelber Rübe, Pollen und Rahm

Seit 2005 ist Heinz Reitbauer Chef im Steirereck, das zu der Zeit schon lange eine Wiener Institution war. Er entwickelte – völlig unabhängig von der nordischen Küche – einen hochmodernen, regional geprägten Stil, der ihn weit über Österreich hinaus bekannt gemacht hat

Herr Reitbauer, was hat es mit dem Saibling und dem Bienenwachs auf sich?
Dieses Gericht ist in einem langen Prozess entstanden, dessen Ausgang eigentlich ein klassisch weihnachtliches Dessert war, in das die Bienenwachs-Honig-Aromatik einfließen sollte. Beim Entstehen neuer Gerichte geht es mir immer auch um den Umgang mit der Natur und die Auswirkungen unseres Handelns. Da hat uns natürlich auch das Bienensterben und seine direkten Folgen für die Landwirtschaft beschäftigt. Wir wollten aber nicht nur den Geschmack des Honigs, sondern auch die Aromatik des Wachses auf den Teller bringen. Und im Lauf dieser Recherche bin ich darauf gekommen, dass das Wachs auch als Kochmedium funktionieren könnte. Wachs fängt ja bei sechzig Grad an zu stocken, das heißt, dass es auch im festen Zustand noch eine relativ hohe Temperatur hat. Wir haben dann viel darin gekocht, in der Küche, von Erdäpfeln über Fleisch, Fisch, Gemüse bis zu Schokoladen, und gemerkt, viele Dinge funktionieren auch. Aber dann wollten wir uns auf eine Sache konzentrieren.
Acht bis zwölf Minuten dauert es, bis der Saibling im Bienenwachs perfekt gegart ist
Das war der Saibling?
Ja, der Saibling hat in der Kombination mit dem Bienenwachs am besten funktioniert. Und uns war wichtig, das am Tisch beim Gast zuzubereiten, damit der ganze Garprozess verständlicher wird.
Woher bekommen Sie das Wachs?
Unser Imker am Pogusch arbeitet vollbiologisch und liefert uns das Bienenwachs. Das Bienenwachs ist sehr wertvoll. Ein Bienenstock mit, sagen wir, einer Königin und fünfzigtausend Arbeitsbienen gibt bis zu fünfzig Kilo Honig im Jahr, aber nur fünfhundert Gramm Wachs. Wir versuchen, das Wachs so weit wie möglich in einem Kreislauf zu verwenden. So wie wir es verwenden, zur Zubereitung am Tisch, kann man es etwa eine Woche lang gebrauchen, dann geht das feine Aroma verloren. Dann klären wir zum Beispiel das Gelee von der Gelben Rübe damit, das auch auf dem Teller ist. Und seit einiger Zeit haben wir zusammen mit dem Imker eine Möglichkeit gefunden, es den Bienen in kleinen Portionen zurückzugeben. So geht es vollständig wieder in den Kreislauf zurück.
Der Kreislaufgedanke spielt eine große Rolle bei uns. Alles, was wir verwenden, soll vollständig verwertet sein.
»Ich versuche immer, mein landwirtschaftliches Verständnis mit einzubringen. Denn der Bauer ist ja kein Supermarkt, wo ich sagen kann, morgen hätte ich gern fünf Kilo und übermorgen nichts.«
Die Gelbe Rübe, mit dem feinen Aroma und dezenten Geschmack, war für uns der richtige Begleiter zum Saibling. Damit wir diese feine Blütenpollen-Honig-Wachs-Aromatik nicht übertönen. Die Rübe besitzt ein Herz, welches sich farblich vom äußeren absetzt. Durch feine Stacheln ist das Innere mit dem Äußeren verbunden. Das Äußere entsaften wir und bereiten daraus ein Gelee in Wabenform. Und aus den Pressrückständen vom Entsaften produzieren wir ein Pulver, in dem der Saiblingskaviar gewälzt wird. So erhalten wir eine Blütenpollen-Optik, die die Verbindung zur Biene wieder herstellt. Dazu ein bisschen Sauerrahm, Salz, Zitrone, Limette und etwas Schärfe. Das war es eigentlich.
Was meinen Vater bei einem der ersten Besuche besonders beeindruckte war, dass die Lokale in Wien auch am Nachmittag voll waren.
Wie lange gibt es denn das Steirereck schon?
Meine Eltern haben Anfang 1970 das Steirereck in Wien eröffnet. Ursprünglich in der Steiermark beheimatet, waren die beiden durch einen Sommerfrischegast auf das Lokal aufmerksam geworden. Was meinen Vater bei einem der ersten Besuche besonders beeindruckte war, dass die Lokale in Wien auch am Nachmittag voll waren. Sie haben ihre gesamten Ersparnisse investiert und die ersten Jahre Tag und Nacht gearbeitet.
Ihre erste Auslandsreise nach den entbehrlichen Anfangsjahren ging nach Frankreich. Damit war ein neuer kulinarischer Weg vorgegeben und in den kommenden Jahren wurde aus dem Wirtshaus ein Restaurant. Es ist dann zu einem der führenden Häuser des Landes geworden, das war Verdienst meiner Eltern.
Haben Sie dann auch im elterlichen Betrieb gelernt?
Meine ersten Schuljahre war ich im Internat und nach einem Jahr in der Hotelfachschule Altötting habe ich, gemeinsam mit meinen Eltern beschlossen, dass ich eine Kochlehre in unserem Betrieb beginne. Ich habe aber schnell gemerkt, dass das nicht optimal war, und habe mich bei den Obauers beworben.
Heinz Reitbauer hat schon 2005 in seinem Restaurant von Meeresfisch auf heimische Süßwasserfische umgestellt
Ich habe damals das Gefühl gehabt, dass ich unfassbar gut wäre. Jung zwar, aber unfassbar gut, schließlich war ich in einer Gastronomenfamilie aufgewachsen. Die Obauers haben mir schnell ein Verständnis gegeben, dass dem nicht so war. Das hat dann schon zu einer persönlichen Sinnkrise geführt. Aber ich habe mir jeden Tag gesagt, wenn ich jetzt bei der ersten größeren Hürde in meinem Leben aufgebe, dann renne ich immer davon. Das hat mich am Leben erhalten. Und irgendwann war ich dort auch akzeptiert. Heute sind wir gut befreundet.
Wie sind Sie denn dann in das Gasthaus in der Steiermark gekommen?
Mein Vater hatte damals die Idee, eine Landwirtschaft mit einem Wirtshaus zu kaufen. Ursprünglich war der Gedanke, dass ich in Wien bleibe und meine Eltern führen das Wirtshaus mit der Landwirtschaft. Wir hatten jemanden gefunden, der die Küchenleitung hätte übernehmen sollen. Kurz vor der Eröffnung ist dieser leider abgesprungen, und so haben wir entschieden, dass ich das erste Jahr die Leitung übernehme, aus diesem sind fast zehn Jahre geworden.
Die erste Karte bestand aus drei Menüs: Vom steirischen Garten, vom steirischen Stall und vom steirischen Fluss. Wir waren ein Wirtshaus am Land mit starkem regionalen Bezug.
Das heißt, diese Produktbezogenheit war damals schon da?
Ja. Auch wo ich international gearbeitet habe, in Frankreich oder in England, hatte ich immer die Betriebe ausgesucht, die auch diese Produktliebe hatten.
2005 sind Sie wieder nach Wien gekommen …
Die Idee war, dass ich gemeinsam mit Helmut Österreicher die Küchenleitung übernehme. Dieser ist im ersten Jahr ausgestiegen und so übernahm ich allein die Leitung unseres Teams. Die damalige Küchenausrichtung war frankophil mit österreichischen Wurzeln, viel klassischer als heute. Mit war klar, dass wir einen neuen Weg für uns definieren mussten, mit schärferem Profil und größtmöglicher Individualität. Ein erster Schritt war die Umstellung von Meeres- auf Süßwasserfische.
Wie war die Reaktion darauf?
Mit dem Umzug in den Stadtpark hatten wir sehr vieles verändert. Der Stammgast war irritiert, die Führer haben uns abgewertet. Doch für uns war klar, dass wir unseren gewählten Weg weitergehen werden mit allen Konsequenzen. Der Erfolg der darauffolgenden Jahre gab uns Recht. Unsere Stärke war immer das geeinte Team, welches geschlossen hinter uns gestanden ist und unsere Entscheidungen mitgetragen hat.
Der Stellenwert von Süßwasserfischen wurde damals leider noch nicht erkannt und sie wurden gering wertgeschätzt. Ich war geprägt von den vergangen zehn Jahren in unserem Wirtshaus mit starkem regionalen Fokus und der Verwendung der Produkte aus der eigenen Landwirtschaft. So haben wir langsam und schrittweise das gesamte System auch in Wien umgestellt.
Mir war schon klar, dass von zehn Lämmern aus heimischer Landwirtschaft nur acht wirklich gut waren und zwei ein Problem hatten. Aber wenn wir von der Küchenseite nicht mit unserer Expertise den Bauern helfen, besser zu werden, dann werden wir immer Lamm aus Frankreich oder Neuseeland kaufen müssen. Und wenn man immer auf ein importiertes Produkt angewiesen ist, dann kann auch keine eigenständige Kulinarik in einem Land entstehen. Wir wissen um die Möglichkeiten, die man hat, wenn man direkt mit dem Produzenten zusammenarbeitet, man bekommt andere Teilstücke und hat einen ganz anderen Respekt, einen ganz anderen Umgang. Man weiß, man muss das ganze Tier verarbeiten. Das ist natürlich ein Umstellungsprozess, aber Gott sei Dank wird das immer mehr normal.
Es ist wichtig, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass ein Lebensmittel einen großen Wert hat. Vor vielen Jahren hat mir einmal ein Produzent gesagt, Heinz, ich weiß gar nicht, ob ich dir mein Produkt überhaupt geben will. Dann habe ich ihn angeschaut und gesagt, Entschuldigung, warum? Und er sagte: »Ihr Köche habt die Angewohnheit, diese Dinge so zu zerlegen und anders wieder zusammenzubauen, dass ich mein Produkt gar nicht mehr erkenne.« Das hat mich sehr zum Nachdenken angeregt. Heute versuchen wir, ein Gericht so zu entwickeln, dass der Produzent, wenn er es anschaut, stolz ist auf sein Produkt.
»Ich glaube, es braucht vor allem eine intakte Natur. Damit man sagen kann, in unserem Land, da kannst du dich auf jede Wiese legen, kannst von jedem Fluss trinken und von jedem Baum naschen.«
Das ist auch kein geringer Aufwand …
Auf dem Land hat es früher gar nichts anderes gegeben. Da war das ganz normal. Erst vor etwa zwanzig Jahren hat das angefangen, dass man beim Großhändler eingekauft hat. Weil das leichter war und weil die Mitarbeiter nicht da waren. Weil, der Mensch, die Arbeitsleistung, das ist nach wie vor das teuerste Gut in der Gastronomie. Wir tun viel, um die Strukturen zu schaffen. Es gibt viele beseelte Menschen, die dir gern einmal eine Kiste von irgendwas geben. Aber dich konstant mit nur einer einzigen Kiste beliefern, da ist der Aufwand hierherzufahren größer als auf dem Feld. Das macht keiner auf Dauer. Da ist es gut, dass wir auch eine gewisse Größe haben. Wir versuchen immer, unser landwirtschaftliches Verständnis mit einzubringen. Denn der Bauer ist ja kein Supermarkt, wo ich sagen kann, morgen hätte ich gern fünf Kilo und übermorgen nichts. Wenn einer zu mir kommt und sagt, er habe drei ganz besondere Apfelbäume, deren Ernte könnte ich haben, dann sage ich, ich nehme die Äpfel von einem, dafür aber regelmäßig für die nächsten Jahre. Dann kann der planen, und wir wissen, wir bekommen zu einer bestimmten Zeit eine bestimmte Menge. Und zwar dann, wenn das Produkt auch am besten ist. Das ist ein großer Schatz und es ist letztlich der Baukasten, aus dem wir unsere Gerichte entwickeln.
Das heißt, eine Landesküche kann nur in Zusammenarbeit mit den Produzenten entstehen?
Ganz sicher. Das gehört ja auch zu unserem Beruf. Ein touristisch orientiertes Land wie Österreich muss auch eine Vielfalt in der Landwirtschaft anstreben. Wir brauchen ein lebenswertes Umfeld, und das kann nicht geschaffen werden durch Monokulturen. Ich glaube, es braucht vor allem eine intakte Natur. Damit man sagen kann, in unserem Land, da kannst du dich auf jede Wiese legen, kannst aus jedem Fluss trinken und von jedem Baum naschen. Das muss eine Botschaft sein. Das hat nichts mit Spitzengastronomie zu tun.


Saibling im Bienenwachs mit gelber Rübe, Pollen und Rahm

Für 4 Portionen

Gelbes Rüben Succo (geliert) (18 Portionen)

  • 10 Stk. Panonische Safranfäden (in Quittenessig eingelegt)
  • 160 g gelbes Rüben Feinsucco (frisch gepressten Natursaft aufkochen und sofort kochend heiß filtrieren)
  • 2 g Kristallzucker
  • 3 g Karpatensalz Karpatensalz
  • 4 g Quitten Essig 5% (Gölles)
  • 45 g Apfelsaft
  • 50 g Bienenwachs (Bio)
  • 60 g Hühnerfond
  • 8 g Zitronensaft
  • 10 g pflanzliche Gelatine (Vegetal)
  • 0,4 g Agar Agar
  1. Rüben Feinsucco, Apfelsaft, Hühnerfond, Bienenwachs, Salz und Zucker aufkochen, 2 Minuten kochen, vom Feuer nehmen, Essig, Zitronensaft und Safran zufügen und bei Zimmertemperatur erkalten lassen.
  2. Den Wachsdeckel abheben und den Fond durch ein belgisches Sieb filtern.
  3. Mit der pflanzlichen Gelatine und dem Agar Agar aufkochen und heiß auf zwei Waben Silikon-Kautschuk Matten 1 mm dick flächig aufgießen.

Kaviar-Pollen

  • 200 g gelber Rüben-Trester (vom Entsaften)
  • 12 g Quittenessig 5 % (Gölles)
  • 3 g Karpatensalz
  • 1 Prise Kristallzucker
  • 12 g Saiblingskaviar
  1. Rübentrester, Quittenessig, Salz und Zucker vermengen und im Dörrofen bei 40 Grad 48 Stunden trocknen. In einer Kaffeemühle fein mahlen, anschließend durch ein belgisches Sieb sieben und trocken lagern.
  2. Kurz vor dem Servieren pro Portion zwei kleine Einheiten Saiblingskaviar im Pulver wälzen (Pollen-Optik).

Herz von Gelben Rüben

  • 4 große Gelbe Rüben
  • 300 g Gelber Rübensaft
  • 8 g Karpatensalz
  • 75 g Bienenwachs (bio)
  • 10 pannonische Safranfäden
  1. Die Rüben zweimal nebeineinander längs bis zum Kern einschneiden bis zum Rübenherz (1cm breiter Keil). Das Kerngehäuse auslösen, salzen und bei 95 Grad ca. 12 Minuten dämpfen. Leicht abkühlen lassen und mit einem kleinen Messer die Herzen ausbrechen.
  2. Währenddessen den Rüben Feinsucco mit dem Karpatensalz und dem Bienenwachs aufkochen, vom Feuer nehmen und bei Zimmertemperatur erkalten lassen.
  3. Den Wachsdeckel abheben und den Fond durch ein belgisches Sieb filtern. Safran zufügen und die gedämpften Rüben 10 Minuten darin warm durchbeizen.
  4. Die Rübenherzen beidseitig zuschneiden und warm servieren.

Saurer Rahm

  • 70 g Crème fraîche
  • 1 g Karpatensalz
  • 1 g Limettensaft
  • eine Prise Cayennepfeffer
  1. Alle Zutaten kurz durchmengen und bedeckt kühl stellen.

Saibling

  • 500 ml Bienenwachs (bio)
  • 4 Saiblingsfilets à 60 g (enthäutet und entgrätet, 10 Minuten vorher aus der Kühlung nehmen)
  • Karpatensalz
  • Basilikumkresse
  • 1. Das Bienenwachs auf 84 Grad erhitzen.
  1. Die Saiblingsfilets beidseitig salzen und mit der Fleischseite nach unten in eine Form geben, die mit einer Silikon-Kautschukmatte ausgelegt ist.
  2. Mit dem Bienenwachs die Saiblingsfilets vollständig bedecken. Je nachdem, wie dick die Filets sind 8–12 Minuten garen.
  3. Form drehen, Silikon-Kautschuk entfernen und die Saiblingsfilets vorsichtig herausbrechen. Mit Rahm, Gelee, Rübenherz und einigen Blättern Basilikumkresse servieren.

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Aus Effilee #52, Frühjahr 2020
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