In Statistiken und Umfragen zu den Lieblingsessen der Deutschen findet sich die Rinderroulade (mit Rotkohl und Kartoffeln) beständig auf vorderen Plätzen. Das verwundert, ist doch die Roulade auf den ersten Blick ja nicht nur sehr altmodisch, sie erfordert auch Zeit, Geduld und Sorgfalt - allesamt Tugenden, die in schnelllebiger Zeit gerne zu kurz kommen. Und wer kocht denn heute noch Rouladen? Irrt etwa die Statistik?
Mitnichten, die Wirkungskraft der Rinderroulade liegt nur etwas mehr im Verborgenen: In Betriebskantinen ist die Roulade immer noch ein Star, in bürgerlichen Wirtshäusern steht sie standhaft auf der Speisekarte und es gibt sie noch, die Mütter und Großmütter, die das Schmoren der Rouladen in glückselig machender Perfektion beherrschen. Rouladen riechen auch so gut, sogar in deutschen Treppenhäusern. Und wer das Glück hat, vor einer perfekten Roulade zu sitzen, der isst meist still vergnügt, vergisst sogar das Fotografieren des Tellers für Instagram und genießt das mürbe, zarte Fleisch, die würzig tiefe Sauce, die Schärfe von Senf, die feine Säure von Wein und Gewürzgurke, das rauchige Aroma des verwendeten Specks. Klar rennt man da später in den nächsten Leibspeisen-Statistiker und diktiert dem Mann mit fester Stimme »Rinderroulade« ins Notizbüchlein. Rouladen - das ist Romantik, das ist Kindheit, gute alte Zeit, Genuss ohne viel Aufhebens. Auch in der Zubereitung des Schmorgerichts ist Deutschland weitestgehend vereint: Zwiebeln und Senf gelten als gesetzt, Speck kann, muss aber nicht mit eingerollt werden, während auf ein Stückchen Gewürzgurke und etwas Gewürzgurkenwasser in der Sauce für den typischen Geschmack nicht verzichtet werden kann. Variiert wird in den Würzungen mit Wacholder, Kümmel, Piment und Majoran, und die einen schwören auf einen Schwupps Rotwein in der Sauce, die anderen nehmen Weißwein. Füllungen mit bunten Gemüsestreifen oder Sauerkraut sind als moderner Tand abzulehnen, wer mit Käse arbeitet, fliegt raus aus der Küche. Überall wird Rindfleisch aus der Oberschale, Unterschale oder dem Bug bevorzugt und flächendeckend wird vor dem Wickeln erst mal beherzt mit dem Fleischhammer auf die Rouladenlappen eingedroschen, bis der Koch schwitzt, das Fleisch papierdünn und komplett zerfasert ist.
Diese Tradition stammt allerdings aus einer Zeit, da dem lieben Vieh eine wesentlich längere Lebenszeit beschert war. Heute erlangt ein Rind die Schlachtreife mit drei bis dreieinhalb Jahren, einst durfte es gerne mal über zehn Jahre alt werden, und dem Fleisch einer alten Kuh war mit einfachem Schmoren allein nicht beizukommen. Heute aber darf es, vom Metzger mit der Maschine in große Scheiben geschnitten, gerne ungeklopft zur Roulade werden. Da hat man dann später auch noch etwas zu schneiden und zu kauen, das über gerollten Faserteppich hinausgeht. Umsichtiges Rundum-Braten gehört auch noch zu den Skillz eines Rouladenmeisters, dann warten und wenden und warten und wenden Rouladen machen sich ansonsten von alleine und sollten immer auch in rauen Mengen hergestellt werden, die Sauce wird einfach besser. Für den Privathaushalt mit Kleinbräter reichen sechs Rouladen, das doppelte Rezept macht aber auch Spaß, Rouladen lassen sich hervorragend einfrieren. Oder Sie verputzen die übrigen Rouladenrollen anderntags und machen daraus eins der köstlichsten Resteessen, dass ich kenne: das Rouladenbrot. Dafür schneiden Sie die Rouladen kalt in Röllchen, die Sie auf gebutterten Bauernbrotstullen verteilen. Die Sauce erhitzen und heiß über das kalte Brot kleckern. Wer mag, beflockt die Stulle vor dem Servieren noch mit frisch geriebenem Meerrettich. Diese lauwarme Angelegenheit schmeckt zum Reinlegen gut und macht süchtig. Ich verstehe Menschen, die Rinderrouladen nur kochen, um dann Rouladenbrote zu essen. Spätestens mit diesem seligen Resteverwertungsrezept dürfte es der Roulade vielleicht gelingen, in naher Zukunft die beiden All-Time-Spitzenreiter von den ersten Plätzen der Lieblingsessen-Statistik der Deutschen zu vertreiben: Pizza und Pasta.
Rinderrouladen
- 4 Zwiebeln
- 6 Rouladen à 200 g, aus der Oberschale geschnitten
- 6 EL grober Senf
- 12 Streifen durchwachsener Speck
- 6 Essiggurken-Viertel
- 6 Zweige Majoran
- 1 EL Butterschmalz
- 1 EL Tomatenmark
- 1 TL Kümmelsamen
- 1 EL Zucker
- 150 ml trockener Weißwein
- 800 ml Rinderbrühe
- 6 Wacholderkörner
- 2 Lorbeerblätter
- 1 EL getrocknete Steinpilze
- Eine Zwiebel in Streifen schneiden. Das Fleisch auf einer Seite mit Senf bestreichen, mit den Zwiebeln und den Speckstreifen belegen. Die Essiggurken-Viertel und je einen Zweig Majoran auflegen. Das Fleisch zusammenrollen und mit Rouladennadeln oder Holzspießen fixieren.
- Die übrigen Zwiebeln in Spalten schneiden. Butterschmalz im Bräter schmelzen, die Rouladen darin rundum anbraten, herausnehmen und auf einen Teller setzen. Zwiebeln zum Bratansatz geben und ebenfalls goldbraun anbraten. Den Ofen auf 160 Grad vorheizen.
- Tomatenmark, Kümmel und Zucker unterrühren. Mit Weißwein ablöschen und offen auf ca. die Hälfte einkochen lassen. Rinderbrühe zugießen und 4 EL Essiggurkenwasser dazugeben. Wacholder, Lorbeer und getrocknete Pilze zugeben und unterrühren. Aufkochen und die Rouladen hineingeben. Im Ofen im offenen Bräter 3 ½ Stunden schmoren, dabei die Rouladen ab und zu wenden.
- Die Rouladen herausnehmen, die Nadeln oder Holzspieße entfernen. Die Lorbeerblätter aus der Sauce entfernen, die Sauce mit dem Schneidstab pürieren und durch ein Sieb passieren. Aufkochen, mit Salz, Pfeffer und einem Spritzer frischem Weißwein abschmecken. Die Rouladen wieder zur Sauce geben und servieren.
-
Pingback: Rouladen – ein Traum | Text & Blog