Gehen wir aber erst einmal zurück. Um zu verstehen, warum gerade in der Champagne die Weinbauern gegen die Schaumweinhersteller rebellierten, muss man wissen, wie es zu diesem Antagonismus kam.
Am Anfang war ein ganz normales, relativ nördlich gelegenes Weinbaugebiet. Wenig überraschend waren es die Römer, die mit dem Weinbau anfingen. Im 10. Jahrhundert ließ Hugo Capet sich in Reims zum König krönen und begründete eine Tradition, der viele Monarchen folgten. Bei den königlichen Banketten spielten die Weine aus der Region eine wichtige Rolle, es handelte sich vor allem um einen hellroten Pinot Noir. Der war sicherlich nicht schlecht, aber längst nicht so gut wie die damals schon legendären Pinot Noirs aus dem Burgund.
Die Winzer hatten in der Champagne mit einem klimatischen Problem zu kämpfen: Da die Kälte im Winter früher einbrach, kam es oft dazu, dass die Gärung der Weine vorzeitig zum Erliegen kam und dann im Frühjahr, wenn es wärmer wurde, wieder einsetzte. Dann fing der Wein an zu moussieren, zu schäumen. Lange wurde das als Mangel angesehen und erst im 17. Jahrhundert, auch wegen der Liebe der Briten zu dem sprudelnden Getränk, fing man an, diesen Wein auf Flaschen zu ziehen. Deren Herstellung steckte damals aber auch noch in den Kinderschuhen, deshalb explodierten diese ganz gern. Berichtet wird über Verluste um die fünfundzwanzig Prozent und ungefährlich war es auch nicht. Das führte unter anderem dazu, dass der legendäre Dom Pérignon, ein Benediktinermönch, sich dafür einsetzte, ausschließlich Pinot Noir zu verarbeiten, weil er der Meinung war, dass der weniger als weiße Rebsorten zur Refermentation neigte.
Fun Fact für ein lustiges Streitgespräch bei der nächsten Verkostung: Dom Pérignon hat viele wichtige Neuerungen in der Weinherstellung eingeführt, den konsequenten Rebschnitt, naturnahe Arbeitsweise, die gemeinsame Verarbeitung von Trauben aus verschiedenen Lagen, die Herstellung von weißem Wein aus rotem Pinot Noir. Aber er hat nicht die Flaschengärung erfunden, schon gar nicht die Dégorgeage er hat nicht den Korken erfunden und er hat nicht gesagt: »Ich schmecke die Sterne!« All diese Mythen stammen im weitesten Sinne aus dem Bereich des Marketing.
Dom Pérignon hat stillen Wein hergestellt. Einige Kunden, vor allem in England, dem bedeutendsten Exportmarkt, fanden aber Gefallen an den frischen, moussierenden grünen Weinen, und es war diese Nachfrage, die die weitere Entwicklung des Champagners vorantreiben sollte.
Durch die technologische Entwicklung in der Flaschenherstellung konnten die Verluste durch Glasbruch reduziert werden und Ende des 18. Jahrhunderts kam die Mode auf, Champagner durch den Zusatz von Zucker zu verbessern. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das Dégorgieren erfunden, die Methode, das Dépot, das sich in einem flaschenvergorenen Wein unweigerlich bildet, zu entfernen, indem die Flasche auf dem Kopf stehend geöffnet wird und, nachdem das Depot herausgeschossen ist, wieder verschlossen wird. Im Prinzip war erst das die Geburtsstunde des Champagners, wie wir ihn heute kennen. Er wurde endgültig zum Luxusprodukt.
Seine Popularität wuchs weiter. Der Exportmarkt erstreckte sich von New York bis nach Moskau. 1844 wurden sechs Millionen Flaschen verkauft, 1880 waren es schon über zwanzig Millionen, 1900 achtundzwanzig Millionen. Sicherlich ein Grund zum Feiern, jedoch, wie Henri Vizetelly schon 1882 in seinem Buch A History of Champagne with Notes on the other Sparkling Wines of France schreibt: »Jene, die am engsten mit seiner Herstellung befasst waren, hatten wenig oder gar keinen Grund zur Freude. Die unglücklichen Bauern, von deren Flecken von Weingärten er (der Wein) zum größten Teil stammte, waren die letzten, die von seiner Popularität profitieren sollten.« Da immer mehr Land für den Weinbau gebraucht wurde, stiegen die Preise für Weizen - und dementsprechend für Brot - auf das Dreifache, die besten Weinlagen waren für die örtlichen Bauern viel zu teuer und wurden von städtischen Eliten aufgekauft, die Steuern waren hoch. Die wenigsten hatten genug, um von der Bewirtschaftung ihres eigenen Landes leben zu können, die anderen verdingten sich als Tagelöhner auf den Pflanzungen und in den Kellern der Handelshäuser.
Ruinart, Mercier und andere hatten es zum Teil schon zu märchenhaftem Reichtum gebracht und sahen ihre Aufgabe in erster Linie darin, ihre eigene Marke und den Absatz zu fördern. Dabei waren sie ausgesprochen erfolgreich. Um die entstehende Nachfrage zu befriedigen, kauften sie den kleinen Bauern die Trauben direkt nach der Ernte ab. Für diese war das lohnender, als den ungeliebten Rotwein zu produzieren, der auch durch das Aufkommen der Eisenbahn immer stärker unter der Konkurrenz aus Südfrankreich litt. Wer noch Anlagen zur Vinifikation hatte, Pressen und Fässer, ließ sie verfallen oder verkaufte sie.
Champagner ist nicht nur eines der ersten Markenprodukte, er ist auch der erste industriell hergestellte Wein. Ingenieure und Wissenschaftler waren an seiner Produktion beteiligt. Ende des 19. Jahrhunderts betreiben die großen Handelshäuser kilometerlange unterirdische Produktionsanlagen, in denen die verschiedenen Herstellungsschritte am Fließband ausgeführt werden, mit dampfgetriebenen Kränen und Flaschenzügen.
Im Gegensatz dazu besitzen achtzig Prozent der Winzer weniger als einen halben Hektar Rebfläche. Die Arbeit ist hart, die dünne Erdauflage auf den Kreidefelsen erodiert leicht, die bêcherie, die Erde am unteren Ende der Hänge aufzusammeln und sie wieder hochzutragen, um Reben neu zu betten, gehört zum Alltag. Wegen der traditionellen Art, Reben zu vervielfältigen, indem man Triebe an die Erde biegt, sie eingräbt und wartet, bis sie wieder Wurzeln schlagen, stehen die Pflanzen nicht in Reihe, sodass der Einsatz von Tieren oder gar Maschinen ausgeschlossen ist. Für die meisten reicht der Ertrag nicht, sie müssen sich verschulden, während vor ihren Augen das Geschäft mit dem Champagner boomt.
René Lamarre, ein neunzehnjähriger Winzer aus Damery südlich von Reims, kanalisiert den Unmut und gründet 1891 eine Zeitschrift, die Révolution champenoise. »Wir haben alles verloren«, schreibt er in der ersten Ausgabe, »außer unserer Ehre und der Reputation dieses Namens: Champagner! Und es ist dieser Name, den sie Euch jetzt aus den Händen reißen wollen. [ … ] In einigen Jahren werden die Menschen nicht mehr den Namen Champagner kennen, sondern nur noch Roederer, Planckaert, Bollinger, und es wird nicht mehr darauf ankommen, aus welchen Trauben diese Weine hergestellt wurden.«
Am Vorabend der Champagnerrevolution kommen dann mehrere Dinge zusammen: Die Handelshäuser mit ihren gut gefüllten Lagern lassen die Bauern ihre Macht spüren und kaufen auch qualitativ gute Trauben nur noch zu Spottpreisen auf. Da kaum noch einer über Fässer oder Pressen verfügt, um die Trauben zu verarbeiten, bedeutet das für viele den Ruin. Gleichzeitig schwächelt die Nachfrage, vor allem im Ausland werden mehr und mehr Fälschungen verkauft, russischer, amerikanischer und deutscher Champagner findet sich auf den Weinkarten der besten Häuser. Die Handelshäuser verdienten daran übrigens durchaus mit, so wurden zum Beispiel Stillweine aus der Champagne nach Deutschland und Luxemburg exportiert und erst dort der zweiten Gärung unterworfen, weil das steuerlich einfach viel günstiger war. Zu all dem kommt nun aber noch eine Bedrohung, vor der man lange die Augen verschlossen hatte: die Reblaus.
Das Insekt, aus Amerika eingeschleppt, hatte seinen Vernichtungsfeldzug gegen die europäischen Reben im Süden begonnen und wanderte langsam aber sicher gen Norden. Georges Vimont, einer der lokalen Winzer, versuchte ein Komitee zu gründen, dem vor allem Winzer angehörten und das sich mit der Abwehr der Reblaus beschäftigen sollte. Das wurde staatlicherseits abgelehnt, weil man das revolutionäre Potenzial fürchtete. Stattdessen setzte man ein Syndikat ein, dem Wissenschaftler, Honoratioren, Vertreter der Handelshäuser, aber nur ganze drei Weinbauern angehörten. Die Kommission tat zunächst das, was man heute vom Klimawandel kennt: Sie leugnete das Problem. Anfällig seien nur Reben, die von nachlässigen Bauern nicht richtig gepflegt würden, außerdem würde das nördliche Klima der Reblaus sowieso nicht bekommen.
In Wirklichkeit hatte man Angst vor der Lösung, die sich im Süden Frankreichs bereits bewährt hatte: dem Aufpfropfen heimischer Triebe auf amerikanische, resistente Rebstöcke. Man war nämlich gerade dabei, sich den Schutz des Namens Champagner zu sichern, eben wegen der ausländischen Konkurrenz. Aber wie sollte man gegen amerikanischen Champagner angehen, wenn die Rebstöcke zu Hause amerikanische Wurzeln hatten?
So war eine der ersten Amtshandlungen der Kommission, das Aufpfropfen zu verbieten. Stattdessen befürwortete man, was damals die Schweizer Methode genannt wurde: das Überschwemmen der betroffenen Parzelle mit Chemikalien und das anschließende Ausreißen der Rebstöcke. Danach ließ man den Weinberg mehrere Jahre brach liegen. Gaston Chandon, einer der größten Landbesitzer und Mitinhaber von Moët & Chandon übernahm die Initiative und kaufte die erste mit Phylloxera befallene Parzelle, um sie so behandeln zu lassen. Zunächst schien das auch erfolgreich zu sein, und so wurde die Familie zu einem der energischsten Befürworter dieser Methode. Den kleinen Winzern, die sich die teure chemische Behandlung gar nicht leisten konnten, verweigerte man weitgehend die Mitsprache.
Über den Kampf gegen die Reblaus kam es 1892 erstmals zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, ausgerechnet in Damery. Mit Mistgabeln und Hagelkanonen bewaffnet stellten sich die Winzer den Inspekteuren der Kommission entgegen, die geschickt waren, um die Reben auf einer Parzelle zu vernichten. Diese kehrten aber nachts zurück, rissen die Rebstöcke aus und zerstörten den angrenzenden Garten mit Chemikalien. Die Wut der Winzer war groß, nicht zuletzt, weil es damals ein ungeschriebenes Gesetz war, fremde Weingärten nach Sonnenuntergang nicht zu betreten. In den folgenden Tagen wurden die Behandlungsteams in fünf weiteren Ortschaften mit Gewalt am Betreten der Weingärten gehindert.
Alle Winzer waren mittlerweile verpflichtet, dem Syndikat anzugehören und Beiträge zu zahlen, was aber nach zeitgenössischen Berichten von fünfundsiebzig Prozent der Winzer nicht anerkannt wurde. Nach einigen Jahren mit gewalttätigen Auseinandersetzungen, wobei es häufig um nicht gezahlte Beiträge ging, wurde das Syndikat 1896 aufgelöst und in der Folge von örtlichen Syndikaten ersetzt. Das war ganz nach dem Geschmack von René Lamarre, der sich in der Révolution champenoise dafür eingesetzt hatte, und schon Jahre zuvor eine Kooperative gegründet hatte.
Lamarre war einer der wichtigsten Sprecher der kleinen Winzer. Seine Rhetorik war sicher beeinflusst von den Anarchisten und Sozialisten der Zeit, er war aber keineswegs nur Klassenkämpfer, er beschäftigte sich auch intensiv und kompetent mit fachlichen Themen, nicht zuletzt mit der Bekämpfung der Phylloxera und zum Beispiel mit den Vorteilen der Pflanzung in Reihen. Nicht verschweigen will ich, dass er auch eine - leider nicht auf seine Zeit beschränkte - Neigung hatte, die Schuld bei den Fremden zu suchen, zum Beispiel bei deutschstämmigen Gründern und Besitzern der Handelshäuser, vor allem wenn jene auch noch jüdische Vorfahren hatten.
Inzwischen schreiben wir das Jahr 1910, ein katastrophales Jahr für die Winzer, und nicht das erste. Im Januar hatten heftige Stürme ungekannte Regenmassen mitgebracht und ließen die Marne über die Ufer treten. Ende Februar wiederholte sich das und ebenfalls im Mai. Im Juni kam der Mehltau nahezu gleichzeitig mit dem Hagel. Im Juli wieder heftiger Regen, anschließend Mehltau. Am 7. August beschloss der Gemeinderat von Venteuil angesichts des nahezu kompletten Ernteausfalls, in diesem Jahr auf Steuern zu verzichten. In Épernay werden 1910 auf zweihundertsiebenundvierzig Hektar Rebfläche einhundertachtzig Hektoliter Wein geerntet, in Chouilly auf zweihundertfünfzig Hektar ganze sechzig Hektoliter. Madame Hennequin, die einen Hektar in Tincourt besitzt, erntete, so heißt es, gerade genug, um damit eine Tarte zu backen. Der Unterpräfekt von Venteuil schreibt: »Großes Elend herrscht. In manchen Gegenden sind zwei von drei der Ländereien von Hypotheken belastet.«
Das Geschäft mit dem Champagner boomt derweil. Ein Gesetz, das den Betrug einschränken soll, scheitert. Die Handelshäuser argumentierten, man könne ihnen schlecht verbieten, auch mit anderem Wein als jenem aus der Champagne zu handeln, und die verpflichtenden Maßnahmen - getrennte Lagerräume zum Beispiel -, die Fälschungen hätten verhindern können, waren immer noch nicht Gesetz. Und so geschah das Wunder, dass es zwar keine Ernte gab, aber mehr als genug Champagnerflaschen für den Export.
Langsam, aber sicher kochte der Zorn über. Hatten sich im Oktober noch Tausende Winzer in Épernay versammelt und friedlich demonstriert, verprügelt im Dezember 1910 eine wütende Menge in Hautvillers einen Lastwagenfahrer und schüttet zweitausendvierhundert Liter Wein aus zweifelhafter Quelle auf die Straße. Am 17. Januar 1911 macht dann die Nachricht die Runde, dass dreitausend Flaschen Wein aus dem Süden an das Haus Perrier geliefert würden. In kurzer Zeit versammeln sich über dreitausend Winzer in Damery. Auf dem Marktplatz wird die rote Fahne gehisst, anschließend ziehen die Weinbauern nach Cumières, wo sie die Keller und Produktionsanlagen verwüsten. Fünfzehntausend Flaschen Champagner gehen zu Scherben. Verletzt wird niemand.
In den nächsten Wochen gibt es weiter ähnliche Aktionen. Das Militär wird gerufen, aber es kommt schnell zu Szenen der Verbrüderung zwischen Soldaten und Winzern. Der Obrigkeit bereitet das große Sorge.
Im Februar beschließt die Nationalversammlung, dass die Bezeichnung Champagner nun ausschließlich den Winzern und Négociants von der Marne vorbehalten sein soll. Das klingt zunächst gut, ist aber für viele Beteiligte nicht, was sie sich erhofft hatten. Vor allem die Winzer von der Aube, dem Gebiet, in dem Troyes, die alte Hauptstadt der Champagne liegt, sind ausgeschlossen. Sie erhalten Unterstützung von einem Zusammenschluss kleiner Händler, die durch die Regelung ihre Geschäftsgrundlage verlieren würden. So gehen die Aufstände weiter, verlagern sich nur eben weiter in den Süden. Die Zentralregierung ist mit der Lösung des Problems, überfordert, selbst mit der Entsendung von vierzigtausend Soldaten in die Region gelingt es nicht wirklich, für Ruhe zu sorgen. Weiter werden Weingärten verwüstet, Keller geplündert und hektoliterweise Wein ausgegossen. Erst der Weltkrieg beendet die Révolution champenoise.
Als im Spätsommer 1914 die Truppen der Reichswehr an die Marne vorrücken, laufen die Verhandlungen zwischen Winzern, Handelshäusern und dem Staat noch. In der Folge wird die Region zu einem Hauptschauplatz des Krieges - und schwer verwüstet. Im Friedensvertrag von Versailles 1919 wird den Deutschen im Champagnerparagraph verboten, fremde Herkunftsbezeichnungen zu führen. Es ist der erste Schritt zu dem Schutz, den sich die Winzer wünschen.
Und noch ein Problem löste sich während des Wiederaufbaus: Niemand hatte Lust, die anfälligen französischen Rebstöcke neu zu pflanzen, die Methode des Aufpfropfens auf amerikanische Wurzelstöcke und die Pflanzung in Reihe sind seitdem auch in der Champagne Standard.
Heute ist Champagner eine von der EU geschützte Herkunftsbezeichnung und darf nur in der Champagne aus Trauben aus der Champagne hergestellt werden; das Gebiet schließt auch die südlichen Regionen an der Aube ein, zudem wurde ein Klassifikationssystem eingeführt, um die Preise für die Trauben festzulegen und die Weinbauern vor der Übermacht der Handelshäuser zu schützen.
Louis Adrien Tarlant suchte, als er aus dem Krieg zurückkam, die Unabhängigkeit und begann als einer der ersten Winzer, selbst Champagner herzustellen, Winzerchampagner. Davon gibt es heute eine ganze Menge, und sie stellen - ohne den großen Häusern zu nahe treten zu wollen - den spannenderen Teil der Champagne dar.
Quellen: When Champagne became French, Wine and the Making of a National Identity, Koleen M. Guy, John Hopkins University Press, 2003 Folklore de Champagne #75, Société des Amateurs de Folklore et Arts Champenois, 1981 , Wikipedia
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