Naturkäse von Thilo Metzger-Petersen, Schleswig-Holstein

Liebe Käse-Esser, wir müssen reden, und zwar über Zeug im Käse. Damit meine ich vor allem die Gewürze, Kräuter, Früchte und Gemüse, die für angebliche Vielfalt in der Käsetheke sorgen. Vor Jahren unterhielt ich mich mit zwei jungen Käserinnen über genau dieses Thema. Ich war kurz zuvor bei einem Wettbewerb durch einen Sanddorn-Schnittkäse traumatisiert worden (immerhin nicht so aufdringlich wie Trüffel, Senf oder quietschgrünes Pesto) und frotzelte, ich warte auf den ersten Laib mit Gummibärchen – worauf prompt die Antwort kam: »Hab ich versucht, die lösen sich auf!«

Liebe Käse-Esser, wir müssen reden, und zwar über Zeug im Käse. Damit meine ich vor allem die Gewürze, Kräuter, Früchte und Gemüse, die für angebliche Vielfalt in der Käsetheke sorgen. Vor Jahren unterhielt ich mich mit zwei jungen Käserinnen über genau dieses Thema. Ich war kurz zuvor bei einem Wettbewerb durch einen Sanddorn-Schnittkäse traumatisiert worden (immerhin nicht so aufdringlich wie Trüffel, Senf oder quietschgrünes Pesto) und frotzelte, ich warte auf den ersten Laib mit Gummibärchen – worauf prompt die Antwort kam: »Hab ich versucht, die lösen sich auf!«

Nun, bitte, nichts dagegen, wenn euch der Tomate-Oregano-Paprika-Gouda Spaß macht, aber wahre Vielfalt, die muss buchstäblich von unten wachsen und vor allem auf die Herkunft zurückgehen. Denkt an die Marschen an der Nordsee einerseits und die Alpenhänge andererseits. Beides sind Landschaften, die wir Menschen ohne Tiere, die sie wiederkäuend zu Milch verwandeln, nicht nutzen könnten (Hafermilch setzt Ackerland voraus, liebe Veganer) – und sie sind so unterschiedlich! Die Meeresbrise riecht und fühlt sich anders an als die Bergluft im Allgäu, das Licht ist ein anderes, die Weide daher auch. Deshalb sollte eine Kuh an der Nordsee auch eher ein Schwarzbuntes Niederungsrind sein, eine an diese Landschaft angepasste regionale Rasse vom Ende des 19. Jahrhunderts (die eine Zuchtgeneration vor den Holstein-Rindern der Milchhochleistungsmoderne steht), in den Alpen hingegen trittsichere alte Braun- oder Grauvieharten weiden. Wenn dann zur Steigerung der Milchleistung nicht zu viel Kraftfutter zugefüttert wird (abgesehen von der Auswirkung auf den Organismus der Kuh stammen Getreide, Mais, Leguminosen, Soja und/oder Zuckermelasse selten aus dem jeweiligen Gebiet) und die Milch auf eine Weise zu Käse verarbeitet wird, die die natürlichen Bedingungen mit einbezieht (wie Kulturen, Luftfeuchtigkeit und Temperatur im Naturkeller) – dann wird das für so unterschiedliche Käse sorgen, dass euch an der Theke die Spucke wegbleibt.

Damit nicht genug: Noch mehr Vielfalt entsteht durch den Faktor Zeit. Käse reifen durch den Abbau von Fett zu Fettsäuren und Eiweiß zu Aminosäuren, wobei eine Menge anderer geschmacksbildender Stoffe entstehen und sich auch die Textur verändert – denkt an elastischen jungen Käse und älteren, bröckeligen mit Kristallen.

Also im Idealfall Naturkäse, so wie beim Naturwein: aus unbehandelter, roher Milch, so wenig wie möglich dazugetan oder weggenommen. Wie bei Backensholz, ganz weit oben in Schleswig-Holstein, einem Pionier der Rohmilch-Hofkäserei. Martina Metzger-Petersen begann Anfang der 1990er, die Milch des Familienbetriebs zu Käse zu verarbeiten, statt ruhig und hoffend der Entwicklung der Milchpreise zuzuschauen. In den letzten Jahren haben ihre Söhne Thilo und Jasper Hof (dreihundertdreißig Milchkühe) und Käserei (neuntausend Liter Milch täglich, aber nie genug) übernommen. Die breite Palette unterschiedlicher Käse entsteht ausschließlich durch die Arbeit mit Zeit, Temperatur und Feuchtigkeit in Verbindung mit unterschiedlichen Kulturen. Ende 2017 hat Thilo einen Käse mit komplett hofeigenen Kulturen gemacht, inspiriert von einem kurzen Vortrag des kanadischen Käsers David Asher während der Cheese Berlin 2016, und dieser Käse ist tatsächlich außergewöhnlich: außergewöhnlich gut. Das erste Mal erlebte ich ihn mit vier Monaten, und bereits da zeigte er mehr Tiefe und Komplexität als der Käse desselben Alters, den er aus derselben Partie Milch gemacht hatte – mit kommerziellen Kulturen. Die Textur schien dichter, Säure und Bitterkeit (die Teil dieses dem Tilsiter verwandten Käsetyps sind) wirkten zugleich ausgeprägter und unaufdringlicher, wie in sehr guten Kaffee- oder Kakaobohnen, weil so viel anderes um sie herum passiert.

Leider blieb dieser Käse eine Ausnahme – auf Backensholz gab es mit Um- und Ausbau viel anderes zu tun. Aber glücklicherweise hatte Thilo in all dem Trubel ein paar Laibe seines Naturkäses in einer Ecke übersehen. Jetzt, ein Jahr später, bestätigt sich der positive Eindruck: Die Textur ist noch sämiger, die Aromen erinnern an gekochte Maronen, getrocknete Birnen und Aprikosen … großartig. Ohne alles. Ich hoffe, es gibt bald einen Nachfolger, damit ihr das auch erleben könnt, damit ihr Tomate, Paprika und Oregano künftig hoffentlich vor allem als Salat esst – und die hübschen bunten Blüten auf Alpkäsen, diese ewig gleiche Mischung aus Rosen, Ringel- und Kornblumen, die mit Bergweiden meist wenig bis gar nichts zu tun hat, als Eye Candy erkennt.

Meine Meinung …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Aus Effilee #49, Sommer 2019
«
»