Mundgefühl: Warum wir mögen, was wir mögen, ein Gespräch mit Ole G. Mouritsen

Warum freuen wir uns über knusprige Pommes? Warum kommen wir ins Träumen, wenn ein Stück Schokolade in unserem Mund schmilzt, und warum empfinden wir eine abgestandene Limonade als Zumutung? Ein hochdekorierter dänischer Wissenschaftler hat sich aufgemacht zu enträtseln, wie unsere Vorlieben und Abneigungen zustande kommen. Mouthfeel heißt das beeindruckende Buch, das dabei herausgekommen ist. Wir trafen Professor Ole G. Mouritsen zu einem Gespräch über Klümpchen in der Sauce, Wurst, die in den Ohren knackt, und zwei Millionen Jahre Freud und Leid beim Essen

Ole G. Mouritsen vor seiner Sushitapete. Foto: Jonas Drotner Mouritsen
Sie haben, zusammen mit Ihrem Co-Autor Klavs Styrbæk, ein beachtliches Buch über das Thema Mundgefühl vorgelegt. Können Sie uns kurz erklären was der Wissen­schaftler Ole Mouritsen darunter versteht?
Mit Mundgefühl sind in erster Linie unsere taktilen Empfindungen im Mund gemeint. Wenn wir von Schmecken reden, meinen wir immer mehrere Sinne, wir benutzen den Sehsinn, das Gehör, den Geruchssinn und die Geschmacksnerven. Um möglichst viel über die ­Nahrung zu erfahren, die wir zu uns nehmen, benutzen wir also die Augen, die Zunge, die Nase, die Ohren, und die wichtige Nummer fünf ist das Fühlen. Wenn die Nahrung die Lippen berührt oder in den Mund kommt, geschieht dort plötzlich sehr viel auf einmal: Erst greifen die Schneidezähne zu und schneiden ein Stück von der Nahrung ab, die Eckzähne halten es fest und schließlich zerlegen es die Backenzähne so gründlich, dass seine Geschmacks- und Aromasubstanzen freigesetzt werden und die Nahrung kleinteilig genug ist, um, zusammen mit etwas Speichel, heruntergeschluckt werden zu können. Während das geschieht, vollführt die Zunge geradezu akrobatische Bewegungen, um die Nahrung zu untersuchen, umzu­drehen, hin und her zu schieben, zwischen den Zähnen zu platzieren und schließlich nach Stücken zu forschen, die zwischen den Zähnen und den Lippen oder den Wangen stecken geblieben sind. Das Kauen dient also gleichzeitig dem Zweck, die Nahrung zu zerkleinern und sie, zusammen mit dem Speichel, zu einem Ball zu formen, der leicht zu schlucken ist. Erst wenn uns unser Mundgefühl sagt, dass die Nahrung ausreichend durch­gekaut ist, übernimmt die Zunge und leitet das definitive Schluckmanöver ein, bei dem der Ball Richtung Rachen geschoben wird.
Stellen Sie sich einfach einen Hotdog vor, der einmal durch den Mixer gegangen ist
All diese taktilen Erfahrungen und Beschaffenheitsprüfungen machen einen wichtigen Teil dessen aus, was wir zusammenfassend Geschmack nennen. Die Textur unserer Nahrung spielt also eine große Rolle. Einfache Pommes frites sind da ein gutes Beispiel. Wenn die gut ankommen sollen, müssen sie außen knusprig sein und innen weich. Wenn Sie ein falsch frittiertes Exemplar aus der gleichen Kartoffel, das außen weich geblieben ist, in den Mund nehmen, bekommen Sie ein vollkommen anderes Geschmacksbild. Der Geschmack auf der Zunge oder der Geruch, den Ihre Nase wahrnimmt, mögen der gleiche sein, aber das Mundgefühl ist ein anderes und deshalb erleben Sie auch etwas anderes. Auch beim Verzehr eines Hotdogs oder eines Burgers spielen taktile Eindrücke eine enorme Rolle. Stellen Sie sich einen Hotdog vor, der einmal durch den Mixer gegangen ist: Sie hätten die gleichen Rohstoffe, aber Sie würden ihn geschmacklich nicht wiedererkennen, weil das Mundgefühl ein komplett anderes ist.

Rezept für Knusprige Gewürzkekse auf die altmodische art

Man hat zu diesem Thema eindrucksvolle Experimente gemacht und einer größeren Gruppe von jungen Versuchspersonen mit verbundenen Augen rohe, pürierte Nahrungsmittel serviert. Nur etwa vierzig Prozent haben richtig getippt. Bei etwas älteren Versuchspersonen haben nur noch dreißig Prozent gewusst, was sie gerade essen. Es gab auch enorme Unterschiede in Hinsicht darauf, welche Lebensmittel am ehesten erkannt wurden. Mehr als achtzig Prozent der jüngeren Probanden erkannten zum Beispiel pürierte Äpfel, Erdbeeren und Fisch, während es bei Rind vierzig Prozent waren, acht Prozent bei Gurke und vier Prozent bei Kohl. Letzteres ist besonders erstaunlich, da Kohl in der Regel ja ein geradezu aufdringliches Aroma unterstellt wird. Es gibt, was die Wertschätzung des Mundgefühls unserer Nahrung angeht, übrigens ein paar Unterschiede, die mit unserer sozialen Stellung und unserem Geschlecht in Verbindung stehen. Es sieht so aus, als legten gut gebildete und wohlhabende Menschen größeren Wert auf ein angenehmes Mundgefühl, in dieser Kategorie hauptsächlich die Frauen.
Wirklich knusprig ist ein Nahrungsmittel erst, wenn unsere Ohren es auch knacken gehört haben
So richtig in aller Munde ist das Wort, zumindest bei uns in Deutschland, aber noch nicht.
Auch wenn das Wort in der Alltagssprache nicht sehr populär ist, verwenden wir bei Tisch doch ständig ganz bekannte Ausdrücke, die direkt auf das Mundgefühl hindeuten: Wir nennen die Lebensmittel weich, hart, cremig, saftig oder knusprig. Knusprig ist übrigens ein gutes Beispiel dafür, dass sich Geschmack nicht nur im Mund abspielt, wirklich knusprig ist ein Nahrungsmittel erst, wenn unsere Ohren es auch knacken gehört haben. Es gibt Kulturen, die geradezu massenhaft viele Ausdrücke kennen, mit denen Textur und Mundgefühl beschrieben werden, und andere, die erstaunlich wenig Wörter dafür haben. Ganz vorne liegen die Japaner mit vierhundertsechs verschiedenen Ausdrücken. Dort wird zum Beispiel unterschieden, wie sich ein Nahrungsmittel auf der Zunge anfühlt, der Begriff heißt shitazawari, wie im Mund, dazu sagt man kuchi atari, oder welchen Wider­stand es den Zähnen beim Kauen entgegenbringt, in dem Fall spricht man von hogotae. In Österreich muss man mit einhundertfünf Begriffen auskommen, in den Vereinigten Staaten mit achtund­siebzig. Das am häufigsten verwendete Wort, um eine Textur zu beschreiben, ist in den USA und den meisten europäischen Staaten knusprig. In Japan wird das Wort fest am häufigsten verwendet.
Das ist insgesamt ein ansehnlicher Wortschatz für Leute, die sich gern über das Essen beschweren.
Es ist in der Tat so, dass Leute, die sich über ihr Essen beschweren, selten einfach nur sagen: »Das schmeckt nicht!« Fast immer werden für die Beschwerde Begriffe verwendet, die in direktem Zusammenhang mit der Textur stehen: Das Brot ist trocken, das Fleisch ist zäh, die Pommes sind matschig, der Salat ist welk, es sind Klumpen in der Sauce und so weiter.
Stichwort Sauce: Täuscht der Eindruck oder stellen Saucen was die Textur angeht die größten Herausforderungen in der Küche dar?¡
Saucen sind sicherlich eine ganz große Herausforderung an die Textur und das daraus resultierende Mundgefühl, aber wenn der Koch weiß, was er tut und warum er es tut, kann die Sache, wie wir alle wissen, sehr lecker ausgehen. Beim Eindicken einer Sauce vor allem mit Stärke kommt es darauf an, die richtige Konsistenz zu erreichen, ohne die Intensität des Geschmacks zu sehr zu reduzieren. Dünne Saucen nehmen wir intensiver wahr, weil die Geschmacks- und Aromasubstanzen beweglicher sind und schneller in Kontakt mit unseren Rezeptoren in Mund und Nase kommen. Allerdings haften sie nicht lange genug an den festen Nahrungsmitteln, zu denen sie serviert werden, um dem Gaumen und der Zunge das maximale Geschmackserlebnis zu vermitteln. Der Koch muss also einfach den besten Kompromiss zwischen einer dünnen, erfreulich aromatischen Sauce finden und einer, die dick genug ist, um an der festen Speise zu haften und sich im Mund lange genug zu halten.
Eine sehr frühe Beschwerde über mangelnde Textur habe ich übrigens in meinem Buch zitiert, sie stammt aus der Bibel. Während ihrer Wanderschaft durch die Wüste sollen die Israeliten versucht haben, vierzig Jahre von Manna zu leben. Dieses von Gott gesandte, perfekte Nahrungsmittel wird als fein und knusprig beschrieben, weiß wie Koriandersamen und mit dem Geschmack von Honigkuchen. Gott der Herr persönlich ließ es jeden Morgen wie Frost oder Reif auf dem Boden wachsen und es soll alles enthalten haben, was der Mensch zum Leben braucht. Mit der Textur allerdings scheint irgendwas nicht gestimmt zu haben, jedenfalls bekamen die Israeliten irgendwann ziemlich schlechte Laune: »Wenn wir nur wieder mal Fleisch hätten!«, ging die Klage, »Wir erinnern uns noch an den Fisch, den wir in Ägypten gegessen haben und an die Gurken, Melonen, den Lauch, die Zwiebeln und den Knoblauch. Jetzt sehen wir nichts anderes mehr als dieses Manna!«
Längeres Kauen verschafft dem Gehirn mehr Zeit die Erinnerung an unser Essen, seinen Geschmack und das Mundgefühl abzuspeichern
Vielleicht klagen Hungrige ja nicht umsonst, sie bräuchten wieder mal was Richtiges zwischen die Zähne? Sie schreiben, dass es Forschungen gibt, die darauf hindeuten, dass kräftiges Kauen gut fürs Gedächtnis ist und sogar der Demenz vorbeugen kann?
Es gibt durchaus Interaktionen zwischen Muskelbewegungen und dem Gedächtnis, es existiert ja auch etwas, was wir motorisches Gedächtnis nennen. Und längeres Kauen verschafft dem Gehirn mehr Zeit die Erinnerung an unser Essen, seinen Geschmack und das Mundgefühl abzuspeichern, ebenso wie die sonstigen Umstände, unter denen wir die Mahlzeit eingenommen haben. Daher kommen sicher auch unsere lebenslangen Bemühungen, die Zähne gesund zu erhalten, um unser Essen möglichst mühelos und gründlich kauen zu können. Unsere regelmäßigen Zahnarztbesuche dienen also keinesfalls nur kosmetischen Zwecken. Natürlich könnten wir auch mit Flüssignahrung überleben, aber das Kauen unserer Nahrung scheint uns auch ein gewisses Vergnügen zu bereiten. Die Szenarien aus frühen Science-Fiction-Filmen, in denen wir in naher Zukunft nur noch etwas Matsch aus der Tube oder eine Pille zu uns nehmen, wenn wir hungrig sind, erscheinen unter diesem Aspekt noch weniger reizvoll.

Rezept für Knusprige Risottobällchen mit Champignons, Saubohnen und Muschelpulver

Und zwar weil, diesen Eindruck bekommt man jedenfalls schnell, wenn man sich mit Ihrem Buch befasst, die Textur der Hauptverursacher von Spaß bei Tisch ist?
Der Eindruck ist nicht falsch. Ich erläutere das in dem Buch am Beispiel einer lokalen Suppe aus dem Süden Frankreichs, die auf der ganzen Welt Berühmtheit erlangt hat und trotz der relativen Einfachheit ihrer Zutaten immer mit einer gewissen Feierlichkeit zu Tisch gebracht wird: Die Bouillabaisse ist ein fröhliches Spiel mit mehreren, sehr unterschiedlichen Texturen, die in einem Teller vereint werden. Die Hauptbestandteile sind eine ganze Reihe von Fischen und Meerestieren von äußerst unterschiedlicher Beschaffenheit, Fisch­brühe, Weißwein und Olivenöl sowie eine Hand­voll Gemüse und Kräuter. Wenn die Suppe richtig kocht, beginnen das Öl und die Gelatine aus den Fischgräten zu interagieren: Das Öl spaltet sich in kleine Tröpfchen auf, die mithilfe der Gelatine emulgieren und die Suppe sämig machen. Dann wird eine Scheibe Weißbrot in Öl angebraten und in den Teller gelegt und die heiße Suppe (ohne den Fisch, der wird traditionell separat serviert) wird über das knusprige Brot gegeben. Man tut dann gut daran, die Suppe alsbald zu essen, bevor das Brot seinen Knusper verliert und ehe sich das Öl wieder separiert.
Bei einer Mahlzeit, die den Namen ­verdient, sollte man also mindestens ­einmal auch auf etwas Knuspriges ge­bissen haben?
Wir empfinden es immer als angenehm, auf etwas Knuspriges zu beißen, in Japan weiß man das übrigens sehr genau. Tsukemono nennt man dort Gemüse beziehungsweise Früchte, die auf eine bestimmte Art und Weise eingelegt wurden. Das Erstaunlichste bei Tsuke­mono ist tatsächlich die Textur, vor allem wenn man es mit Gurken macht. Das Gemüse bekommt – eigentlich das Letzte, was man von einer in Scheibchen geschnittenen und marinierten Gurke erwartet – einen unvergleichlichen Crunch, der sogar noch im Kopf nachhallt! Den erzeugt man, indem man dem Gemüse Wasser entzieht, bevor man es in eine Marinade legt.

Rezept für Japanischer Gurkensalat (Tsukemono)

Die Dehydration gelingt am besten mit einem Dörrgerät bei ungefähr fünfzig Grad in vier bis zehn Stunden, je nachdem um welches Gemüse es sich handelt. Gurken brauchen nur wenige Stunden, sie sehen danach einigermaßen erledigt und nicht gerade frisch aus, davon darf man sich nicht irritieren lassen. Nach dem Trocknen schneidet man sie in Stücke und legt sie in eine Salzlake mit Koch-Sake, Zucker, Gewürzen, Essig oder Zitronensaft. Meist kommt noch etwas Kombu dazu, der Seetang verleiht dem Ganzen zusätzlich eine Umami-Komponente. Die getrockneten Gurken nehmen logischerweise einen Teil der Marinade auf, werden an ihrer Ober­fläche allerdings sensationell knusprig. Außerdem bewahren sie aufs Feinste ihren Eigengeschmack und das für immerhin ein bis zwei Monate, wenn man alles im Kühlschrank lagert.

Kochen und essen sind Stützpfeiler unserer Zivilisation, unserer Kultur und enorm wichtig für unser geistiges und körperliches Wohlbefinden.
Während des Essens, heißt es bei Ihnen, füttern wir unser Gehirn permanent mit Informationen, das Denkorgan vergleicht Erfahrungen, Erinnerungen und Erwartungen und wägt ab, ob wir die Nahrung mögen sollen oder nicht. Wie weit zurück geht das Gehirn beim Erinnern?
Die Frage kann derzeit noch niemand befriedigend beantworten, da wirkliche Belege fehlen, aber es geht höchstwahrscheinlich zurück in den Mutterleib. Die Vorlieben von Kindern werden oft von den Sachen bestimmt, die ihre Mutter während der Schwangerschaft bevorzugt gegessen hat. Das ist eigentlich ein guter Grund für Frauen sich während der neun Monate möglichst abwechslungsreich zu ernähren. Überhaupt ist die Frage nach der Entstehung unserer kulinarischen Vorlieben ein weites Feld. Schauen Sie mal, was hier auf dem Tisch steht. Wir sitzen mitten in Dänemark und trinken Kaffee. Der ist irgendwo in einem heißen Land in großer Höhe an Büschen gewachsen. Als Beere, die zu einer ganz bestimmten Zeit geerntet werden muss, fermentiert, getrocknet, geröstet, gemahlen und so weiter. Es gibt um uns herum sicherlich tausend andere interessante Getränke, die wir zu uns nehmen könnten, aber wir haben uns ganz selbstverständlich für Kaffee entschieden. Und das hat aus irgendwelchen Gründen schon unsere Mutter und unsere Großmutter getan. Und es wird sich auch in der nächsten Generation nicht ändern. Unsere Vorlieben unterliegen scheinbar einem ständigen Wandel, es wird viel ausprobiert, und ab und zu wird etwas, aus Gründen, die wir nicht immer befriedigend erklären können, besonders erfolgreich.
Das Wissen um unser Mundgefühl, schreiben Sie, kann uns helfen, unser gesamtes Dasein besser zu verstehen und zu erklären, warum wir essen, was wir essen. Wie ist das gemeint?
Wir stehen jetzt seit eins Komma neun Millionen Jahren am Feuer und man kann unumwunden sagen, der Mensch ist ein Koch. Kochen und essen sind Stützpfeiler unserer Zivilisation, unserer Kultur und enorm wichtig für unser geistiges und körperliches Wohlbefinden.

Pommes Frites Nach Heston Blumenthal

Ein britischer Primatenforscher und ein amerikanischer Biologe, Richard Wrangham und Daniel Lieberman, haben sich ausführlich mit dem Thema befasst und sind zu dem Schluss gekommen, dass die Erfindung des Kochens über Feuer eine äußerst wichtige Rolle in unserer Entwicklung gespielt hat. Im Vergleich zu seinem Körpergewicht hat der Mensch ein überdurchschnittlich großes Gehirn, es macht ungefähr zwei Prozent unseres Gesamtgewichts aus. Wäre es so groß wie bei anderen Tieren in unserer Größe, würde es zehnmal weniger wiegen. Ungefähr zwanzig Prozent der Energie, die unser Körper erzeugt, geht direkt an dieses Gehirn. Die Entwicklung eines derart großen Gehirns wäre ohne reichliche und abwechslungsreiche Nahrung nicht möglich gewesen. Ein Faktor, der diese Entwicklung wesentlich erleichtert hat, dürfte die Tatsache gewesen sein, dass Menschen irgendwann anfingen, ihre Nahrung zu garen. Man geht davon aus, dass die Denisova-Menschen vor ungefähr zwei Komma sechs Millionen Jahren anfingen, rohes Fleisch zu verzehren. Man vermutet, dass unsere Vorfahren dieses Fleisch durch Schneiden, Zerstampfen oder Zerreißen leichter verzehrbar gemacht haben. Diese Art der Ernährung war ein Entwicklungssprung für die Spezies Mensch. Laut Wrangham wurde der nächste Sprung, der zu unseren heutigen, großen Gehirnen führte, erst möglich, als unsere Vorfahren gelernt haben, sich das Feuer zunutze zu machen. Erst garte man über offener Flamme, später mit Geschirren und Töpfen, Wrangham datiert diesen Fortschritt auf eine Zeit vor eins Komma neun Millionen Jahren. In der Folge wurde die Ernährung effektiver, die Nahrung war leichter zu kauen, leichter zu verdauen und hatte einen höheren Nährwert. Es ist also keine Übertreibung zu sagen, dass unsere Entwicklung zu dem Menschen, der wir heute sind, auch ganz wesentlich mit der Textur unserer Nahrung zusammenhängt.
Nach dieser Rechnung hatte die Mensch­heit circa zwei Millionen Jahre Zeit, ihre Esskultur zu optimieren. Sind Sie mit dem derzeitigen Stand zufrieden?
Eine Sache verändert sich gerade ziemlich ungünstig, und das ist unser Verhältnis zu dieser Esskultur, wir nehmen die Sache etwas zu locker. Die meisten der Zivilisationskrankheiten, die sich im letzen Jahrhundert bemerkbar gemacht haben, also Übergewicht, Diabetes, Krebs, Kreislauferkrankungen und ähnliche, haben dort ihren Ursprung. Ein gesunder Lebensstil funktioniert nämlich nicht ohne eine gesunde Esskultur. Ein interessantes Beispiel liefert da die so­genannte mediterrane Ernährung, die fast durchweg als besonders gesund bezeichnet wird. Zerlegt man diese Mittelmeerküche allerdings in ihre Bestandteile, sieht die Sache schon ganz anders aus: Überdurchschnittlich viel Öl, kräftig Alkohol, viel weißes Mehl, alles Sachen, die eher als nicht so gesund gelten. Trotzdem haben die Menschen dort weniger mit Zivilisationskrankheiten zu kämpfen, und der Grund dafür ist einfach, dass es im Mittelmeerraum tatsächlich noch eine nennenswerte Esskultur gibt.
Die Menschen reden übers Essen, sie kümmern sich so lange um ihre Mahl­zeiten wie nötig, die Mahlzeiten werden zu festen Zeiten, mit einer gewissen Fei­erlichkeit und gemeinsam eingenommen. All das zusammen ergibt eine gesunde Esskultur. Andernorts, auch in Nord­europa, gibt es leider die Entwicklung, dass immer mehr Menschen alleine essen und leider auch sehr schnell essen. Dort verliert die Nahrungsaufnahme ihre Rolle als Quell der Freude, des Genusses und des sozialen Ereignisses. Essen ist für eine stetig zunehmende Zahl von Menschen etwas, was man hinter sich bringen muss, um schnell wieder zum nächsten Tagesordnungspunkt wechseln zu können. Wir haben uns von der Fast-Food-Industrie beibringen lassen, wie lange eine Mahlzeit höchstens dauern darf. Das ist nicht gut! Die Mahlzeit entwickelt sich für viele allmählich zum Hindernis im Tagesablauf. Dabei vernachlässigen wir auch in sträflicher Weise das Mundgefühl, das eigentlich dafür da ist, uns spüren zu lassen, wie schön und wohl­tuend die Sachen sind, die wir essen. Das Essen als eine Sache zu betrachten, die man schnell nebenbei erledigt, ist sehr gegen unsere Natur und auf Dauer wirklich nicht gut für uns.
Um eine perfekte Mahlzeit auf den Tisch zu bringen, zitieren Sie einen britischen Kollegen, sollte man sich mit experimenteller Psychologie auskennen, mit den Neurowissenschaften, Design, Ver­haltensforschung und Sensorik. Wie sieht eine perfekte Mahlzeit für Ole Mouritsen aus?
Die perfekte Mahlzeit kommt mit einer feinen Balance aller fünf Grund­geschmäcker daher und erfreut mit vielen verschiedenen Aromen und Texturen. Darüber hinaus sollte sie etwas Wohlbekanntes und ein paar kleine Überraschungen enthalten.
Zu guter Letzt die gleiche Übung noch mal mit einem guten, dänischen ­Hotdog?
Das Würstchen sollte eine feste Haut haben, damit es knackt, wenn man reinbeißt. Innen sollte es saftig sein. Das Brötchen sollte an der Oberfläche knusprig sein und im Inneren weich und elastisch. Die Remoulade sollte eine cremige Textur haben, die Gemüse­stückchen darin müssen beim Drauf­beißen knacken. Es braucht einen cremigen, dickflüssigen Ketchup. Die Röstzwiebeln müssen knusprig sein, der Senf schön cremig und eine starke Senfölnote aufweisen. Die Gurkenscheiben müssen gleichzeitig saftig sein und einen guten Biss haben.
Meine Meinung …

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Aus Effilee #42, Herbst 2017
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