Nur Mut!

In Österreichs Weinkellern wird derzeit viel experimentiert. Doch wie herausfordernd darf Wein sein? Zeit für eine Sommelier-Runde

Die Gäste (von links nach rechts) untere Reihe: Lennart Wenk (Hygge), Karen Sapre (Effilee),
Axel Bode (Witwenball), Vijay Sapre (Effilee), Michael Kutej (Hanse Lounge), Gerhard Retter (Cordo), Jonas Hauke (La Cave), MITTE: Katharina Matheis (Sommelière / Weinjournalistin), Stefanie Hehn (Lakeside), Florian Schütky (Österreich Wein), OBEN: Felix Hartwich (Riedel), Sophie Lehmann (100/200), Florian Fiermann (Landhaus Scherrer), Boris Kasprik (Petit Amour)

Zu Gast sind die üblichen Verdächtigen: Stefanie Hehn, Sommelière im Hamburger Restaurant Lakeside, Lennart Wenk, der im Hygge die nordische Küche vinophil begleitet, Sophie Lehmann aus dem 100/200, Michael Kutej aus der Hanse Lounge, Jonas Hauke aus der Naturweinbar La Cave, die zum Haebel gehört, Axel Bode vom Witwenball Florian Fiermann aus dem Landhaus Scherrer, Felix Hartwich vom Gläserhersteller Riedel und Boris Kasprik vom Petit Amour. Alles Leute, die in ihrer täglichen Arbeit viel mit Wein zu tun haben, die aber darüber hinaus auch eine echte Leidenschaft dafür empfinden. Als Master of Ceremony war Gerhard Retter dabei, den man eh kennt, nicht nur weil er in Berlin das Cordo betreibt. Er hatte die Runde auch vorbereitet, die Weine ausgesucht und mit Vijay das Essen abgesprochen: »Wenn wir wollen, dass die alle kommen, dann müssen wir bei den Weinen schon was bieten«, hatte er gesagt, »und beim Essen würde ich die Leute gern fordern und zeigen, wie man im Weinpairing auch neue Wege gehen kann.«

Wenn man den Retter so sieht, könnte man meinen, Wein sei eine ernste Sache. Aber in Wirklichkeit geht es auch ihm nur um den Spaß

Es geht also auch darum zu zeigen, was das Land über Grünen Veltliner und Blaufränkisch hinaus an interessanten Rebsorten zu bieten hat. Als Erstes schenkt Retter deshalb einen gereiften Muskateller aus der Südsteiermark (Weingut Gross) aus. Die Rebsorte ist für ihre üppige Aromatik bekannt, präsentiert sich nach einigen Jahren in der Flasche jedoch überraschend. Kein Blendwerk, kein vulgäres Bukett, sondern ein vielschichtiges Spiel aus Quitte, Rosmarin und Thymian und damit ein optimaler Begleiter zur Vorspeise: Chawanmushi mit Austern und Edamame. Chawanmushi ist ein japanischer Eierstich, cremig aber voll Umami, mit Biss durch die Edamame und die jodigen Austern. Der erstaunlich trockene Muskateller setzt sich mit seiner feinen Säure gut durch, während die kräutrige Reife des Weins für ein Spannungsspiel im Mund sorgt – ein perfektes Match.

Asiatische Finesse trifft auf österreichische Experimentierfreude

Als zweiter Gang kommt ein Alltime-Favorite auf den Tisch: Spaghetti ai Pomodori, mit Tomatensauce. Eine knifflige Herausforderung für die Weinbegleitung. Schließlich warten Süße, Säure, Salz und Umami auf. Dennoch sollte der Wein so sein wie das Essen: unkompliziert. Es sind noch nicht alle Teller gefüllt, da hat Retter verschiedene Flaschen auf dem Tisch gestellt: Ein St. Laurent Rosé (Weingut Zillinger) duftet nach Himbeere und steht mit seiner straffen Säure für die leichtfüßige Pasta-Begleitung. Andere entscheiden sich für die kräftige Variante, die Pannobile-Cuvée von Claus Preisinger aus dem Burgenland, deren Gerbstoffe mit dem reduzierten Tomatengeschmack spielen. Und auch der mineralische Blaufränkisch vom Leithaberg (Weingut Braunstein) schafft mit Komplexität und Würze Rampenlicht für derlei Soulfood.

Gutes kann so einfach sein

Es sind Weine, die fernab der üblichen Stilistik sind. Weine, die nicht versuchen einem Standard gerecht zu werden, sondern die wie handgeschriebene Briefe als Unikate in die Welt geschickt werden.

Doch es ist nicht allein das Ungewöhnliche an sich, das die Weine interessant macht. Es ist vor allem die Herangehensweise der Winzerinnen und Winzer, die zeigt, wie man diese neuen Geschmackserlebnisse schafft. Denn da gibt die österreichische Avantgarde eine klare Antwort: Bio(dynamie) im Weinberg, Handarbeit und Kreativität im Ausbau. Die Weine mal etwas länger auf der Hefe liegen lassen. Weine in Beton, Terrakotta oder Holz. Denn heute lautet die Frage nicht mehr nur, was sich da im Glas befindet, sondern immer häufiger: Wie wurde es gemacht?

Der Wein, den Retter zum Hauptgang ausgesucht hat, gibt die Antwort schon in seinem Namen. Er heißt Sauvignon Blanc IZ und stammt von Hartmut Aubell (Weingut Rebenhof). IZ steht für intrazellulär, weil der Wein in der eigenen Schale vergoren wurde. Dafür hat der Winzer während der Lese darauf geachtet, dass keine Traube beschädigt wird. Vorausgesetzt die Beeren haben einen bestimmten Zuckergehalt erreicht, beginnen sie nach einiger Zeit unter der Schale zu gären. Das Verfahren ist angelehnt an die Macération carbonique, die sonst aber nur für Rotweine, vor allem im Beaujolais, eingesetzt wird. Weine, die so entstehen, sind besonders weich und komplex, auch weil der Wein dabei lange Kontakt mit den Schalen hat.

In die Rubrik Alternativweine fällt alles, was andernorts als Raw oder Natural Wine bezeichnet wird.

Die Gesellschaft für österreichisches Weinmarketing (ÖWM) charakterisiert Weine wie den IZ als Alternativweine. Unter diese Rubrik fällt alles, was andernorts als Raw oder Natural Wine bezeichnet wird. Es existiert keine trennscharfe Definition, doch neben dem Bio-Anbau gibt es ein paar Gemeinsamkeiten dieser Weine: »Der Mensch greift in die Weinwerdung kaum ein, auf Schwefel wird weitestgehend verzichtet. Die Weine haben eine deutliche Gerbstoffstruktur und eine mundfüllende Textur in Kombination mit frischer Säure und erdiger Frucht«, so formuliert es die ÖWM.

Und Österreich ist längst ein Hafen für die Fans von diesen experimentellen Weinen geworden. Jonas Hauke, Sommelier in der Hamburger Naturweinbar La Cave, zählt Österreich zu seinen wichtigsten Quellen: Rund sechzig Prozent seines Sortiments bestückt er mit Weinen aus dem Nachbarland. »Viele Winzer dort sind einfach mutiger und unangepasster, und die Wege, die sie gehen, sind ungewöhnlicher«, sagt Hauke.

Im Ganzen kommt der Butt nur zu besonderen Gelegenheiten auf den Tisch

Solche Alternativweine sind anspruchsvoller, herausfordernder und ja, oft auch komplizierter. Es sind Weine, zu denen man – wie die Sommeliers am Tisch sagen – dringend etwas zu essen braucht. Und deshalb bekommt an dieser Stelle der Hauptgang seinen Auftritt: Neben den intrazellulär vergorenen IZ wird eine dampfende Auflaufform auf den Tisch gestellt. Darin ist ein ganzer, fünf Kilo schwerer Steinbutt auf geschmortem Fenchel gebettet. Dazu wird Beurre blanc und Beurre rouge gereicht, Buttersaucen auf Weiß- beziehungsweise Rotweinbasis, Letztere auf ausdrücklichen Wunsch von Gerhard Retter, der damit auch den Rotwein zum Fisch möglich machen wollte. Retter, der ursprünglich auch einmal eine Ausbildung als Koch gemacht hat, zeigt sich bei dieser Gelegenheit als Experte beim fachgerechten Zerlegen und Servieren des Fisches.

Vor jedem Schluck wird geprüft, wie der Wein sich im Glas entwickelt

Zusätzlich zu den vielen Roten und Weißen, die bereits geöffnet sind, stellt Retter einen Rosé aus der Serie Trauben, Liebe und Zeit, den Christine und Franz Strohmeier auf ihre eigene Art gemacht haben: Sie ernteten die Trauben sehr reif, ließen den Wein mehrere Stunden auf der Maische und anschließend acht Monate im Holzfass reifen. Fast selbstredend, dass sie nicht geschwefelt, geschönt oder gefiltert haben. Ein Wein mit fast herbem Charakter, der zu dem geschmorten Gemüse und der feinen Sauce eine spannenden Konterpart bildet. Als Alternative schlägt Retter einen Traminer vom Weingut Nimmervoll vor: ein hocharomatischer Wein mit dem Duft von Passionsfrucht und einer präzisen, salzigen Mineralik, der dem Hauptgang auf Augenhöhe begegnet. Und zum guten Schluss doch noch ein Grüner Veltliner: Radikal von Herbert Zillinger: Eine Lagenselektion, die er teils maischevergoren ausgebaut hat. Ihn ungewöhnlich zu nennen wäre untertrieben, so kräftig, phenolisch und rauchig zeigt sich Österreichs Leitrebsorte hier. Und natürlich: Solche Weine fordern, sie bieten Ambivalenzen. Und haben damit alles, was Menschen wollen, die neue Weinerlebnisse suchen.

Aus Effilee #51, Winter 2019/2020
«
»