Money makes the world go round, Geld regiert die Welt. Das ist ein ungewohnter (und bei genauer Überlegung auch nur bedingt gültiger) Einstieg für diese Kolumne, die sich viel lieber mit Käsearomen, Alpwiesen und Bakterienkulturen beschäftigt. Aber Käse entsteht nur selten aus reinem Spaß an der Freud, selbst bei niedrigen Ansprüchen ans Leben (und auf manchen Höfen liegen die wirklich erschreckend niedrig): Ganz ohne Geld geht gar nichts. Und Geld fließt nur, wenn sich Nachfrage und Angebot irgendwie, irgendwo treffen. Es ist kein statisches Verhältnis, sondern ein fließendes. Wer Käse macht, entscheidet, wie dieser aussieht und schmeckt, hat aber dabei auch im Kopf, für wen dieser Käse bestimmt ist, wie viel Transport er überstehen muss, wo er den besten Preis erzielt. Idealerweise kommen dabei trotzdem Herkunft und Charakter zum Ausdruck, können sich sowohl Erzeuger als auch Abnehmer im Käse finden. Dann kann Käse Brücken schlagen zwischen seinem Entstehungsort und der Situation, in der er schließlich verzehrt wird. Dann ist er schmeckbare Geschichte.
Konkretes Beispiel: dieser Cheddar. Der nicht aus Somerset stammt, wo die kleine Stadt Cheddar und die dortigen Höhlen und Schluchten als Ursprung dieses in keiner Weise geschützten und daher weltumspannend in unzählig vielen Formen produzierten Käses gilt, sondern aus Ontario im Südosten Kanadas. Das macht ihn nicht zum Exoten, denn in der gesamten englischsprachigen Welt ist Cheddar eine Selbstverständlichkeit, ähnlich wie Gruyère im Alpenraum. Auf den Höfen der englischen Auswanderer, die sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Ontario niederließen, machten die Frauen, sobald sie genug Milch hatten, den ihnen gewohnten Käse: Cheddar. Kein Luxusprodukt, sondern Alltagsversorgung. Zuerst für die eigene Familie, aber wenn alles gut lief und sie ihr Handwerk verstanden, auch für die Nachbarn. So wie Käse wichtig fürs Überleben der Höfe war, entwickelte er sich ab den 1860er-Jahren zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor der gesamten Provinz, nicht zuletzt weil viele Höfe aufgrund der Schäden durch die Weizengallmücke auf Milchvieh umstellten und zeitgleich die Eisenbahn neue Märkte erschloss. Um die Jahrhundertwende stand Cheddar (hinter Bauholz) an zweiter Stelle der kanadischen Exporte, und diese über einhunderttausend Tonnen Cheddar jährlich gingen vor allem nach Großbritannien, wo sie wiederum siebzig Prozent sämtlicher Käseimporte darstellten. Dies war die Zeit, als Cheddar die wichtigste Proteinquelle der englischen Arbeiterschaft war und die Produktion im Land selbst nur einen Bruchteil der Nachfrage befriedigen konnte. Ontario war es recht, über eintausendzweihundert Käsereien gab es dort damals, bis in die 1930er-Jahre florierte die Branche. Britische Händler bestimmten Käsestilistik und Abnahmepreise. Sie bestanden auf bester Ware - die im imperialistischen London trotzdem als zweitklassig galt, während der in Ontario verbleibende Käse tatsächlich zweite Qualität war und keinen besonders guten Ruf genoss.
Keine kanadische Hausfrau, die etwas auf sich hielt, kaufte Käse, ohne ihn vorher zu probieren (diese Beobachtung inspirierte James Kraft dazu, haltbaren Schmelzkäse zu entwickeln - er wuchs auf einem Hof im Süden Ontarios auf, zog aber als junger Mann nach Buffalo/USA und später weiter nach Chicago). Nichtsdestotrotz, Kanada ging seinen Weg, die Käsereien waren die Zentren ländlichen Lebens und maßgeblich am Übergang von der Selbstversorgung zur Geldwirtschaft des Landes beteiligt. Wie in Deutschland hielt die Industrialisierung Einzug in die Landwirtschaft. Einige Zeit standen noch Frauen an den Käsekesseln, doch die unternehmerische Seite war von vornherein Männerdomäne. Die Käsereien wurden größer und effizienter (häufig unterstützt von US-amerikanischen Investoren, darunter auch Kraft), der Käse einheitlicher. Dann kollabierte der britische Absatzmarkt durch Nachkriegssparmaßnahmen, das große Käserei-Sterben setzte ein. Marketing trat an die Stelle des Probierens, immer mildere Käse verdrängten den ursprünglichen sharp Cheddar, die säuerlich-bitter-erdige Dimension handwerklicher Ware. 1973 war Kraft der bedeutendste Anzeigenkunde auf dem kanadischen Zeitschriftenmarkt, über die Hälfte des verkauften Käse trug seinen Namen.
Heute kämpfen handwerkliche Käsereien um Quoten und Milchzuteilungen, um das kulturelle Erbe des 19. Jahrhunderts zu bewahren oder neu daran anzuknüpfen. Eine von ihnen ist Monforte Dairy, von der unser Ontario Cheddar stammt. 2004 von der Profiköchin Ruth Klahsen gegründet, war das Unternehmen einerseits Mittlebens-Neuorientierung, andererseits aber auch Reaktion auf eine Marktlücke: guter handwerklicher Käse aus regionaler Milch. Sie begann in gemieteten Räumlichkeiten und mit Schafsmilch, war erfolgreich und baute daraufhin fünf Jahre später eine eigene Käserei, finanziert durch ein CSA-Modell. Heute macht Monforte eine Vielzahl unterschiedlicher specialty cheeses (wie in den USA und Kanada so ziemlich alles außer Block-Cheddar heißt), Kleinteiliges aus Ziegen-, Schafs-, Büffel- und Kuhmilch umliegender Höfe. Aber eben auch: Cheddar. Weil der sich schneller macht, in Folie reifend gut lagern lässt (ein bis zwei Jahre) und gut verkauft. Denn mit seiner prägnanten Säure, den nussigen Butterscotcharomen und Knusperkristallen erinnert er die Menschen in Ontario bewusst oder unbewusst an ihre eigene Herkunft, ist dabei aber so eigensinnig wie Ruth Klahsen selbst. Providence, Vorsehung, nennt sie ihn, und ich vermute, dass dies einer der Monforte-Käse ist, die das Unternehmen wirtschaftlich beisammenhalten. Kein Luxus, sondern Alltagsversorgung.
Monforte Dairy
49 Griffith Road
Stratford, Ontario
Kanada
www.monforteonline.ca