Meine erste Begegnung mit Königsberger Klopsen verlief dramatisch. Ich war fünf Jahre alt und spuckte mit schreckensgeweiteten Augen den allerersten Probierhappen nach Sekunden quer über den Tisch. Noch heute erzählt meine Mutter auf Nachfrage, ich hätte mich »nicht gefühlt« an jenem Tag - ein »grippaler Infekt.« Ich sag nur: Kapern. Der Biss auf eine Kaper gehört traditionell zu den dunkelsten Stunden im aufregenden Leben eines Fünfjährigen. Ich bin da kein Einzelschicksal, Königsberger Klopse verlangen ein Mindestmaß an kulinarischer Reife. Kein Mensch mag Königsberger Klopse vor dem, sagen wir mal, achtzehnten Lebensjahr. Das ergab zumindest eine private Umfrage im Freundeskreis.
Eine andere, wesentlich seriösere Umfrage ist zu einem überraschenderen Ergebnis gekommen: Die Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analyse mbH, kurz forsa, hat festgestellt, dass Königsberger Klopse das bekannteste deutsche Nationalgericht ist: 93 % der Deutschen kennen diesen Klassiker. Dabei sind die Hackklopse in Mehlsauce in Deutschland erst seit ungefähr 200 Jahren unter diesem Namen bekannt, wie die Kulturhistorikerin und Journalistin Petra Foede herausfand. Die Autorin des schlauen Buches Wie Bismarck auf den Hering kam - kulinarische Legenden stellte fest, dass sich die Bezeichnung Königsberger Klopse in Kochbüchern erst nach 1900 findet. Zuvor machte der »Klopps von Kalbfleisch« oder »Soßenklops« nicht nur im ostpreußischen Königsberg die Runde, sondern auch in Westpreußen und Posen.
Da auch der Fleischwolf erst um 1850 erfunden wurde, handelt es sich beim Ursprungsrezept um geklopftes Fleisch, welches erst mürbe geschlagen und dann fein geschabt wurde. Aber schon in den alten Rezepten herrscht Einigkeit über die Würzung des Fleischteiges. Die für das Gericht charakteristische, fein geriebene Zitronenschale, wie auch die klein gehackten würzigen Sardellenfilets gehören bereits früh zu den Zutaten. Auch wurden die Klopse schon damals mit Lorbeer in Salzwasser gegart und in leicht säuerlich abgeschmeckter, heller Mehlschwitzsauce zu Kartoffeln oder Reis gereicht.
Königsberger Klopse galten als ein Mahl gehobener Stände, da das teure Kalbfleisch und insbesondere die Verwendung von Kapern als purer Luxus galten. Die eingesalzenen und gesäuerten Blütenknospen der Capparis spinosa wurden als mediterranes Gewürz teuer gehandelt und sparsam verwendet. Auch damals wusste man: Je kleiner die Kaper, desto kräftiger der Geschmack. Die aromatischsten Kapern kommen heute aus Südfrankreich, die winzigen Nonpareilles (die Unvergleichlichen) sind geschmacklich eine Wucht. Dass die kleinen Knospen köstlich mit Kalbfleisch harmonieren, wusste man nicht nur in Königsberg. Kapern sind auch eine klassische Beilage zum echten Wiener Schnitzel und veredeln traditionell das italienische Antipasto Vitello tonnato. Für Fünfjährige bleiben die Knospen trotzdem eine Zumutung.
Ich stellte mich der Herausforderung Königsberger Klopse kurz nach Erreichen der Volljährigkeit notgedrungen ein zweites Mal - während meiner Lehrzeit in einem süddeutschen Sterne-Restaurant. Das war Ende der Achtzigerjahre. Mehlschwitzen waren selbstverständlich verpönt, wir kochten französische Hochküche mit euro-asiatischem Einschlag. Unser Lehrherr war aber dankenswerter Weise der Auffassung, dass wahre und weiterführende Kochkunst auf der Beherrschung der klassischen Küche basiere. Im Rahmen eines streng geführten Kochplans für das Personalessen brachte er uns Lehrlingen die Klassiker der deutschen und europäischen Küche bei. Eines Tages fiel mein Name im Zusammenhang mit Königsberger Klopsen.
Ich lernte, dass eine Mehlschwitze unter Zugabe von trockenem Weißwein neue Leichtigkeit gewinnt, und erfuhr die segensreiche Wirkung von Butter und Sahne. Ich lernte das feine Würzen mit gehauchtem Muskat und zarter Zitrone. Ich rührte, schweigend und innerlich aufgebracht, zum Schluss auch Kapern in die gute Sauce. Die ersten Bissen kaute ich feindselig und todesmutig. Dann aß ich mit großem Appetit.
Königsberger Klopse
- 700 g Kartoffeln
- 2 alte Brötchen
- 140 g Zwiebeln
- 60 g Butter (Zimmertemperatur)
- 150 ml Vollmilch
- 50 g Kapern
- 1 Sardelle
- ½ Bund Petersilie
- 1 Ei (M)
- 1 TL scharfer Senf
- 500 g Kalbshackfleisch
- Salz, Pfeffer
- Muskat
- 1 TL fein abgeriebene Zitronenschale
- 2 l Rinderbrühe
- 1 Suppengrün
- 1 Lorbeerblatt
- 5 weiße Pfefferkörner
- 20 g Mehl
- 150 ml Weißwein
- 2 EL Kapernflüssigkeit aus dem Glas
- 200 ml Schlagsahne
- Zucker
- Muskatnuss
- Kartoffeln schälen und in Salzwasser garen. Die Brötchen fein würfeln. Zwiebeln fein würfeln und in 20 g Butter glasig dünsten. Mit Milch ablöschen und über die Brötchen gießen, leicht abkühlen lassen und fein zermusen. 1 TL Kapern, die Sardelle und ¼ Bund Petersilie hacken und mit dem Ei, Senf und den Milchbrötchen zum Hackfleisch geben. Mit Salz, Pfeffer, Muskat und Zitronenschale würzen und mit feuchten Händen 12 Klopse formen.
- Rinderbrühe mit gewaschenem, grob gehacktem Suppengrün, Lorbeer, Pfefferkörnern und 1 TL Salz aufkochen. Die Klopse darin 15 Minuten leise siedend garen. Kartoffeln abgießen und zugedeckt warm stellen.
- Mehl und 40 g Butter mit dem Handrührgerät verkneten. Weißwein in einem Topf aufkochen, 1 Minute kochen. Mit 300 ml gesiebter Klopsbrühe, Kapernflüssigkeit und Sahne auffüllen, aufkochen und die Mehlbutter einrühren. 1 Minute offen kochen. Mit Salz, Pfeffer, einer Prise Zucker und einem Hauch frisch geriebener Muskatnuss würzen. Die übrige Petersilie hacken und mit den übrigen Kapern zur Sauce geben. Klöße absieben, abtropfen lassen und in die Sauce geben. Mit Kartoffeln servieren.