Kilmeny Kail

Kilmeny Kail – Grünkohl auf schottische Art.

Etwas abgehetzt kommt Christopher von seinen Eltern in Kiel. »Bis vier Uhr morgens habe ich versucht, ihren Router einzurichten, nach dem Aufstehen gleich weitergemacht und dabei dachte ich, ich hätte noch eine Stunde mehr Zeit, aber alle Uhren im Haus waren längst umgestellt.« In der Nacht endete die Sommerzeit, doch die geschenkte Stunde hat Christopher gleich wieder verloren. Immerhin hat sein Freund Johannes schon alle Zutaten eingekauft und mitgebracht. Eigentlich wollten die beiden in ihrer neuen Küche kochen, aber die wird noch renoviert, also treffen wir uns in der Küche unserer gemeinsamen Freundin Daniela. Die versorgt uns alle mit Tee und Kaffee, Christopher kann erst mal durchatmen und Johannes hat Zeit, sich von der Party der letzten Nacht zu erholen.

Christopher erzählt beim Tee: »Mein Vater kommt aus Kilmarnock in der Nähe von Glasgow. Meine Mutter hat ihn während des Studiums in Schottland kennengelernt und später mit nach Deutschland zurückgebracht.« Außer seinem Vater brachte sie auch noch ein großes Buch mit selbst gesammelten schottischen Rezepten mit. Leider fand sich darin keines für Kilmeny Kail, eine schottische Grünkohlvariante mit Kaninchen. »Aber ich habe mich umgehört, wir kriegen das schon hin.«

Christopher studiert Architektur und arbeitet nebenbei in einem Architekturbüro. Das ist gut für die Kasse und zum Lernen, aber weniger gut für die Freizeit. Er füllt den Grünkohl aus der Dose erstmal in eine Schale um. Johannes, der Ethnologie studiert, hat ebenfalls viel zu tun, und so zieht sich die Küchenrenovierung hin. Außerdem sind sie sehr penibel. »Wir streichen alles mit kleinen Pinseln, um die Ränder wirklich ganz genau hinzubekommen«, erzählt Christopher.

Dann steht er ein wenig unschlüssig mit dem Messer in der Küche. »Ich bin etwas unsicher, wie ich den Speck schneiden soll.« »Mach doch fingerdicke Scheiben«, schlägt Johannes vor, während er versucht, sich zwischen verschiedenen Töpfen zu entscheiden. »Ich nehme mal das Kaninchen auseinander«, bietet Daniela an und entfernt erst mal die Innereien. »Ich habe das erst vor zwei Wochen gemacht, ich bin also noch im Training. Und die Innereien können wir braten.« Christopher wendet sich ab. »Ich bin nicht der Mann, um Kleintiere zu zerlegen. Ich esse alles gerne, was da drin ist, aber mit dem Zerlegen tu ich mich schwer.«

Daniela setzt die Geflügelschere an. »Kaninchen lassen sich gut festhalten, aber beim Schneiden muss man vorsichtig sein, weil die Knochen furchtbar splittern.« Das Kaninchen wird sauber in Einzelteile zerlegt, aber die Geräusche lassen Christopher zusammenzucken. Zur Ablenkung erzählt er von schottischen Steamed Puddings mit Karamell. »In Schottland regnet es von November bis April ununterbrochen. Da tun solche süßen Sachen sehr gut.« Er schaut sich vorsichtig nach dem Kaninchen um. »Jetzt sieht das doch schon gesünder aus.«

»Wenn Schotten kochen, wird alles verwendet, und das muss für eine Woche reichen, denn in Schottland gab es immer viel Armut«, sagt Christopher, während er die Petersilie hackt. Johannes lässt etwa einen Liter Wasser in einen Topf laufen und legt die Speckscheiben hinein. Das Kanichen unangebraten dazuzulegen, widerstrebt uns zunächst, da es unseren üblichen Zubereitungsmethoden widerspricht. Andererseits scheint es für Grünkohl durchaus passend. Das Fleisch ist gerade eben von Wasser bedeckt und wird nun gekocht, dabei geben Speck und Kaninchen ihren Geschmack langsam ans Wasser ab. Nach etwa einer halben Stunde gibt Christopher den Grünkohl hinzu. »Ich würde vorschlagen, wir salzen erst später, wenn wir sehen, wie sich der Geschmack entwickelt hat.«

»Meine Verwandten in Schottland besuche ich eigentlich kaum, seit ich unter Beobachtung des Secret Service stehe.« Christopher grinst. »Na gut, eigentlich fahre ich nicht mehr hin, weil die sehr anders sind als ich, da sind wenig Gemeinsamkeiten. Aber das mit dem Geheimdienst ist nicht völlig abwegig. Mein Onkel Bob ist Journalist, er hat im Iran gelebt und wurde ausgewiesen. Da hat er seine Sachen in großen Säcken an meine Tante in Glasgow geschickt, ohne ihr vorher Bescheid zu geben. Die Säcke lieferte die Post dann in Begleitung von Secret-Service-Agenten an. Es waren große Säcke mit dem Vermerk: Iran.« Er trinkt einen Schluck Wasser. »Sie fragten: Wissen Sie, was in diesen Säcken ist? Meine Tante sagte: Ich habe keine Ahnung. Sie fragten: Kennen Sie Robert Tait? Sie: Ja, das ist mein Bruder.« Christopher grinst. »Danach stand das Haus vier Wochen lang unter Beobachtung. Der Mann meiner Tante ist Chef einer großen Bank in Schottland, mein Vater arbeitet beim Bundesamt für Strahlenschutz, und mein Onkel schickt unbeschriftete Säcke aus dem Iran. Da denkt sich ein fantasievoller Geheimdienstbeamter natürlich eine schöne Geschichte aus.«

Johannes schält in der Zwischenzeit die Kartoffeln, allerdings, passend zum Kater, außerordentlich entspannt. »Mensch, schnitzt du Figuren?«, ruft Daniela. »Lass uns doch aus den Kartoffeln berühmte schottische Bauwerke schnitzen! Ach, komm, ich löse dich mal ab.«

Das ist bei dieser Familie so, das sind eben alles Schotten. Die drehen aus heiterem Himmel durch und beschimpfen sich wüst

Christopher erzählt weiter. »Wenn sich Onkel Bob und meine Tante treffen, kann es richtig laut werden. Das ist bei dieser Familie so, das sind eben alles Schotten. Die drehen aus heiterem Himmel durch und beschimpfen sich wüst, aber am nächsten Tag ist alles wieder vergessen. Onkel Robert ist eigentlich sehr interessant. Er ist Auslandskorrespondent, unter anderem für den Guardian, und hat kürzlich den ›Cutting Edge Award‹ verliehen bekommen. Aber ich sehe ihn nur selten, weil er immer unterwegs ist.«

Johannes bereitet die Pfanne für die Innereien vor, Herz, Niere und Lunge wandern ins heiße Fett. »Vor ein paar Jahren haben sich fast alle vor Innereien geekelt, aber heute finden sie die meisten zumindest interessant. Das ist echt erstaunlich, da lässt sich wirklich eine Entwicklung beobachten, zumindest in unserem Freundeskreis.« Christopher schmeckt den Grünkohl ab. »Erstaunlich, ich glaube, da muss kein Salz mehr dran. Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich ohne Salz koche.« Johannes befördert die Innereien von der Pfanne auf ein Stück Alufolie, um sie im Ofen warm zu halten. »Los komm, du kleine Sau!«, herrscht er eine widerspenstige Niere an.

Jeder bekommt etwas von den Innereien, Kaninchen, Kartoffeln und Grünkohl stehen in der Mitte des Tisches. Auf dem Teller sieht das Essen gar nicht anders aus als deutscher Grünkohl, nur eben ohne Würste und mit Kaninchen statt Kassler. Das Gericht ist deutlich weniger fett, aber ausgesprochen lecker und wohltuend. Es ist erstaunlich, wie viel Geschmack das Fleisch an den Kohl abgegeben hat, die Kombination passt trefflich. Später sitzen wir um den Wohnzimmertisch und reden über Gott und die Welt, Architektur, Musik, Comics und Filme – worüber man eben so redet, wenn man mit Menschen zusammen ist, mit denen man sich wohlfühlt. Über dem ganzen Abend liegt ein Gefühl der entspannten Improvisation. Wir überlegen, welcher Whisky dies alles abrunden könnte, aber das sind leider nur theoretische Gedanken. Dann machen wir uns gemeinsam an den Abwasch.


Kilmeny Kail

Für 4 Personen
  • 1 Kaninchen, ca. 1,5 kg
  • 250 g Räucherspeck
  • ca. 1 l Wasser
  • 750 g Grünkohl aus der Dose
  • Kartoffeln nach Belieben
  1. Das Kaninchen zerlegen. Zusammen mit dem Speck in einen großen Topf legen und mit Wasser bedecken. 30 Minuten kochen.
  2. Den Grünkohl in den Topf geben und etwa 1 Stunde kochen. Bei frischem Grünkohl, verdoppelt sich die Kochzeit.
  3. Die Innereien des Kaninchens klein schneiden und in einer Pfanne anbraten.
  4. Kartoffeln kochen. Kurz vor Ende der Kochzeit den Grünkohl probieren und gegebenenfalls nachsalzen. Mit den Kartoffeln und den Innereien servieren.

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Aus Effilee #8, Jan/Feb 2010
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