Die Frau nimmt die Flasche fast beiläufig aus der Plastikkiste, wirft nur einen Blick darauf und stellt sie kommentarlos wieder hinein. Ich kann die Flasche mit ins Handgepäck nehmen. Flüssigkeiten sind verboten, leere Flaschen offensichtlich nicht. Eigentlich hatte ich befürchtet, dass es wegen der Flasche beim Rückflug Stress geben könnte, aber die Probleme waren andere. »Richtig«, hatte der Beamte gesagt, »da steht 19.35 Uhr, aber der Flug geht doch sowieso erst eine halbe Stunde später. Sie müssen hier nicht an der Schlange vorbeigehen, Sie haben noch viel Zeit.« Das war im Terminal 4, der Lufthansaflug, für den wir mit viel Glück und für viel Geld Plätze auf der Warteliste bekommen hatten.
Eine knappe Stunde früher, im nagelneuen Terminal 5 von Heathrow, hatte ein anderer Wind geweht: Fröhlich glucksend waren wir mit sechs Mann an der Sicherheitskontrolle eingelaufen, für den Flug, den wir eigentlich gebucht hatten. Nur, um zu erfahren, dass wir den nicht mehr bekämen, weil wir da nicht mehr durchkönnten. Richtig, der Check-In ist noch eine halbe Stunde offen, aber hier stünde doch, dass wir bis 18.00 Uhr durch die Security sein müssen, und jetzt war es immerhin schon 18.05 Uhr. Da war nichts zu wollen.
Schuld an der Verspätung war genau diese Flasche. Beziehungsweise der Käse. Im Fat Duck wollten wir unbedingt noch Käse, parallel zu den Petits Fours, und da wir dabei nicht völlig trocken dasitzen wollten, hatten wir noch eine letzte Flasche bestellt. Champagner geht bekanntlich immer. Und dann auch gerne rosé, weil mir das immer Gelegenheit gibt, mit dem Wissen zu glänzen, dass Champagner meistens auch aus Pinot Noir, einer Rotweintraube, hergestellt wird. Die wenigsten wissen, dass man aus roten Trauben auch weißen Wein keltern kann; die Farbe befindet sich nämlich ausschließlich in den Schalen, und wenn man die nach dem Pressen gleich entfernt, bleibt der Most weiß. Man könnte Rosé-Champagner herstellen, indem man die Schalen eine Weile in dem Most ziehen lässt. Allerdings ist das eher die Ausnahme. Üblicher ist die pragmatische Variante, am Ende etwas Rotwein hinzuzugeben. Die Addition-Methode.
Durch hartnäckiges Nachfragen hatten wir dafür gesorgt, dass uns außer der Reihe ein zweites Dessert angeboten wurde, Heston Blumenthals Interpretation der Schwarzwälder Kirschtorte. Zuvor hatten wir schon das legendäre Eier-mit-Speck-Eis und den heiß-kalten Tee. Sowie all die anderen Sachen, deren Beschreibungen so absurd klingen und die doch ganz selbstverständlich einfach lecker schmecken: Lachs im Lakritzmantel. Sound of the Sea, jenen Gang mit Muscheln, Austernwasser und Tapioka-Sand, bei dem man einen iPod mit Meeresrauschen aufsetzen muss. Foie Gras Benzaldehyd, Trüffeltoast mit Eichenaromablättchen, ein unfassbares Wachtelgelee, Passionsfruchtgelee auf einer Auster und gefrorener Schaum aus grünem Tee, Limette und Wodka.
18 Gänge plus - wie gesagt - einen extra. Das müsste in viereinhalb Stunden zu schaffen sein, hatte ich gedacht. Aber wir hatten uns schon am Anfang ordentlich Zeit gelassen. Für ein Drei-Sterne-Haus strahlt das Fat Duck eine unvergleichliche Entspanntheit und Gastlichkeit aus. We do not have a dress code, steht im Internet. »Sie sind ja zu mehreren«, hatte der Kellner gesagt, »da müssen Sie nicht unbedingt den offenen Champagner nehmen.« Der Taittinger Comtes de Champagne besticht durch Eleganz und eine gewisse Reichhaltigkeit, er erschien uns hanseatischer als die Rapper-Bombe (Crystal Rosé), die ebenfalls in der engeren Auswahl gewesen war.
Da gab es die erste Flasche. (Und die erste Gelegenheit mit der Pinot-Noir-Sache zu glänzen; ich will nicht ausschließen, dass ich mich wiederholt habe an diesem Nachmittag). Das war kurz nach 13.00 Uhr, in Deutschland genau Mittag. Vorher hatten wir einen kleinen Spaziergang über den Friedhof von Bray unternommen, wir hatten noch Zeit, da der Flug pünktlich war und die Abholung durch zwei Inder mit Mercedeslimousinen super funktioniert hatte. »Wir fliegen einfach morgens hin, essen das Essen unseres Lebens und kommen abends zurück«, hatte ich gesagt. Und dabei schon geplant, eine Flasche mit zurückzunehmen, damit ich darüber schreiben könnte. Vor allem war ich gespannt, was die Security sagen würde, wenn einer grinsend ankommt, betrunken und mit einer leeren Flasche.
Meine Meinung …