Getrunkene Flasche: Gut Oggau, Mechthild 2009

Die Atmosphäre, die an diesem Nachmittag im Herbst über Oggau liegt, ist eine Mischung aus High Noon und schwäbischer Vorstadt: Die Sonne brennt, es ist menschenleer, aber darüber hinaus ist auf den geteerten Straßen auch kein Stäubchen zu finden. Ausgerechnet hier soll eines der abgefahrensten Weingüter Österreichs residieren?

In der Hauptstraße befindet sich Gut Oggau. Beziehungsweise der dazugehörige Heurige, der auf den etwas zeitgeistigen Namen Gut Drauf hört. Wobei einen das spätestens wenn man das Tor durchschritten hat nicht mehr irritieren kann: In der herbstlichen Mittagssonne strahlt hier tatsächlich alles eine fröhliche, reine Natürlichkeit aus, die den Anthroposophieskeptiker in mir sofort zum Schweigen bringt. Ruhe jetzt!

Auf dem Dach nisten tatsächlich Störche, die Buschrosen blühen, die Tische sind grob behauen und echt. Ein altes Ruderboot dient als Blumenkübel. Über Generationen gehörte das Haus der Familie Wimmer, die mit hohem Anspruch hier großartige Weine gemacht hat, wobei der Ruhm schon etwas am Verblassen war. Die letzte Besitzerin, Mechthild Wimmer hatte keine Nachkommen und überließ das Gut dem Ehepaar Stephanie und Eduard Tscheppe-Eselböck.

Eduard Tscheppe stammt aus einer steiermärkischen Winzerfamilie, Stephanie Eselböck stammt aus einer Familie, die die österreichische Gastronomie in den letzten Jahrzehnten ganz maßgeblich geprägt hat. Ihr Vater, Walter Eselböck, betreibt seit 1984 im Nachbardorf den Taubenkobel, der nicht ohne Grund zu den besten Restaurants Österreichs zählt. Das Haus wird heute von Stephanies Schwester Barbara im Service und in der Küche von ihrem Mann Alain Weissgerber geleitet. Der Unbekümmertheit und Modernität, mit der hier Tradition nicht nur fortgeführt, sondern ständig neu begründet wird, hat das keinen Abbruch getan. Und beides, der Zusammenhalt der Familie und ein Umgang mit Herkunft und Region, der sich der Einordnung in klassische Kategorien komplett entzieht, prägte auch die Herangehensweise von Stephanie und Eduard.

»Es musste ein Bruch her, der Moderne und Tradition verbindet«, sagt Stephanie in einem Interview, und so begann man, alles neu zu machen, indem man aus Gut Oggau eben kein modernes, hoch technisiertes Weingut machte, sondern nachforschte, welche Weine früher hier angebaut wurden, sich konsequent auf eine biodynamische Wirtschaftsweise festlegte und auf die schwierige Spontanvergärung einließ.

Ein wirklicher Geniestreich war das ganz eigene System zur Klassifizierung der Weine. Anders als nicht nur in Österreich heutzutage üblich, legen die beiden keinen großen Wert auf reinsortige Weine. Sie versuchen aus den Lagen, die sie zur Verfügung haben, jeweils das Beste herauszuholen, und die Weine, die dabei herauskommen, passen nun mal nicht in das übliche Schema. Stattdessen werden alle Weine des Guts als große Familie betrachtet, die viel gemeinsam haben, aber alle über eine eigene, starke Persönlichkeit verfügen. Die drei Generationen, Kinder, Eltern und Großeltern, stehen dabei für die Qualitätsstufen, ein wenig auch für die Zugänglichkeit. Gemeinsam mit der Werbeagentur Jung von Matt wurden Etiketten entwickelt, die das Konzept konsequent umsetzen. Dafür gab es beim Festival in Cannes einen Goldenen Löwen.

Insgesamt zehn Köpfe umfasst die Familie, und wenn man sich darauf einlässt, merkt man schnell, wie stimmig die Idee ist. Beim Probieren darüber nachzusinnen, ob ein Wein zu der auf dem Etikett abgebildeten Person passt, kann jedenfalls sehr unterhaltsam sein.

Einfach sind sie alle nicht, die Oggaus, aber »die interessanten Leute sind ja nicht die, die sofort alles preisgeben«, sagt Eduard Tscheppe.
Mechthild natürlich schon gar nicht. Sie ist das Familienoberhaupt des Clans, eine Dame, die großen Wert auf Eleganz und Stil legt, die aber das Leben kennt und durchaus herzlich und direkt sein kann. Sie ist ein reinsortiger Grüner Veltliner, gibt aber auch dieses Geheimnis erst auf Nachfrage (beim Winzer) preis. Wir probieren im Taubenkobel – der im Übrigen unbedingt einen eigenen Besuch verdient hat – bei einem kleinen Mittagsmahl mit Blick auf den Teich.

Wo das Konzept hinkt, wenn auch nur vordergründig, ist natürlich beim Alter. Denn der 2009er, den wir probieren, ist für einen Wein dieser Klasse noch recht jung. Aber Eduard Tscheppe setzt nur ganz am Schluss einen Hauch Schwefel ein, was dazu führt, dass der Sauerstoff im Keller arbeiten kann, und der sorgt dafür, dass die Frucht sich zurückhält und manche komplexe Aromen hervortreten, die einer First Lady durchaus zu Gesicht stehen. Die typische Pfeffrigkeit des Veltliners ist wunderbar eingebunden und der Wein ist lang wie ein erfülltes Leben. Das er noch vor sich haben könnte, wenn es nicht so schwer wäre, die Finger davon zu lassen. Ich bin sicher, Mechthild kann Klavier spielen.

Gut Oggau
Hauptstraße 31
A-7063 Oggau
Telefon: +43 664/2069298
www.gutoggau.com

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