Es war im letzten Winter, dem harten, langen. Fröstelnd zog ich die Vorhänge zu und zündete Kerzen an. An einem solchen Abend musste es ein Rotwein sein, einer von denen, die einem im Sommer beinahe untrinkbar erscheinen: voll warmreifer, dunkler Frucht, mit reichlich Alkohol, getragen von pfeffrigen Gewürzen … Im Keller stieß ich auf australischen Grenache, gut zwei Jahre alt, also noch in vollem Saft, genau richtig. Ich holte mir ein großes Glas zum Sofa. Und dazu ein Käsebrett.
Ich probierte zum Wein einen gereiften Bergkäse aus dem Bregenzerwald - der hätte gerne mehr Frische im Glas gehabt. Ein alter Mimolette aus Flandern, leuchtend orange, hart, elegant - zu elegant für den ziemlich burschikosen Südaustralier. Blauschimmel? Vielleicht - aber eigentlich zu funky. Frischer Ziegenkäse? Ganz nett, aber kein wirklich ernst zu nehmendes Gegenüber für diesen Wein. Enttäuschung und Ungeduld stiegen in mir auf. Ich wollte mich nur der Wärme hingeben, mich von ihr entführen lassen - und dann solches Gezicke beim Käse? Ein letzter Versuch.
Der Brin d’Amour war schon sechs, sieben Wochen gereift, eine dünne, blauweiß gefleckte Schimmelrinde lag über dem Mantel aus dunkelgrünen, getrockeneten Kräutern. Nichtsdestotrotz gehört er zu den Käsen, bei denen ich die Rinde grundsätzlich nicht abschneide: die Kräuteraromen ziehen zwar in den Laib, aber ich mag den Kontrast zum elfenbeinfarbenen, weichen Schafsmilchteig darunter und das Pilzige des Schimmels. Ich schnitt mir eine dicke Ecke ab - der quadratische Halbpfünder stammt aus dem nördlichen Korsika, da hat man nicht viel übrig für zierliche Scheibchen -, nahm einen großen Schluck vom rot leuchtenden Australier dazu …
Und stand in einer Sommerlandschaft. Die Luft flirrte in der Hitze, ich atmete Rosmarin und Wacholder, Thymian und Myrte. Ich war mir nicht sicher, ob dies die Wildnis der Mittelmeerinsel war oder die Weinlandschaft südlich von Adelaide. Aber das spielte überhaupt keine Rolle, beides zusammen wärmte mir Glieder und Geist. Ich räkelte mich auf dem Sofa in der Sonne und verpasste dem Brin d’Amour innerlich ein kleines Etikett: Winter-Rotweinkäse.
Inzwischen ist es Frühling, an manchen Tagen sogar schon Frühsommer. Ich bin zu einem Essen mit zwei Moselwinzern eingeladen, die ihre Weine zu einem mehrgängigen Menü vorstellen. Ich freue mich auf Pfirsich-, Johannisbeer- und Birnenduft, mineralische Schieferwürze und belebende Säure. Das Essen ist hervorragend abgestimmt auf die Vielfalt an Jung und Gereift, Trocken und Fruchtsüß, die Kommentare der Winzer sind launisch statt belehrend, die Stimmung am Tisch wird immer besser. Zum vorletzten Gang soll ein trockener 1985er ins Glas kommen, dazu Käse. Das klingt gewagt: Mitte der Achtziger waren die Qualitätsvorstellungen an der Mosel anders als heute, und der Jahrgang 1985 wurde zwar durch den schönen Herbst gerettet, aber die Weine des an sich kühlen und feuchten Sommers waren eher schlank und säurebetont. So etwas in der trockenen Version mit 25 Jahren Flaschenreife zu zeigen ist mutig - und noch mit Käse? Ich bin misstrauisch.
Der Wein aus den schlammüberzogenen Flaschen - Produkt diverser Hochwasser im Weingutskeller - ist am besten als erfrischend zu bezeichnen. Läge draußen Schnee, würde es mich schütteln vor Kälte, mit dem Frühjahr kommt er hingegen gut zurecht. Dann landet der Teller mit dem Käse vor meiner Nase: Brin d’Amour! Jetzt schüttele ich den Kopf: Das kann nicht klappen. Die korsische Schafsmilch ist viel zu üppig, der Teig viel zu cremig, die Konzentration wird den armen Moselaner erschlagen. Doch auf keinen Fall werde ich den Brin d’Amour liegen lassen, denn schon lange zählt dieses Stückchen Liebe zu meinen Lieblingen. Die Kräuteraromen sind jedes Mal wunderbar, und wie beim winterlichen Rotweinabend ist auch dieses Exemplar schön gereift. Ohne nachzudenken greife ich zum Glas - Käse will trinken!
Und, ja, ich tu sofort innerlich Abbitte: Hier erschlägt nichts etwas. Im Gegenteil, die kräuterige, steinige Art des Weins versteht sich bestens mit dem Korsen, dessen Cremigkeit wiederum den Moselaner geradezu liebevoll stützt und trägt. Eine verrückte Überraschung. Ich platziere ein zweites Schild in meiner internen Käsesortierung, neben Winter-Rotweinkäse steht jetzt noch: passt auch zu schlankgereift-trockenem Mosel-Riesling.
Nun will ich wissen, ob mein korsischer Freund in Sachen Wein nur mit Extremen kann oder ob da noch mehr geht. Ich probiere unterschiedliche Gewächse verschiedener Provenienzen - und bin immer beeindruckter. Solange der Wein im Glas Charakter und eine gewisse Dichte hat, findet der Korse so gut wie immer einen Anknüpfungspunkt und zeigt sich tolerant, ohne sich selbst ganz aufzugeben. Ganz frische junge Frucht findet er vielleicht am schwierigsten, aber selbst ein Müller-Thurgau der kräftigen Art und ein voller Sauvignon blanc gefallen ihm gut. Südfranzösische Gewächse, ob rot oder weiß, lassen uns vor Glück singen und tanzen.
Doch nicht alles, was in Kräuter gehüllt und in gereifter Form aus korsischer Schafsmilch angeboten wird, ist ein derart vielfältiger, sympathischer Weinbegleiter. Mein Käsehändler bezieht seinen Brin d’Amour von einem Affineur aus Lyon, der ihn von einer kleinen handwerklichen Molkerei aus der Gegend von Bastia bekommt. Deren Namen will er nicht verraten, und so muss sich der geneigte Leser selbst auf die Suche nach einem Weinbegleiter machen. Es gibt viele Brins d‘Amour, und so mancher wird wohl mit meinem mithalten können.
Meine Meinung …