Wer die viel zitierten blühenden Landschaften nur in Form von Einkaufszentren, Reihenhäusern und Freizeitparks sucht, wer über Krise, Rezession und Staatsschulden jammert und den Aufschwung in den Statistiken vermisst - der sollte endlich aufwachen, sich die Vorstellungen vergangener Zeiten aus den Augen reiben und bereit sein für Neues. Die wahren blühenden Landschaften sind nicht im Gewohnten zu finden, aber sie existieren längst in mannigfacher Form. Ich habe sie gegessen und esse sie immer wieder. Sie schmecken köstlich.
Wer kein eigenes Auto hat, kennt sich auf der Suche nach den essbaren blühenden Landschaften bald bestens mit Regionalbahnen und Bussen aus, aber auch mit ergänzenden Fortbewegungsmitteln wie dem Fahrrad und den eigenen Füßen. Denn sie wollen aufgespürt werden in ihren vielfältigen Formen, als Teltower Rübchen, Räuchermaränen aus dem Stechlin oder Bio-Hühnern aus dem Unterspreewald, um nur einige Beispiele vor meiner Haustür zu nennen. Und als Käse, bei dem besonders gut zu begreifen ist, dass Landschaften erst durch Risikobereitschaft, Visionen und harte Arbeit zu voller Blüte gelangen.
Wie etwa bei Sabine Denell und Hans Peter Dill vom Schleusenhof Regow nördlich von Berlin. »Es gibt hier keine Käse-Tradition«, sagt Denell, die sich als Tierärztin im Zweitjob um die Uckermärker Rinder der Nachbarn kümmert. »Das bedeutet für uns totale Freiheit, obwohl wir natürlich sehr viele andere Käse probiert haben.« So sind neben vielen weiteren Sorten auch die Blühenden Landschaften entstanden, ein länglicher, flacher Frischkäseriegel, der eine streichelweiche, helle Rinde bildet - aufhefen nennt der Profi dies im Gegensatz zum Weißschimmel eines Camemberts - und unter dieser langsam zu immer größerer Geschmacksintensität heranreift. Cremig, gelegentlich beinahe flüssig, immer ausdrucksvoll, aber nie streng oder scharf, bietet sich hier eine ganz wörtliche Interpretation des Themas: Rosenblätter und Lavendelblüten greifen den Käsenamen in aufgestreuter Form sehr gelungen auf.
Denell und Dill haben Anfang 1994 einen Neuanfang gewagt und das unscheinbare ehemalige Schleusenwärteranwesen gepachtet, das an einer der vielen Wendungen liegt, die die Havel auf ihrem Weg von der Strelitzer Seenplatte in Richtung Elbe beschreibt. 1995 zogen die ersten 15 Ziegen auf dem Hof ein, heute melken die beiden Endvierziger 125 Tiere: langhaarige, graubraun gefärbte Toggenburger mit weißen Läufen und Ohren, die unweit der Schleuse in einem hellen, offenen Stall residieren. Die weitverbreitete deutsche Edelziege gäbe zwar etwas mehr Milch, aber die der Toggenburgerinnen schmeckt konzentrierter und aromatischer - und die Damen sind trittsicherer. Das ist wichtig, weil Hans Peter Dill sie vier Stunden täglich über die kleine Schorfheide führt, um dort Landschaftspflege im wahrsten Sinne des Wortes zu betreiben.
Denn die während der Blüte Ende August intensiv nach Honig duftende Calluna-Heidelandschaft ist ein Kulturphänomen, das ständiger Pflege bedarf. Andernfalls wächst der nacheiszeitliche Urwald in erstaunlich kurzer Zeit wieder zu, wie das bei weiten Teilen der 2000 Hektar großen Fläche bereits der Fall ist, die bis zur Wende als russischer Panzerübungsplatz diente. Das Kerngebiet der Kleinen Schorfheide aber steht heute unter Naturschutz und wird von den Regower Ziegen hingebungsvoll freigehalten. Da wird schnell klar, wozu sie ihre wunderschön geschwungenen Hörner brauchen: Sie sind ihr Werkzeug. Mit beeindruckender Geschicklichkeit ziehen sie damit Büsche und Äste zu Boden, um sie dann genüsslich zu knurpseln und zu mahlen.
Die Ziegen lieben Holz und Rinde, aber solch feste Nahrung belegt den Pansen lange, bis sie verdaut ist, und das bedeutet weniger Milch. Doch Denell, die 1996 mit dem Käsen angefangen hat, verarbeitet sowieso lieber kleine Chargen der stets unbehandelten Milch zu vielen unterschiedlichen Käsen, damit die Arbeit nicht zur langweiligen Routine wird.
Nach der Winterpause im Frühjahr sind die Mengen noch geringer, weil die Zicklein bei den Müttern sind. Die meisten der possierlichen Tiere wandern allerdings im Laufe der nächsten Monate unters Dillsche Schlachtmesser - sie stellen ein grandioses, wenig bekanntes Nebenprodukt der Regower Landschaftspflege dar. Wie beim Käse meint man auch beim zartschmelzenden Zickleinfleisch Heidelandschaft und Havelauen zu schmecken. »Fleisch und Käse gehören zusammen«, sagt der gebürtige Schweizer Dill mit blitzenden Augen.
Wenn ich es eilig habe, gehe ich auf den Wochenmarkt in Berlin-Dahlem, wo Hans Peter Dill vom Beginn des Frühjahrs bis Weihnachten jeden Samstag mit einem unscheinbaren Verkaufswagen steht, der es, genau wie der sympathische, kunterbunte Schleusenhof, wohl nie in einen Freizeitpark schaffen wird. Doch der wahre Genuss ist ein Besuch in Regow, den Weg hinauf von Bredereiche bei Fürstenberg zum Schleusenhof. Wahrhaft über Stock und Stein geht es da beinahe sechs Kilometer durch den Wald entlang der Heide, abhängig von der Jahreszeit auch in einer Art Wüstenrallye durch tiefe Sandstrecken. Weise ist, wer mit dem Zug kommt oder das Auto zumindest am Ende des Kopfsteinpflasters von Bredereiche stehen lässt und sich die blühenden Landschaften entlang der Havel in einer Ganzkörpertherapie erwandert.
Kontakt
Schleusenhof Regow
Sabine Denell und Hans Peter Dill
16798 Bredereiche bei Fürstenberg
Telefon: +49 33087/51 183
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