Faszenes

Hinter der Theke zischt leise eine Kaffeemaschine, begleitet von dem Krachen, mit dem ein Messer durch Brot fährt. Auf einem der wenigen Hocker vor dem Tresen am Fenster sitzt ein junger Mann und liest Zeitung.

Manchmal versuche ich mir auszumalen, wie es sich wohl anfühlt, wenn man als normaler Tourist durch die Welt reist: schauend, staunend – und stets als Außenstehender. Ich kann mir das nur schwer vorstellen. Wer über Wein und Essen schreibt, hat immer eine Grundlage für Gespräche und Begegnungen auf Augenhöhe, sei es nun in Indien, South Dakota, Kleinkleckersdorf. Oder eben hier.

Ich stehe in einem kleinen Feinkostladen, mit Holzregalen bis unter die Decke voller guter Weine, Kaffee, Tee, Öl, Köstlichkeiten aller Art und aus aller Welt. Hinter der Theke zischt leise eine Kaffeemaschine, begleitet von dem Krachen, mit dem ein Messer durch Brot fährt. Auf einem der wenigen Hocker vor dem Tresen am Fenster sitzt ein junger Mann und liest Zeitung. Man hat mir gesagt, die Lage an dieser Straßenecke sei eine der besten der Stadt, und was ich hier sehe, widerspricht dem keinesfalls. Allerdings bin ich leider nicht, wie man der Beschreibung nach vielleicht denken könnte, in Turin, wo ich zumindest einen Teil des mich umgebenden O-Tons verstehen könnte – sondern in Budapest.

Sicher, in der ungarischen Hauptstadt sprechen die meisten Menschen entweder Englisch (die Jüngeren) oder Deutsch (die Älteren), aber die melodischen Laute, mit denen sich die Ungarn untereinander verständigen… hoffnungslos. Selbst geschrieben er- geben nicht einmal einfachste Dinge für mich Sinn, alles erinnert mich mit den unzähligen Umlauten ans Finnische, und bei den vielen s, c und z (in beliebiger Kombination) denke ich an Csardas, Puszta und Szegediner Gulasch. Fehlt nur noch Piroschka und Liselotte Pulver, damit die Klischees munter Ringelreihen tanzen.

So ein kleiner, feiner Laden hat natürlich auch Käse im Angebot, neben vielen aus Frankreich und Italien auch ein paar Einheimische. Und zumindest die kann ich ohne jede Probleme verstehen – Käsesprache ist wie Esperanto. Der Hartkäse ist noch ein wenig jung. Ein Blauschimmelkäse erinnert an Bleu d’Auvergne, er wurde in Tokaji-Trester gelagert, also ausgepresster Traubenmaische, was ihm einen schönen fruchtigen Touch verleiht. Am besten jedoch gefällt mir ein handtellergroßer runder flacher Käse, dessen Rinde mit Asche und einem dünnen weißgrauen Schimmel überzogen ist. Wenn er wirklich aus Ungarn stammt, dann tut sich in der hiesigen Käseszene mehr als ich vermutet hätte. So rettet mich dieser Käse tatsächlich vor dem üblichen Touristenschicksal, wie schon so viele Käse vor ihm.

Es dauert nicht lange und der Geschäftsführer erzählt mir in perfektem Deutsch von dem Käsemacher Sándor Tamás und seinem kleinen Betrieb in Eger, knapp zwei Stunden östlich von Budapest. Der Mittdreißiger verarbeitet dort Milch von Kühen, die auf den Weiden des Bükk-Gebirges grasen, eines Nationalparks, dessen Hänge sich bis auf 600 Meter hinaufziehen. Der gelernte Koch hat auch in Deutschland gearbeitet, ist dann aber in der Schweiz aufs Käsen gekommen und arbeitet seit 2005 tatkräftig an der Wiederbelebung der ungarischen Käsekultur. Ziegenkäse macht er auch, aber dieser hier, der Faszenes, ist aus Kuhmilch. Ungewöhnlich, denke ich, ein weicher, elastischer Kuhmilchkäse mit Ascherinde. Aber es funktioniert: Die milchige und die aschig-schimmelige Würze mögen sich.

Noch während ich mir eifrig Notizen mache und mich über den Käsefund freue, höre ich eine innere Stimme: »Parachute journalism gives me hives« – von Fallschirm-Journalismus bekomme ich Pickel, hat meine amerikanische Freundin und Kollegin Marie Doezema gerade erst neulich gesagt. Vor allem in den USA wird dieser Vorwurf häufig geäußert, weil sich dort die großen Zeitungen und Nachrichtenagenturen immer weniger feste Auslandskorrespondenten leisten, doch lässt sich das Phänomen seit Jahrzehnten weltweit beobachten: Ohne Langzeitkontakte und umfassende Recherche vor Ort fliegen Reporter an irgendwelche Brennpunkte und treffen dort von einem Informanten organisierte, auf die Story zugeschnittene Interviewpartner mit voraussehbaren Aussagen.

In den folgenden Tagen treffe ich Winzer, Schweinezüchter und Bauern, immer wieder werde ich zum gemeinsamen Essen und Trinken eingeladen, mit Speck, Kraut und Paprika in unzähligen Kombinationen. So bekomme ich, trotz Sprachschwierigkeiten, mit der Zeit ein Gefühl für dieses geschichtlich höchst komplexe, komplizierte Land. Und schließlich begleitet mich ein Exemplar des kleinen runden hellgrauen Faszenes nach Hause.

Ein kleiner Vorbehalt bleibt immer bei kulinarischen Reisebekanntschaften, trotz aller Erfahrung: Wird mich mein neuer ungarischer Freund zu Hause ebenso begeistern wie in dem schönen Budapester Feinkostladen? Ich habe mit Käse durchaus schon Enttäuschungen erlebt, so wie es vielen mit Wein ergeht, der im Urlaub auf der Terrasse am Meer oder in den Bergen ganz wunderbar ist, zu Hause dagegen so anders und enttäuschend schmeckt, dass man Zweifel bekommt, ob die mitgebrachten Flaschen überhaupt den gleichen Inhalt haben.

Beinahe zwei Wochen lang lenken mich tausend dringende Dinge ab, bevor der Faszenes eines Abends endlich auf unserem Käsebrett landet, begleitet von einem Glas Kékfrankos. Der Moment der Wahrheit, nach Kulissenwechsel, Transport, Lagerung… Doch die Zweifel erweisen sich als vollkommen unbegründet: Der Faszenes ist ein großartiger Käse. Und die ungarische Sprache vielleicht doch nicht so kompliziert: bor heißt Wein und sajt Käse – ganz ohne Umlaute.

Kontakt

Sándor Tamás
Bükki Kézmüves Sajt
3300 Eger
Régi Cifrakapu út 54-56
Ungarn
www.bukkisajt.hu

Ein Kommentar

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Aus Effilee #15, Mär/Apr 2011
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