Mauro Vergano, Asti/Piemont Luli Moscato Chinato

Text: Ursula Heinzelmann Foto: Andrea Thode Es war New York, es war Sommer. Als wir nach dem Aperitif aus dem Ten […]

Text: Ursula Heinzelmann Foto: Andrea Thode
Mauro Vergano, Asti/Piemont Luli Moscato Chinato
Mauro Vergano, Asti/Piemont, Luli Moscato Chinato

Es war New York, es war Sommer. Als wir nach dem Aperitif aus dem Ten Bells auf die Straße traten, durchdrang uns das orange Glühen der untergehenden Sonne. Die höhlenartig gemütliche Bar war als Predinner-Drink-Treffpunkt gedacht gewesen. Dabei war die Weinsituation in der auf sogenannte natural wines, also weitgehend ungeschwefelte, unfiltrierte und so wenig wie möglich manipulierte Tropfen spezialisierten Weinbar in der Lower East Side von Manhattan keineswegs problemlos. Es hatte vergnüglich begonnen, doch als wir nach dem Essen wiederkamen und uns durch das Angebot an offenen Weinen probierten, schienen sich meine Vorurteile zu bestätigen. Anders als die Naturweinfraktion empfinde ich Frucht im Wein nicht als Nachteil, ist meine Toleranz für Gerbstoff in Weißwein begrenzt, während die für flüchtige Säure, also Essig, gegen Null tendiert. Doch ich sollte einen Artikel zu dem Thema schreiben, das längst auch deutsche Weingefilde erreicht hat.

Allerdings war ich nur bedingt bereit, dieser Recherche nun auch noch die Nachtstunden zu widmen – beim großen Gott des Weines, ich wollte einfach etwas Gutes trinken! Tatsächlich wurde ich erhört, denn in diesem Moment entdeckte ich auf der großen Tafel, die als Weinkarte diente, einen alten Bekannten: Moscato Chinato von Mauro Vergano aus Asti im Piemont. Wir hatten uns nach intensivem, nahezu verliebtem Kennenlernen aus den Augen verloren, da er es bis jetzt nicht nach Deutschland geschafft hat. Nun stand er vor mir im Glas und erinnerte mich an die Zeit, als mein weinaffiner Bruder in Turin lebte und regelmäßig Trouvaillen dieser Art mit nach Berlin brachte. Er wusste, wie sehr ich dem Barolo Chinato vefallen war, einer mit Chinarinde und vielen anderen Kräutern und Gewürzen aromatisierten, dezent gesüßten und auf etwa sechzehn Prozent Alkohol aufgespriteten Piemonteser Spezialität. Er ist vor etwa zweihundert Jahren als Arznei entstanden, um das bittere Quinin, ein wichtiges Heilmittel gegen Fieber, genießbarer zu machen. Vergano hat nun vor zehn Jahren auf der Basis von Moscato eine weiße Version davon entwickelt. Zugleich fruchtsüß und kräuterherb dufteten uns Orangenschale, Vanille und weiße Blüten entgegen, wurde die Zunge zuerst mit der saftigen Verspieltheit des Moscato-Weins und lieblichen Kräuter-aromen bezirzt, um dann allmählich ins Bittere geleitet zu werden – als wollte der Wein uns behutsam daran erinnern, dass das Leben ein Wunder der Freude ist, und doch dunkle Seiten und schließlich ein Ende hat. Und so nahm die Nacht ihren Lauf … Als wir Stunden später wieder auf die Straße traten, war die Sonne längst über einem anderen Kontinent aufgegangen.

Als habe dieses Wiedersehen in meinem Kopf einen Hebel umgelegt, konnte ich mich dem Natur-Thema in den darauffolgenden Tagen endlich positiv nähern. Statt fanatischer Hitzköpfe lernte ich beeindruckende Menschen kennen, die sich ernsthafte Gedanken über die Zukunft des Weins machen. Vordergründige Bonbonfrucht, spritzige, schnell vergängliche Frische oder marmeladige Alkoholüppigkeit, das reicht vielleicht für schnelle Hits, aber der Avantgarde unter den Sommeliers wird immer mehr bewusst, dass zum Licht auch Schatten gehört und großer Wein nicht nach den Rezepten der Kellereibedarfslieferanten gemacht wird. »More than organic«, mehr als bio, seien die natural -wines, erklärte mir die junge Frau hinter dem Tresen des Ten Bells. Vergano jedoch ist weder biozertifiziert, noch sind seine Weine durch die Zusätze besonders naturbelassen. Trotzdem ist sein Name geradezu ein Erkennungsmerkmal für natural-affine Sommeliers und Weinkarten.

Er sei da so hineingeraten, erklärt mir der Zweiundsechzigjährige, als ich ihn wenige Wochen später in Asti besuche. In Tuchhosen, hellblauem Hemd und feinem grauem Pullunder wirkt er eher wie ein Anwalt oder Arzt als ein zupackender Naturmensch. Er sei eigentlich Chemiker von Beruf, habe aber bereits vor dreißig Jahren begonnen, sich dem Chinato als Hobby zu widmen, nachdem er von einem Onkel alte Rezepte geerbt habe. Darunter befand sich auch ein Chinato-Rezept für Passito, also Süßwein, das er dann für einen beinahe trockenen Moscato adaptierte. Die kleinen bitteren Chinotto-Orangen dafür sammelt er selbst in Ligurien und trocknet die Schalen in der Sonne. In kleinen Stahltanks werden die Aromazutaten beinahe einen Monat lang bei Zimmertemperatur mit Wasser und Branntwein aus Zuckerrüben mazeriert und dieser Extrakt dann mit Zucker und Alkohol dem Wein beigemischt, den er von einem befreundeten Winzer kauft. Nach etwa zwei Wochen wird filtriert und abgefüllt und dann braucht es idealerweise ein halbes Jahr Flaschenreife, damit die Aromen richtig zusammenfinden. Ich erzähle ihm von meinem Moscato-Glück in New York, und er sagt, ja, das Ten Bells, das möge er sehr, da ende jeder Abend, wenn er einmal im Jahr in der Stadt sei. Achtzig Prozent seiner achttausend jährlich produzierten Flaschen exportiere er, davon über die Hälfte in die USA. Und warum haben ihn die Naturals so ins Herz geschlossen? Abgesehen davon, dass die eine besondere Affinität zu Bitterstoffen haben, gehört die Familie Bera in Canelli, von der Vergano den Moscato bezieht, auch zu den Pionieren der Bioweinbewegung im Gebiet und ist Mitbegründer der italo-französischen Bio-Winzer-Messe Vini di Vignaioli. So habe sich das quasi von selbst entwickelt. Und es wird sich weiter entwickeln, sage ich ihm, denn ich habe bereits mit einem befreundeten Weinhändler in Berlin gesprochen und ihm von meinem bittersüßen Bekannten vorgeschwärmt … Schließlich kann ich nicht jedes Mal nach New York fahren, wenn mich nach ihm gelüstet.

Meine Meinung …

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Aus Effilee #27, Winter 2013
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