Ganz hinten in der Küche

Köche sind beliebte Gesprächspartner, auch Sommeliers werden gern um ihre Meinung gebeten. Nur wer sich um die dreckigen Teller kümmert, will keiner wissen. Dabei funktioniert ein Restaurant ohne Spüler nicht. Doch kaum jemand will darüber reden

Spülküchen sind keine Orte für beschauliche Gespräche, auch nicht die von Nord Event. Es ist heiß, nass, und vor allem ist es laut. Spülmaschinen dröhnen, Geschirr klappert, Wasser rauscht, und aus der Küche nebenan dringt ebenfalls Lärm, sodass man sich nur rufend verständigen kann. Dabei geht es im Moment verhältnismäßig ruhig zu.

»Wenn Hochbetrieb ist, muss zügig gearbeitet werden, dann ist es sehr anstrengend«, sagt Mamadou Bah. Er steht an der Waschstraße für Geschirr, einer lang gezogenen Maschine, die an eine Autowaschanlage in Miniaturform erinnert. Seine Hände bewegen sich so flink, dass man den einzelnen Handgriffen kaum folgen kann, mit denen er Teller und Tassen auf Plastikpaletten sortiert. Erst spült er das Geschirr mit einem schlauchartigen Wasserhahn über einem Spülbecken vor, dann schickt er es durch die Waschstraße. Nach etwa einer Minute läuft es am anderen Ende der Maschine wieder heraus, blitzblank, trocken und 60 bis 70 Grad heiß.

Schmutzige Teller werden in Mamadou Bahs Händen schneller sauber, als man gucken kann

»Man muss aufpassen, weil es so heiß ist«, sagt der Spüler und leert die Paletten trotzdem mit bloßen Händen auf Rollwagen, bevor er im Zeitraffertempo die nächste Ladung durch die Waschstraße schickt. Es ist Fließbandarbeit, aber Mamadou Bah erledigt sie mit fast schon meditativer Routine. Er trägt eine Plastikschürze, ein blaues Sweatshirt, eine verwaschene braungrüne Hose und gelbe Gummistiefel. Die sind notwendig, denn große Paletten und Eimer werden auf dem Boden neben dem Abfluss vorgespült.

Die Spülküche, ein Raum von etwa 20 Quadratmetern, passt von den Dimensionen zur zugehörigen Küche, die sich auf dem Gelände des ehemaligen Schlachthofes zwischen dem Hamburger Schanzen- und Karolinenviertel über mehrere Hallen erstreckt. Nord Event ist eine der größten Event-Agenturen in Norddeutschland. Allein im Cateringbereich des Unternehmens sind knapp 40 feste Mitarbeiter beschäftigt, in der Spülküche arbeitet ein Team von drei Spülern. Bah ist seit 2005 als Spüler bei Nord Event angestellt. Er stammt aus Guinea in Westafrika, 2003 kam er nach Deutschland.
Geduldig zeigt er die Geräte, mit denen er arbeitet: die mehr als mannshohe Spülmaschine für Töpfe, Bleche, Paletten und andere große Gerätschaften, die drei Minuten für einen Waschgang benötigt, und die Waschstraße für das Geschirr. »Es gibt sogar Maschinen, die in einer halben Minute fertig sind«, erzählt er so angetan, als spräche er von einem Sportwagen. Trotz des Lärms in der Spülküche und des Zeitdrucks, unter dem er arbeiten muss, wirkt er entspannt. »Ich mag meine Arbeit«, sagt er. Seine dunklen Augen blicken freundlich und offen. »Es ist eine gute Stimmung hier in der Küche. Es gibt Leute aus Afrika, Asien und Europa, viel multikulti.«
Er und seine beiden Kollegen, ein Syrer und ein weiterer Afrikaner, sind ein eingespieltes Team. Keiner steht dem anderen im Weg. Wenn viele Veranstaltungen anstehen, kommen noch zwei bis drei Aushilfen dazu, damit die Arbeitszeiten eingehalten werden können. »Ich arbeite von 8 bis 17 Uhr, mit einer Stunde Mittagspause, fünf Tage die Woche.«
Bah spricht ziemlich gut Deutsch. »Ich bin mit einer Deutschen verheiratet, von ihr habe ich viel gelernt.« Zu Hause erledigt er auch den Abwasch, erzählt er und lacht. »Eigentlich will meine Frau das machen, aber ich wasche sowieso schon den ganzen Tag ab, da kann ich es zu Hause auch tun.«

»Es gibt Betriebe, die für den Job nicht mehr als zwei Euro die Stunde zahlen«, erzählt mir die Inhaberin eines Restaurants, die namentlich nicht genannt werden möchte

Mamadou Bah ist mein erster Lichtblick. Ich habe erwartet, dass es nicht leicht wird, Spüler zu finden, die bereit sind, über ihren Job zu reden. Aber dass es so schwer wird, hätte ich nicht gedacht. Auf meine Anfragen bei Restaurants erhalte ich zahlreiche Absagen: »Sie verstehen doch, das Thema ist ein wenig heikel.« Schwarzarbeit lautet das Stichwort. »Es gibt Betriebe, die für den Job nicht mehr als zwei Euro die Stunde zahlen«, erzählt mir die Inhaberin eines Restaurants, die namentlich nicht genannt werden möchte. »Dabei ist es Knochenarbeit. Die meisten Spüler, die ich kenne, sind zwischen 25 und 30 Jahre alt. Für alte Leute ist der Job zu anstrengend. Ich habe von Fällen gehört, da haben 13 und mehr Menschen auf derselben Steuerkarte gearbeitet, und von Spülern, die ihre Aufenthaltsgenehmigung erst beantragt haben, nachdem sie Jahrzehnte in Deutschland waren.« Diese Fälle sind nicht selten – es gibt Anwälte, die sich eigens auf Schwarzarbeit in der Gastronomie spezialisiert haben.

Die Grundausstattung des Spülpostens: Gute Maschinen und sauberes Wasser

Doch je mehr Absagen ich erhalte, gerade von gehobenen Restaurants, desto mehr vermute ich, dass noch etwas anderes dahintersteckt: Das Thema ist nicht fein genug. »Wir möchten bitte keine Spüler-Reportage machen«, schreibt mir ein Sternerestaurant zurück, als wäre es ein Fleck auf der weißen Weste, daran zu erinnern, dass es auch in jenem Haus schmutziges Geschirr gibt. Reinigungsjobs sind in Deutschland nicht angesehen, und der Spüler steht in der Hierarchie des Küchenreiches ganz unten. »Wenn Sie beim Arbeitsamt fragen, ist es unmöglich, einen Deutschen als Spüler zu bekommen«, sagt mir eine Gastronomin.
Ich frage tatsächlich bei der Arbeitsagentur nach. Dort teilt man mir mit, dass es den Beruf Spüler in der Systematik nicht gebe. Stattdessen erhalte ich eine Auswertung mit Berufen, die eine Spültätigkeit beinhalten können – Helfer/-in im Gastgewerbe und Helfer/-in im Hotel. In dieser Statistik sind drei Viertel der vermittelten Personen Deutsche. Der Brutto-Tariflohn für Helfer im Gastgewerbe beträgt 1138 Euro in Baden-Württemberg und 1040 Euro in Brandenburg. Aber man teilt mir auch mit, dass in diese Berufe etwas weniger Deutsche vermittelt werden als in andere Bereiche. Und: »Aus Erfahrung wissen wir, dass Spüler-Jobs oft als geringfügige Beschäftigung oder auf 400-Euro-Basis angeboten werden.«

Aus der Sicht eines Restaurantinhabers stellt sich das Problem so dar: »Als Spüler findet man fast ausschließlich Menschen mit Migrationshintergrund«, erzählt Tobias Strauch aus dem Hamburger Mess, einem Restaurant mit etwa 40 Plätzen samt angeschlossenem Catering. »Manchmal sind es Asylbewerber, für die es der erste Job ist, nachdem sie legal arbeiten dürfen, manche dürfen auch erst einmal nur zwei Stunden arbeiten. Wenn es möglich ist, beschäftige ich Spüler auf Lohnsteuerkarte. Manchmal ist das bei den Menschen, die einen Job suchen, aber nicht möglich.«
Der Spüler im Mess übernimmt auch die Aufgaben der Küchenhilfe: Gemüse putzen, Zwiebeln schneiden, Kartoffeln pellen. Ähnlich ist es im Abaton, einem Bistro-Restaurant mit 140 Plätzen im Hamburger Uni-Viertel. Dort arbeiten zwei fest angestellte Spüler und eine Aushilfe. »Der erste fängt morgens um 11.30 Uhr an«, erzählt Catrin Müller, die Chefin des Abaton. »Die Küche schließt um 23 Uhr, danach räumt der diensthabende Spüler noch auf. Mehr als 48 Arbeitsstunden die Woche sind gesetzlich nicht erlaubt. Wenn wir ausländische Spüler anstellen, brauchen wir mehr Dokumente als bei einem deutschen Arbeitnehmer: Kopien von Pässen, die Einreiseerlaubnis, die Aufenthaltserlaubnis. Es ist etwas mehr Aufwand. Aber ich habe noch nie von einem deutschen Spüler gehört und auch noch nie eine Bewerbung von einem Deutschen erhalten.«

Ich habe noch nie von einem deutschen Spüler gehört und auch noch nie eine Bewerbung von einem Deutschen erhalten.

Müller führt das auf die Wohlstandsverwahrlosung zurück: »In Deutschland gibt es in vielen Familien Putzfrauen und Haushaltshilfen, die Kinder sind nicht mehr daran gewöhnt, mitzuhelfen. Putzen gilt als minderwertige Tätigkeit. Auch bei Köchen findet man oft die Einstellung, dass Spüler minderwertige Mitglieder im Küchenteam sind.«
Durchschnittlich bleiben die Spüler etwa drei Jahre im Abaton, neue stellt Müller über Empfehlungen aus dem Küchenteam ein. »Es gibt auch Leute, die einfach so zu uns kommen und nach dem Job fragen. Aber von ihnen habe ich noch nie einen eingestellt, die meisten wirken unmotiviert.«
Es ist nicht leicht, gute Spüler zu finden, denn zu dem Job gehört mehr als nur Teller zu waschen: Zuverlässigkeit, Arbeitsbereitschaft und Teamfähigkeit. »Die meisten Spüler stammen aus Afrika oder Asien. Mit Tibetern habe ich besonders gute Erfahrungen gemacht, sie haben sehr ruhig, schnell und geschickt gearbeitet. Wenn die Zusammenarbeit gut funktioniert, kann man eine Menge über fremde Kulturen erfahren. Aber es gibt Grenzen: Einmal zeigte ein Spüler ein Foto von einem Ritualmord in der Küche herum, der in seiner Familie stattgefunden hat. Daraufhin habe ich ihn entlassen.«
Hat es ein Spüler schon einmal nach oben geschafft? »Sehr wenige übernehmen bei Bedarf andere Posten in der Küche. Ein Spüler hat sich zum Beispiel als guter Pizzabäcker entpuppt. Aber einmal hat es einer meiner Spüler tatsächlich zum Millionär gebracht: Seine Frau hat in der Lotterie gewonnen.«

Bei meiner Suche nach Spülern stoße ich auf ein weiteres Problem: Mehrfach erlebe ich, dass der Küchenchef mit einem Interview einverstanden ist, aber der Spüler selbst nicht mit mir reden möchte. Einmal flieht ein Spüler regelrecht zurück in die Küche, nachdem ich ihm mein Anliegen erklärt habe – dabei sehe ich wirklich nicht gefährlich aus. Schämen sie sich für ihren Job? Erzählen sie ihren Freunden etwas anderes, und wollen deshalb nicht öffentlich vom Spülen erzählen? »Ich habe Spüler erlebt, die mit Brille und Aktentasche zur Arbeit kamen, als gingen sie ins Büro«, bestätigt Müller aus dem Abaton diese Vermutung.
Die Spüler entwickeln sich zu einem regelrechten Tabuthema, und allmählich habe ich das Gefühl, eine lästige Bremse zu sein, wenn ich Restaurantchefs, Köche oder Spüler darauf anspreche.
Zum Glück geht es auch anders. »Schreib ja nichts Schlechtes über unseren Spüler, Asari ist super!«, ruft mir ein Mädchen aus dem Service hinterher, als ich in die Küche des dips’n stix gehe, eines Fingerfood-Restaurants mit 88 Plätzen auf der Hamburger Reeperbahn.

Asari im dips’n stix hat Glück, denn nicht an jedem Spülposten findet man Licht, frische Luft und nette Kollegen

Asari stammt aus Ghana. Seit 1996 lebt er in Deutschland, auch seine Frau und ein Kind sind hier, seine restliche Familie ist in Ghana. Seit sechs Jahren arbeitet er im dips’n stix, auch davor hat er schon in der Gastronomie gejobbt. Anfangs war es in Deutschland nicht leicht für ihn, aber darüber möchte er nicht sprechen. Er ist ruhig und sehr zurückhaltend, doch als er von seinen Eltern und seiner Heimat erzählt, wird er lebhafter, und seine Augen beginnen zu strahlen. »Im Urlaub fahre ich immer nach Ghana. Ich vermisse meine Heimat, vor allem das Wetter. In Deutschland ist es so kalt.«
»Im letzten Urlaub hat er richtig Farbe bekommen«, witzelt einer der Köche. Asari lacht, er weiß, der Spruch ist nicht böse gemeint. Im Team herrscht eine gute Stimmung, und man merkt schnell, dass er bei seinen Kollegen beliebt ist. Der Spülposten im dips’n stix befindet sich direkt am Fenster. Es gibt eine große Maschine für Teller und Töpfe und eine normal dimensionierte für Gläser. »Wenn das Restaurant voll ist, mittags oder am Abend, ist es sehr anstrengend. Oft gibt es auch noch zusätzliche Veranstaltungen«, erzählt er.
Seine Kollegen schätzen Asaris Arbeit. »Gerade, wenn Geschirr von einem Catering zurückkommt, sieht es oft schlimm aus, es ist von allen Seiten dreckig. Asari macht einen super Job, ohne ihn würde der Laden nicht laufen«, erzählt einer von ihnen. »Wenn es eng wird, helfen auch mal andere an der Spüle. Jeder packt mit an, wenn es was zu tun gibt. Aber wenn ich an der Spüle stehe, gehen mehr Teller kaputt, als wenn Asari da steht.«
Gleich neben dem Spülposten ist der Sushiposten. »Sushi mag ich gar nicht«, sagt Asari, verzieht das Gesicht und lacht. »In Ghana essen wir gerne Gekochtes.« Er liebt die ghanaische Küche und erzählt von Fufu, Huhn und Erdnusssauce. »In Hamburg gibt es viele Menschen aus Ghana. Es ist eine große Community, und es gibt sogar einige ghanaische Restaurants. Da gehe ich sehr gerne hin.«
Von dem starken Zusammenhalt der afrikanischen Community erzählt auch George, der Spüler des Fillet of Soul, eines Szenerestaurants in den Hamburger Deichtorhallen. Er spricht nur Englisch, was seinen Küchenchef Patrick Gebhardt überhaupt nicht stört: So lernen alle im Team besseres Alltagsenglisch.
»Viele Spüler arbeiten schwarz, die Jobs werden innerhalb der Community an Freunde und Bekannte weitergegeben«, berichtet George. Für deutsche Verhältnisse verdienen Spüler wenig, für afrikanische sehr viel. »Die meisten schicken Geld nach Hause. Viele sparen es sich hier vom Mund ab, um es ihren Familien zu schicken. In Afrika haben wir eine andere Mentalität: Es gibt keine staatlichen Institutionen, auf die man sich verlassen kann und die einem helfen, deshalb müssen Familie und Freunde zusammenhalten. Die sozialen Bande sind sehr stark.«

George ist halb Ghanaer, halb Portugiese. Seit fünf Jahren arbeitet er im Fillet of Soul. Außer ihm gibt es dort noch einen weiteren Spüler. »Ich arbeite neun Stunden am Tag, sechs Tage die Woche. Morgens um halb neun geht es los, da putze ich das Restaurant und die Toiletten. Dann backe ich Brot für das Restaurant, manchmal auch Kuchen. Mittags werden oft um die 120 Essen rausgegeben. Das ist für einen Spüler allein eine Menge Geschirr.«
Der Spülposten befindet sich am Rand der offenen Küche und ist für die Gäste sichtbar. »Deshalb muss ich sehr darauf achten, dass immer alles sauber bleibt. Auch meine T-Shirts müssen sauber sein, ich wechsele sie oft. Und alle fünf Monate muss ich mir neue Schuhe kaufen.« Er deutet auf die Sohle seiner Turnschuhe: Von dem Seifenwasser, das auf den Boden spritzt, wird sie schnell brüchig. »Wie lange ich in Deutschland bleiben will, weiß ich noch nicht. Ich kenne viele Spüler, die nur ein oder zwei Jahre hierbleiben. Dann halten sie es nicht mehr aus und wollen zurück nach Hause.«
Mein Verdacht, dass es in der Sterneküche spezielle Vorbehalte gegen das Thema gibt, bestätigt sich nicht. Auch hier gibt es neben vielen, die nicht reden wollen, Ausnahmen, und gerade hier finde ich ihn am Ende doch noch: einen Deutschen, der als Spüler arbeitet.
»Zur Zeit sind bei uns drei Spüler beschäftigt«, erzählt Thomas Bühner aus dem La Vie höflich und offen. »Ein Marokkaner, ein Finne und ein Deutscher. Zwei sind immer in der Küche, drei brauche ich insgesamt, damit es mit dem Achtstundentag hinkommt. Eventuell kommt demnächst ein vierter dazu, vielleicht wird es diesmal sogar eine Frau.« Als einmal zwei Spüler zugleich ausfielen, hat Bühner über eine Reinigungsfirma zwei Frauen als Vertretung geschickt bekommen. »Erst war ich skeptisch, da es wirklich harte körperliche Arbeit ist, aber die Frauen versicherten mir, sie hätten das schon mal gemacht. Und sie haben ihren Job tatsächlich sehr gut gemacht, fast besser als die Männer.«
Bühner ist einer der wenigen, die von sich aus die Bezahlung ansprechen. »Ich bezahle meine Spüler nach dem niedersächsischen Tarif wie einen Commis (brutto etwa 1600 Euro). Wenn sie gut arbeiten, bin ich auch gern bereit, mehr zu zahlen. Sie sind gleichberechtigte Mitarbeiter, sie nehmen genauso am Personalessen und am Betriebsausflug teil wie die anderen.«
Durchschnittlich bleiben die Spüler ein bis zwei Jahre in seiner Küche. »Wenn sie gut sind, wechseln sie oft in einen anderen Job, denn auf Dauer sind die Arbeitszeiten in der Gastronomie mit dem normalen Leben und mit einer Familie schwer vereinbar. Köche haben als Motivation die Aufstiegschancen, Spüler nicht. Wenige steigen auf, manche erledigen auch mal ein paar andere Arbeiten in der Küche, aber ich kenne keinen Spüler, der Koch geworden ist.«

Spüler Ali ist im noma ein heimlicher Star

Den glücklichsten Spüler auf meiner Suche treffe ich im noma in Kopenhagen. Ali stammt aus Gambia, er war in Spanien, Frankreich und Deutschland, bevor er nach Dänemark kam. Erst dort fing er an zu arbeiten. Seine Frau und sein Kind leben ebenfalls in Kopenhagen, seine Eltern und Geschwister sind in Gambia geblieben. Er hat ein breites Lächeln, das niemals zu verblassen scheint, und strahlend weiße Zähne, die aus seinem dunklen Gesicht herausleuchten.
»Ich mag meinen Job«, erzählt er. »Die Leute in der Küche sind sehr, sehr gut. Ich freue mich, mit ihnen zusammenarbeiten zu können.« Alis Worte klingen, als kämen sie von Herzen. Bevor er ins noma kam, arbeitete er in einem anderen Restaurant in Kopenhagen, wo er nicht gut behandelt wurde. Lau Richter, der Restaurantmanager des noma, kannte ihn und holte ihn in die Küche des noma. Seit fast acht Jahren ist Ali jetzt dort, bis vor Kurzem als einziger Spüler. Nachdem im Obergeschoss des Restaurants ein separater Bereich für Veranstaltungen eingerichtet wurde, gibt es dort eine zweite Spülküche, für die ebenfalls ein Spüler zuständig ist.
»Alle hier arbeiten viel, ich auch«, sagt er und klingt dabei beinahe bescheiden. »70, 80 oder 90 Stunden in der Woche sind normal. Aber das macht mir nichts aus, weil ich das Team so gerne mag. Es ist fast wie eine Familie.«
Sein Lohn entspricht dem ausgebildeter Köche, was für einen Spüler ungewöhnlich ist, und er ist damit sehr zufrieden. »Ali ist der beste Tellerwäscher aller Zeiten«, sagt Richter. »Außerdem ist er ein wichtiger Mann für unser Team. Wenn es stressig ist, gibt er den anderen Kraft mit seinem unglaublich großen Lächeln. Von morgens bis abends lächelt er, und wenn man in die Spülküche kommt, nimmt man diese positive Energie mit und kann sie weitergeben, ans Essen und an die Gäste.«

Richter arbeitet seit 20 Jahren in der Gastronomie. »In Dänemark ist es ähnlich wie in Deutschland: Es gibt solche und solche Restaurants. Ohne Spüler funktioniert ein Restaurant nicht. Man braucht sauberes Geschirr, und dafür braucht man einen guten Tellerwäscher. Ich habe in Restaurants gearbeitet, wo Spüler ihren Job nicht ernst nahmen – das war die Hölle. Aber ich habe auch viele Spülküchen gesehen, in denen man wirklich nicht arbeiten möchte: dunkel, fensterlos, im Keller gelegen, feucht, muffig.«
Die Spülküche im noma ist ein eigener Raum hinter der offenen Küche, zehn bis fünfzehn Quadratmeter groß – und sie hat ein Fenster. Es gibt dort eine Spüle, Regale zum Zwischenlagern des Geschirrs, eine kleine Maschine für Gläser und eine große für Töpfe und Teller. »Die ist in einer Minute fertig, sie ist mein bester Kollege. Da drin werden auch die Steinplatten gewaschen, auf denen wir manche Gerichte servieren. Die finde ich besonders gut, denn sie gehen nicht kaputt.« Ali lacht. »Die Spülküche ist der einzige Bereich der Küche, den die Gäste nicht zu sehen bekommen. Nur hier können wir uns erlauben, ein wenig schmutzig zu sein.«
Alis Arbeitstag fängt um 11 Uhr an, fünf Tage die Woche, und auch an einem der beiden Ruhetage ist er für einige Stunden im Restaurant. Eine Hauptarbeitszeit gibt es nicht, er ist die ganze Zeit über im Einsatz, mittags und abends, wenn die Gäste kommen, einfach noch etwas mehr. Nur um 17 Uhr gibt es eine Pause: Dann wird im Obergeschoss das Personalessen serviert.

In meinem Ausweis steht, dass ich 57 bin. Ob das stimmt, weiß ich selbst nicht genau.

Als ich ihn nach seinem Alter frage, knackt Ali verlegen mit den Fingerknöcheln. »Das ist ein schwieriges Thema. In meinem Ausweis steht, dass ich 57 bin. Ob das stimmt, weiß ich selbst nicht genau. In Gambia werden bei der Geburt eines Kindes keine Geburtsurkunden ausgestellt, und zehn oder fünfzehn Jahre später ist es für die Eltern nicht leicht, sich bei all den Kindern an ihr genaues Alter zu erinnern. Als ich meine Papiere beantragt habe, hat mein Vater mein ungefähres Alter errechnet.« Ganz falsch kann er nicht gelegen haben, denn Alis Tochter ist schon lange erwachsen. Damit ist er mit Abstand der älteste Spüler, dem ich begegne. Und er ist der erste, der stolz auf seinen Job ist.

»Als wir letztes Jahr vom ›Restaurant Magazine‹ die Auszeichnung ›Bestes Restaurant der Welt‹ erhalten haben, wollten wir Ali mit zur Preisverleihung nach London nehmen«, erzählt Richter. »Seit mehreren Jahren fahren wir zu der Veranstaltung, bei der die 50 besten Restaurants der Welt ausgezeichnet werden. Im noma arbeiten 70 Leute, die können natürlich nicht alle mitkommen, nur ein kleines Team von sechs bis acht Leuten. Wir versuchen aber, jeden einmal mitzunehmen. Letztes Jahr sollte Ali mit.«
»Leider kannte ich die britischen Visabestimmungen nicht und habe mein Visum zwei Tage zu spät beantragt«, sagt Ali.
»Also druckten wir T-Shirts mit Alis Gesicht darauf. Die trugen wir bei der Preisverleihung.« Richter lächelt.
»Das war für mich fast so, als sei ich selbst gefahren.« Ali strahlt.
Erst gab es nur T-Shirts für das Team, das nach London fuhr, dann wurden Shirts für die anderen Mitarbeiter nachgedruckt. Inzwischen hat das T-Shirt Kultstatus, man kann es sogar im noma kaufen.

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  1. Ich arbeite als Spüler auf Minijob- Basis und bin Deutscher. Also einer der wenigen Ausnahmen. Das der Job sehr stressig ist, das ist klar. Man ist auch sozusagen “ Mädchen für Alles“. Ich habe in dieser Position auch schon oft genug in Vollzeit gearbeitet.
    Die Bezahlung ist natürlich nicht so der Bringer, aber okay. Und die Arbeit macht trotzdem Spaß. Das Arbeitsklima ist mir dabei besonders wichtig. Aber meistens ist man immerhin nur derjenige der die Drecksarbeit macht. Gut behandelt wird man leider auch nicht immer. Sprich: Man muss schon ’ne harte Schale und Durchhaltevermögen haben. Aber dennoch…..

  2. Ja, es sollten sich mal etwas mehr Leute um die Arbeit eines Spülers kümmern. Es ist ein knüppelharter Job, über den keiner reden mag. Ich selber bin in den letzten 3 Jahren durch drei Küchen als Spüler gegangen.

    Das eine war eine Schiffsküche. Ich habe dort topfit angefangen und bin als körperliches Wrack runter gegangen nach 2 Saisons. Das Problem bei diesem Job ist, dass die meisten Spülmaschinen nicht über genügend Abluft verfügen und die Dämpfe einen mit der Zeit fertig machen. In den meisten Fällen handelt es sich um Industriereiniger und bei Dauerbetrieb steigt der Dampf die ganze Zeit auf. Ich habe mit der Zeit Schwindel, Kopfschmerzen und Schlafstörungen bekommen, bis ich mir die Beschreibung der Reiniger durchgelesen habe. Letztlich schädigt es die Nerven auf Dauer.
    http://www.dr-schnell.com/produkte-shop/produkt/perotex-super-h.html
    Meine Haut hat nach einem Jahr im Gesicht geglänzt und ich habe öfter Nasenbluten bekommen, zumal mein oberer Bereich der Lunge angefangen hat zu schmerzen. Die Speiseröhre hat den Geschmack von Reiniger gehabt, was lange angehalten hat. Ich habe das Thema öfter angesprochen aber es macht keiner was da ein Belüftungssystem für Spülmaschinen oder die Anschaffung einer neuen Maschine zu teuer ist und somit werden immer weiter Leute verheizt die an eine alte Spüle gelangen, wo die Dämpfe nicht richtig abgezogen werden.
    Ich habe heute viele Folgeschäden die ich sonst nicht hatte, Anfälligkeiten der Lunge was sonst nicht da war und so weiter .……
    Das geht an alle Küchen dieser Welt: macht mal was für die armen Seelen, die immer noch im Dunst der Spülmaschinen stehen müssen.
    LG
    Florian, einer von vielen verheizten Tellerwäschern

  3. Das erinnert mich an Paul Bocuse, als er das »Tantris« unter der Leitung von Heinz Winkler besuchte. Er betrat die Küche und reichte als Erstem dem verdutzten Spüler Mile Trkulja die Hand zur Begrüßung und erst danach den Köchen. Damit wollte er sagen „Wir sind ein Team, und jeder ist wichtig“.

  4. Endlich einmal dreht sich eine Geschichte um einen Spüler, sein Leben und Arbeiten. Damit wird wohltuend mit dem Kult rund um Starköche, Starküchen und Stargästen gebrochen. Weiter so!

Aus Effilee #19, Nov/Dez 2011
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