Das geduldige Volk der Sahraui lebt in einer Handvoll ärmlicher Flüchtlingslager in der algerischen Sahara. Um die dreihunderttausend Frauen und Männer können hier kaum etwas anderes tun, als im heißen Wüstensand zu lagern und auf bessere Zeiten zu warten. Als sich Spanien 1975 als Kolonialmacht aus Nordafrika zurückzog, mussten auch sie die Westsahara verlassen und bekamen fürs Erste einen schmalen Streifen algerisches Wüstenland zuerkannt. Dort sitzen sie, von der Welt fast vergessen, noch heute. Die nächsten Städte sind circa tausend Kilometer entfernt, am Tag klettert das Thermometer schon mal auf fünfzig Grad, in der Nacht herrscht meist eisige Kälte. Der Fotograf Matteo de Mayda hat die Sahraui an einem warmen Tag für uns besucht, und die grandiose Konditorin Maddalena Borsato hat den Backofen vorgeheizt
Maddalena, Sie haben eine Gruppe von Frauen in einem Flüchtlingslager in der algerischen Wüste besucht, um Kekse und andere süße Sachen mit ihnen zu backen. Das ist, vorsichtig ausgedrückt, eine drollige Idee. Erzählen Sie kurz, wie es dazu kam.
Ein Professor der Universität der Gastronomischen Wissenschaften in Pollenzo, an der ich gerade promoviere, hat mich in Kontakt mit zwei Nichtregierungsorganisationen - Africa70 und Nexus - gebracht, die eine Konditorin für die Projektreihe Cibo e Lavoro: autoprodurre con dignità suchten. Federführend bei diesem Projekt, was so viel heißt wie Arbeit und Essen: selbst produzieren in Würde, ist die technische Leiterin für Lebensmittelsicherheit, Sara di Lello.
Ich wurde gefragt, ob ich mich in meiner Eigenschaft als Expertin für Zuckerbäckerei um die Stärkung der Frauengenossenschaften in den Flüchtlingslagern rund ums algerische Tindouf kümmern könnte. Bei der Gelegenheit erfuhr ich auch, dass es in den Lagern jede Menge Frauen gab, die ein spezielles Interesse daran bekundet hatten zu lernen, wie man wiederverkäufliche und haltbare Lebensmittel herstellt. Außerdem hatten die Frauen ausdrücklich ihre Vorliebe für Kekse und anderes süßes Gebäck betont. Ich hatte die vergangenen fünf Jahre damit zugebracht, als Konditorin in verschiedenen Städten Italiens zu arbeiten, somit war diese Aufgabe wie für mich geschaffen. Außerdem war ich natürlich neugierig auf die Wüstenfrauen.
Die Ausrüstung vor Ort dürfte - durch den schon seit Jahrzehnten andauernden Flüchtlingsstatus - bescheiden gewesen sein und die Frauen mit Rohstoffen nicht gerade gesegnet. Hatten Sie das Gefühl, dass die Sahraui trotzdem noch eine gewisse Küchentradition in ihr Lager hinübergerettet haben?
Die älteren sahrauischen Frauen, also diejenigen, die nicht im Flüchtlingslager geboren wurden, versuchten ihre kulinarische Tradition, so gut es eben ging, fortzuführen.
Bei den Frauen aus der folgenden Generation, also jenen, die in den Flüchtlingslagern geboren wurden, war dieser Faden wohl meist gerissen, der feste Wille, die Traditionen wieder aufleben zu lassen, war aber auch bei ihnen spürbar.
Wenn man zum Backen in die Wüste reist, ist doch wohl die erste Frage: Was bringt man mit, womit rechnet man vor Ort?
Bei den Frauen fand ich das vor, was sie wahrscheinlich immer dahaben: also Eier, Mehl, Margarine, Zucker, Salz, Datteln, Erdnüsse und ein paar Mandeln und Pistazien. Alles von lokalen Märkten und auch aus humanitärer Hilfe, das UNHCR kümmert sich vor Ort um die wichtigsten Lebensmittel. Mitgebracht habe ich hauptsächlich Geräte. Mein Konditormeister hatte mir zum Beispiel hundert Spritzbeutel für die Frauen geschenkt. Als Rohstoffe hatte ich unter anderem Puderzucker dabei, und habe den Frauen dann für die Zukunft beigebracht, wie sie ihn auch aus normalem Zucker herstellen können.
Außerdem hatte ich noch ein paar Kleinigkeiten für die Dekoration im Gepäck, also farbige Zuckerperlchen und Ähnliches, aber auch hier bin ich vorgegangen wie beim Puderzucker und habe den Frauen gezeigt, wie sie diese Dinge künftig selbst herstellen können, falls sie das wollen.
Mein Plan war, eine kleine Brücke zwischen der arabischen und der italienischen Backtradition zu schlagen.
Überhaupt habe ich versucht, meine Arbeit so zu machen, dass noch möglichst viel Greifbares von meinem Besuch in der Wüste bleibt, wenn ich wieder weg bin. Mein Plan war, eine kleine Brücke zwischen der arabischen und der italienischen Backtradition zu schlagen. Und die altbekannte leidenschaftliche Süße der arabischen mit der dezenten Raffinesse der italienischen Patisserie irgendwie zusammenzubringen.
Und selbst? Was dazugelernt?
Sogar gleich am ersten Tag. Eine der Frauen zeigte mir, wie sie nur mit einem Mörser, Erdnüssen und etwas Samenöl ein Pulver herstellt, das sie als süßen Snack auf dem Markt verkauft. Großen Respekt hatte ich auch vor dem bemerkenswert unaufgeregten Umgang der sahrauischen Frauen mit dem dem alten Gasofen, der mir anfangs ein bisschen Angst machte. Mehr als ein bisschen, wenn ich ehrlich bin, aber die geradezu meditative Ruhe, die sie im Umgang mit dem klapprigen Ding ausstrahlten, hat mich angesteckt.
Außerdem habe ich gelernt, wie man Eier ohne elektrische Schneebesen schaumig schlägt, und zwar genauso schnell, man braucht nur ziemlich muskulöse Arme. Was ich nie vergessen werde: Ohne fließend Wasser ist man in einer Backstube nicht aufgeschmissen, sondern nur ein wenig gefordert. Es funktioniert jedenfalls prima, man muss es nur wollen.
In nordafrikanischen Küchen wird in der Regel äußerst großzügig mit Gewürzen und auch Zucker umgegangen. Wie verschieden waren die Geschmäcker?
Die Frauen konnten kaum fassen, dass wir etwas wie einen einfachen Mürbeteig süße Küche nennen.
So wie Sie andeuten. Sachen wie die landestypischen Dattelkuchen oder Mandelkekse sind für uns eindeutig zu süß, wir kommen damit nicht wirklich klar. Im Gegenzug war ein einfacher Mürbeteig für die Frauen ein vollkommen exotisches Erlebnis, sie konnten kaum fassen, dass wir so etwas süße Küche nennen. Was die Geschmackswahrnehmung in einem ökologischen Kontext angeht, war diese Reise wirklich voller Überraschungen und ein voller Erfolg.
Auch für die schönen und stolzen Frauen vom Stamm der Sahraui?
Zweifellos. Sie haben ja selbst darum gebeten, dass ich diesen Kurs gebe, sie sind es im Grunde gewohnt, etwas zu tun und überall mitzumischen. Die Frauen spielten in der sahrauischen Gesellschaft schon immer wichtige Rollen, übrigens auch und ganz besonders in der Politik. Und jetzt, in diesem Lager am Rande von Nirgendwo, wo praktisch alle zum Nichtstun verdammt sind, möchten sie etwas tun, um die Lebensbedingungen für alle zu verbessern. Einfach jahrzehntelang im Sand zu sitzen und auf besseres Wetter zu warten, entspricht ganz offensichtlich nicht ihrem Temperament.