Beim Fußball wird die schwarz-rot-goldene Fahne gerne und ausdauernd geschwenkt, wenn es aber um die kulinarischen Errungenschaften ihres Landes geht, zucken die Deutschen eher verschämt mit den Schultern. Während die Nachbarn aus der Schweiz und Österreich zu Recht mit Käse und Schoki prahlen, die Italiener ihre Pasta um die Welt schicken und die Franzosen behaupten, sogar Gott käme zum Essen bei ihnen vorbei, übt sich der Deutsche in vornehmer Zurückhaltung. Allerhöchstens klopft er mal kurz aufs gute Brot, weist auf das nach dem Reinheitsgebot gebraute Bier hin und schenkt noch einen Tropfen Riesling nach. Dabei können wir viel mehr: Wir sind zum Beispiel kulinarische Weltmeister im Wursten! Wurstmeister sozusagen.
Nirgendwo sonst auf der Erde findet sich eine derart reiche und qualitativ hochwertige Auswahl der Trinität aus Roh-, Brüh- und Kochwürsten. Um die 1500 Sorten, heißt es vom Fleischerhandwerk, sollen es derzeit sein. Es gibt geschätzte 500 Sorten Rohwürste, darunter Klassiker wie Salami, Mett- und Teewurst, Landjäger und die gute Zervelatwurst, die früher mit Hirn hergestellt wurde. Zu den etwa 800 Brühwürsten zählen die Frankfurter, Fleischwurst, Jagdwurst und der Bierschinken, der übrigens nicht mit Bier gewurstet wird, aber früher gerne dazu gegessen wurde. Die kleinste Gruppe stellen die Kochwürste mit 360 Sorten dar, unter denen sich die schönsten Spezialitäten finden: Blut- und Leberwurst, Presskopf, Grützwurst und der Pfälzer Saumagen. Je weiter man sich in den Süden begibt desto unübersichtlicher wird das Angebot - bei steigender Verlockung.
Weltberühmt geworden sind, neben der German Knackwurst und der Weißwurst, vor allem die Original Nürnberger Rostbratwürste, die sich, vorgegart und eingeschweißt, zum weltweiten Exportschlager entwickelt haben und heute sogar unter dem Artenschutz der EU-Kommission stehen: Sie dürfen nur im Stadtgebiet Nürnberg und nach einer festgeschriebenen Rezeptur hergestellt werden: Zwischen 20 und 25 g wiegen die 7 bis 9 cm kurzen Würste im Rohzustand, aus mittelfeinem Brät, das mit fränkischem Majoran gewürzt ist.
Der Name Bratwurst ist auf den ersten Blick irreführend: Das Brat- bezieht sich nicht auf die Garmethode, sondern auf den Inhalt, das Brät. Traditionell werden die Bratwürste auf dem Buchenholz-Grill zubereitet, nur im äußersten Notfall in der Pfanne. Je nach Appetit serviert man in den historischen Nürnberger Bratwurstbratereien wie dem berühmten Bratwurstglöcklein pro Portion sechs oder zwölf der köstlichen Kurzen auf einem Sauerkraut-Bett. Als Fastfood haben die Original Nürnberger Rostbratwürste ebenfalls Karriere gemacht: Die Drei im Weggla, also drei Würstchen im Wecken (Brötchen), wahlweise mit Senf, schmecken auch unterwegs auf die Hand.
Als gehobenes Wirtshausessen zum strammen Biergenuss, wie als Leben erweckendes Katerfrühstück, zu dem zwingend ein weiteres Bier passt, werden die Würste in der fränkischen und Oberpfälzer Küche unter dem Namen Blaue Zipfel oder Saure Zipfel angeboten. Das klingt erst mal wohl nicht für jeden verlockend, schmeckt aber zum Seufzen köstlich! Im deftigen Zwiebelsud mit Wurzelgemüse, Weißwein, Essig und Gewürzen langsam gargezogen, erbleichen die roh eingelegten Bratwürste und bekommen dabei den namengebenden, leicht bläulichen Ton.
Entscheidend für den Geschmack ist vor allem die Qualität der verwendeten Würste. Roh sind die Original Nürnberger Bratwürste natürlich nur vor Ort zu bekommen, auf Vorbestellung fertigt der Metzger Ihres Vertrauens aber sicher eine schmackhafte Fälschung.
Nicht unwichtig sind die verwendeten Gewürze und der Essig. Letzterer sollte eine milde Säure von maximal 5 Prozent Säuregehalt haben, Weinessig ist besonders zu empfehlen. Bei den Gewürzen dürfen Lorbeerblatt, Wachholder, Nelke und Pfefferkörner nicht fehlen, also die klassischen Sauerbratengewürze, optional kann auch Senfsaat hinzugegeben werden.
Serviert wird die Spezialität mit einem kräftigen Sauerteigbrot zum fränkischen Bier oder Boxbeutel-Wein, ein trockener Silvaner aus der Region passt perfekt. Unter gar keinen Umständen darf zu den Blauen Zipfeln Senf gereicht werden - sie werden in der Regel allein mit dem würzigen Sud genossen. Einzige Ausnahme: In manchen Wirtshäusern wird frisch geriebener fränkischer Meerrettich dazu gereicht. Eine scharfe Kombination und eine wahrlich wurstmeisterliche Mahlzeit.
Blaue Zipfel
- 600 g Zwiebeln
- 100 g Möhren
- 1 EL Senfkörner
- 1 EL Pfefferkörner
- 10 Wacholderbeeren
- 100 ml Weißweinessig
- 100 ml Weißwein
- Salz
- Zucker
- 1 Nelke
- 2 Lorbeerblätter
- 16 rohe Nürnberger Rostbratwürste
- 100 g frischer Meerrettich
- 2 Zweige Petersilie
- Die Zwiebeln pellen und in feine Ringe oder Streifen schneiden. Die Möhren schälen und in feine Scheiben schneiden. Senfkörner, Pfefferkörner und Wacholderbeeren in einem Mörser leicht andrücken. 800 ml Wasser, Essig und Wein kurz aufkochen, mit Salz und einer Prise Zucker würzen.
- Zwiebeln, Möhren, Senfsaat, Pfeffer, Wacholder, Nelken und Lorbeer zugeben. Bei mittlerer Hitze 10 Minuten zugedeckt köcheln. Würste zugeben und bei milder Hitze 20 Minuten ziehen lassen.
- Den Meerrettich schälen und mit einem Messer in dünne Späne schaben oder auf einer Reibe fein raspeln. Blaue Zipfel mit etwas Zwiebelsud in tiefen Tellern anrichten, Petersilie grob hacken und mit dem Meerrettich darüberstreuen.