Billy Wagner – Der Überzeugungstäter

Text & Foto: Vijay Sapre Geboren wurde er 1981 in Mittweida bei Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz. Billy ist übrigens kein […]

Text & Foto: Vijay Sapre

Billy Wagner
Billy Wagner

Geboren wurde er 1981 in Mittweida bei Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz. Billy ist übrigens kein Spitzname, er heißt wirklich so. Seine Großeltern und Eltern waren schon Gastronomen, das Kind wächst in der Wirtschaft auf, wird, damit es was lernt, ins Internat geschickt, kehrt zurück und macht eine Lehre im Herzogspark in Herzogenaurach.
Spätestens die Entscheidung für das kleine, aber hochkreative Nürnberger Restaurant Essigbrätlein, damals mit einem, heute mit zwei Sternen ausgezeichnet, als zweite Station zeugt von Ehrgeiz. Bei Andrée Köthe und Yves Ollech lernt er kulinarische Zusammenhänge zu verstehen und natürlich auch, wie der Wein, guter Wein, dazu passt.
Danach geht es Zur Traube nach Grevenbroich, nach Köln ins Vintage und die nächste Station, das Monkey’s in Düsseldorf bedeutete zum ersten Mal: Verantwortung übernehmen, einen Laden prägen. 2008 ereilte ihn der Ruf nach Berlin, ins Rutz.
»Pass auf«, sagte Carsten Schmidt, der Inhaber, »der Berliner kann ein schwieriger Gast sein!« Aber Billy weiß offensichtlich, wie er ihn zu nehmen hat, den Berliner. »Es gibt eigentlich wenig Konventionen in der Stadt«, sagt er, »man kann fast alles machen!« Und Billy macht da weiter, wo er in Düsseldorf aufgehört hat, beim eigenen Look und den eigenen Weinen. »Dem Billy konntest du nie was zum Anziehen kaufen«, hatte seine Mutter einmal gesagt, »der hat es nicht getragen, wenn er es nicht selbst ausgesucht hat.«
»Ich bin schon eitel«, gibt er zu, »die Kleidung ist auch eine Art, sich selbst darzustellen.« Man braucht ein gewisses Selbstbewusstsein dafür: Die Schuhe gern mal ungeschnürt, eine blaue Fliege, die seitlich am Kragen hängt, ein Yves-Klein-blauer Hut. Die Weste ungesäumt, aus alten Stücken zusammengenäht. Billy ist nicht der Einzige, der sowas trägt, aber die anderen erzählen einem immer schnell, wo sie die Sachen gekauft haben (New York, Tokio) und wie viel Geld sie ausgegeben haben (sehr viel). Billy bekommt sie von einem Freund aus Nürnberg, der seinen Laden am Weinmarkt hat, direkt neben dem Essigbrätlein.
Bei den Weinen ist es ähnlich. Die meisten hat er selbst ausgesucht; in der Regel kennt er den Winzer persönlich. Verkauft wird nur, was ihm selbst gefällt. Das ist, meint er, keineswegs arrogant. Im Gegenteil: »Arrogant wäre, zu sagen, der Gast versteht das sowieso nicht.« Billy leistet Überzeugungsarbeit, kauft Weine, die keiner kennt, lässt probieren, lässt noch einmal probieren und hat höchstens zur Not dann doch noch das da, was sein Gast kennt und wo er sich sicher fühlt. Solange es kein Bordeaux ist, den soll man sich bitte (gegen faires Korkgeld) selber mitbringen. Die kompromisslose Haltung beeindruckte auch den Gault Millau, der dafür die Auszeichnung Weinkarte des Jahres 2014 vergab.
Mit dem klassischen Berufsbild des Sommeliers hat das nicht mehr viel zu tun. Aber das Phänomen tritt zeitgleich noch in anderen gastronomischen Hochburgen auf, in den USA wurde der Begriff des Somm geprägt, der dabei ist, den Sommelier zu verdrängen: nicht still und zurückhaltend, sondern eher schrill, aber enorm kenntnisreich und ständig auf der Suche nach Neuem, Ungewöhnlichem. Nicht die Politikertypen, mit Fliege und Smoking.
»Einen guten Wein zu finden«, erklärt Billy, »ist heutzutage gar kein Problem mehr. Selbst im Supermarkt bekommt man ein Mindestmaß an Qualität. Interessant ist, unverwechselbar zu sein, etwas zu bieten, an dem man sich auch reiben kann.«
Im Rutz gelang das und es hätte gut so weitergehen können, mit Marco Müller und dem übrigen Team. Trotzdem hat Billy Wagner beschlossen, das Rutz zu verlassen, um sein eigenes Restaurant zu eröffnen. Er geht dieses Projekt so an, wie alles andere, mit vollem Einsatz. Es gibt die Idee, einen Koch aber bisher weder Investor noch Location. Die Suche danach und die Planung, das war etwas, das er nicht mehr nebenbei erledigen wollte, an den freien Tagen oder vor der Schicht.
Nobelhart und Schmutzig – Eine Mahlzeit soll das Restaurant heißen, eine offene, in den Gastraum integrierte Küche soll es geben, und das Essen wird »brutal lokal« sein. Denn Berlin ist für Billy nicht nur die Stadt, in der man – anders als zum Beispiel in Paris – auch um vier Uhr morgens noch gut essen und um zwei Uhr Nachmittag tanzen gehen kann. Das kommt seiner Art zu Leben zwar entgegen, aber noch wichtiger ist ihm das Umland, wo es viele kleine, ambitionierte Betriebe gibt, die sehr hochwertige Produkte herstellen.
»Es wird auch keine Karte geben«, erklärt er, »ich finde, man muss auch bereit sein, sich etwas empfehlen zu lassen. Das gilt nicht nur für den Gast, auch der Koch sollte sich vom Bauern sagen lassen, was gerade gut ist. Der weiß es doch am besten!«
»Einhundertfünfzig Jahre lang war gute Gastronomie mit Anzug und Etikette verbunden, das ändert sich jetzt gerade. Jetzt kannst du auch in einem trashigen Ambiente geilen Wein, ein gutes Stück Fleisch oder Gemüse bekommen. Das ist auch viel näher am Gast, wer hat schon Bedienstete zu Hause oder Silberbesteck?«
Billy Wagner trifft man in Berlin. Nachmittags beim Tanzen und morgens um vier beim Essen

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Aus Effilee #28, Frühjahr 2014
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