Ferskost, ein Käse aus Norwegen

Norwegen und Käse? Klar, brunost. Ockerbraunes Super-Umami-Konzentrat und ein bisschen karamellig, aber doch nicht richtig süßlich, Konsistenz irgendwo zwischen Fudge […]

Norwegen und Käse? Klar, brunost. Ockerbraunes Super-Umami-Konzentrat und ein bisschen karamellig, aber doch nicht richtig süßlich, Konsistenz irgendwo zwischen Fudge und sehr kalter Nussnougatcreme und eigentlich gar kein Käse. Läuft manchmal auch als geitost (für die Norweger ist der Osten, ost, Käse, brun ist braun, geit die Ziege, obwohl der Block meist aus Kuhmilch …). Kein Frühstücksbuffet, Frühstückstisch, ach was, norwegischer Haushalt ohne Brunost. Gehört zu den unentbehrlichen Requisiten des norwegischen Nationalbewusstseins, wie Marmite in England oder Khachapuri-Käsefladen für die Georgier. Doch wie das so ist mit dem, was angeblich schon immer so war und ist und deshalb so bleiben muss: Nichts war schon immer. Auf die Frage Norwegen und Käse gibt es auch eine ganz andere Antwort: skjørost, pultost und gamalost, wörtlich saurer, grütziger und alter Käse, allesamt ohne Zusatz von Lab aus entrahmter Sauermilch hergestellt und eng verwandt mit den Urkäsen der Alpen wie dem Graukäse und der uns vertrauten Familie der Harzer-Korb-Quargel-Handkäse. Für traditionellen Skjørost (nicht nur etymologisch nah am isländischen skyr!) wird entrahmte, saure Milch dickgelegt, dann zerkrümelt. Manche drücken ihn auch in Formen, daraus wird dann bei allmählicher Schimmelbildung Gamalost. Pultost ist Skjørost mit Salz und Kümmel. Alle drei sind ziemlich gewöhnungsbedürftig. Warum hat man sie produziert und gegessen? Aus exakt demselben Grund wie alle Arten von Handkäse hierzulande: Die entrahmte saure Milch war ein Abfallprodukt beim Buttermachen. Butter ließ sich für gutes Geld verkaufen, mit dem sauren, mageren Käse musste man selbst über die Runden kommen. Tradition ist auch, wenn man das Beste aus wirtschaftlichen Zwängen macht.

Tradition ist auch, wenn man aus wirtschaftlichen Zwängen das Beste macht

Doch die wirtschaftlichen Bedingungen verändern sich. In diesem Fall hieß der Störfaktor Margarine, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts die Butterpreise verfallen ließ. Brunost sei, heißt es allgemein, von Anne Hov, einer Sennerin im Gudbrandsdal, 1863 erfunden worden. Das saftig grüne Tal muss frühen Siedlern wie das gelobte Land erschienen sein, das Buttermachen florierte hier zweifellos und der Crash am Buttermarkt war keine gute Nachricht. Er brachte aber Anne Hov auf die Idee, zur Molke (deren Einkochen zu braunem Käse bis jetzt ein kleiner Nebenschauplatz im Gudbrandsdal-Milchverwertungs-Universum gewesen war) Sahne hinzuzufügen. Was den braunen Stoff nicht nur süßer schmecken ließ, sondern ihn auch zu einer begehrten Handelsware aufsteigen ließ. In Oslo, damals noch Christiania beziehungsweise Kristiania, das gerade durch die neuen Eisenbahnen zum Absatzmarkt wurde und wo man schwer darauf bedacht war, das norwegische Nationalbewusstsein zu betonen, um sich endlich von Dänemark und Schweden abzugrenzen, kam so ein ganz eigener, unsriger Käse gerade recht! Hatte man den nicht schon immer gegessen als Norweger?
Fakt ist, dass an die Stelle der Butter/Sauermilchkäse-Kombi die von braunem und weißem Käse trat. Die Milch wurde zuerst mit Lab zu weißem, normalem Käse verarbeitet, der aber nur ein Nebenprodukt darstellte, um Molke für den begehrten braunen Stoff zu erhalten. Meist salzte man diesen hvitost nicht einmal, auf dem Tisch stand er sowieso neben eingesalzenem Fisch und Fleisch.
Am Sognefjord, dieser gewaltigen Schlucht, die sich nördlich von Bergen zweihundert Kilometer tief ins Landesinnere zieht, wird der braune Käse aus Ziegenmolke eingekocht. Schon immer (siehe oben). Und mit der Überzeugung, dass dies die einzige, echte, beste Form des Brunost sei, mit wesentlich mehr Würze und Geschmackstiefe (kein Einspruch zu Letzterem). Man beziehungsweise frau zieht hier im Juli und August die steilen Hänge hinauf für die Sommerkäserei. Anne Karin Hatling auf Skjerdal melkt siebzig Ziegen und arbeitet bewusst ganz traditionell, über offenem Feuer, mit natürlichem Abzug und Birkenholzformen. »Mein Ziel ist es, den gleichen Käse zu machen wie meine Schwiegermutter, damit der traditionelle Käse überlebt«, sagt die lebhafte Zweiundfünfzigjährige und meint damit auch: damit der Brunost nicht vom französischen, internationalen, nicht-norwegischen verdrängt wird.
Doch die Veränderung, die zieht selbst hier ein: In einer Ecke stehen ein paar kleine runde Formen zum Abtropfen. Frischkäse sei das, wie alles andere aus unbehandelter Milch. Den mache sie seit kurzer Zeit, so richtig passe er noch nicht in den Ablauf – aber verkaufen könnte sie eigentlich viel mehr davon. Der neue Käse hat sich so unbemerkt in die Skjerdal-Welt eingeschlichen, dass er noch nicht mal einen richtigen Namen hat. Ferskost, frischer Käse, wird er genannt. In ihm kommt die herausragende Milchqualität der frei weidenden langhaarigen Norwegerziegen und Anne Karins Gespür für Landschaft, Tiere, Milch und Käse noch stärker zum Ausdruck: Er liegt genauso schwerelos und zugleich imposant auf der Zunge wie die Berghänge im Nebel über den Tiefen des Fjords an chinesische Tuschelandschaften erinnern.
Ist der namenlose frische Kerl norwegisch? Für mich schon. Ich bin sicher: Er wird seinen Platz finden.
Übrigens: Wer sich unter den ganz treuen Lesern an den gegessenen Käse aus der Effilee #23 erinnert – Geistost aus Lygre – ich war inzwischen nicht nur mehrmals in Norwegen (ist schließlich fünf Jahre her), sondern besitze sogar zwei ostehøvel. Frau lernt immer dazu, nichts bleibt, wie es ist.

Anne Karin Hatling
Skjerdal Stølsysteri og kafé (nur im Juli und August)
Skjerdalsvegen 111, 5745 Aurland
Norwegen
auf Facebook: Skjerdalstolsysteriogkafe

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Aus Effilee #43, Winter 2017 / 2018
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