Der Finne als solcher, so denkt man, ist still und düster wie ein zugefrorener See in der Polarnacht. Reina Waissi ist allerdings eher ein munter sprudelnder Quell. Wenn Finnen nicht Toast zum Frühstück essen, dann gibt es Puuro, was nichts anderes bedeutet als Porridge - Haferbrei. »Auch wenn dieses traditionelle Frühstück nicht mehr ganz so verbreitet ist - ich esse das tatsächlich relativ oft, weil es schnell zuzubereiten ist und Kraft für den Tag gibt«, sagt Reina und führt uns in ihre helle, große Wohnung mit einer offenen Küche, die finnisch-schlicht eingerichtet ist. Nach vorne raus liegt eine Einkaufsstraße, hinter der Wohnung ein kleiner Innenhof. Die Sets auf dem Esstisch, die Tassen und der Duschvorhang sind von Marimekko, die Gläser klassische Aino-Aalto-Gläser von Iittala. »Ich mag das finnische Design. Es ist immer sehr schlicht und funktionell, hat dabei aber etwas Besonderes, Wiedererkennbares.«
1996 kam Reina nach Deutschland. In Münster konnte sie sowohl ihre Ballettausbildung beenden als auch Jura studieren - man muss schließlich auch etwas Richtiges lernen. Heute arbeitet sie als Rechtsanwältin in einer Kanzlei, die sich mit internationalem Seerecht befasst. »Ich bin mein Leben nicht nach Plan angegangen. Ich bin nicht der Typ für Schule-Mann-Kinder-Arbeitarbeitarbeit-Sterben. Trotzdem war ich war früher sehr ehrgeizig und wollte immer alles richtig machen. Ich bin froh, dass ich das abgelegt habe.« Reina steht vom Esstisch auf und geht in die Küche. »Ich zeig euch jetzt, wie man den Grundbrei zubereitet. Wollt ihr einen Kaffee? Finnen trinken furchtbar viel Kaffee.«
»Man mischt Wasser und Brei etwa im Verhältnis 2:1. Wenn man will, kann man ihn auch fester oder flüssiger anrühren. Ich hab verschiedene finnische Sorten Haferbrei gekauft, damit das richtig original wird.« Finnischer Brei ist in Deutschland nur schwer zu bekommen, doch zur Not kann man Puuro auch mit blütenzarten deutschen Haferflocken zubereiten, das dauert dann nur ein bisschen länger. Reina hat einen Großteil ihres bisherigen Lebens in Finnland verbracht, wurde aber in Darmstadt geboren, wo ihr Vater als Ingenieur arbeitete. Als sie ein Jahr alt war, zog ihre Familie zurück nach Finnland, zunächst nach Helsinki, später quer durchs Land - immer dahin, wo der Vater arbeitete. »Meine Mutter wollte zurück in die Heimat. Die finnische Seele kommt mit dem Alltag in Deutschland nicht immer zurecht.«
Ihr Vater hat mehr als zehn Jahre in Deutschland gelebt. »Ich fand immer, dass er sehr deutsch ist. Wie er denkt, ist deutsch. Sehr logisch und mit einer gewissen Härte. Ich kann gar nicht sagen, was es genau ist. Vielleicht ist das einer der Gründe, weshalb ich hierher gekommen bin. Um das herauszufinden. Ich selbst bin auch nicht unbedingt typisch finnisch. Viele Finnen, die ich kenne, sind deutlich stiller als ich. Aber selbst ich finde, man muss sich treffen können und ein Bier trinken, ohne dabei zu reden. Schweigen muss nicht immer unangenehm sein.«
Reina trainiert auch heute noch zweimal in der Woche Ballett. »Ich tue das vor allem, um fit zu bleiben. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, auch mal wieder in einem Stück mitzutanzen. Ich habe mit vier Jahren angefangen zu tanzen, das ist so drin.« In Münster hat sie in Inszenierungen von Evita, West Side Story, La Cage aux Folles und Black Rider getanzt, aber auch mehrere eigene Stück aufgeführt.
»Wichtig ist auf jeden Fall, dass man etwas Salz an den Brei gibt, sonst schmeckt er nicht. Heute Morgen hab ich das Salz beim Kochen vergessen, nachher dann zu viel dran gegeben und anschließend versucht, das mit dänischer Marmelade auszugleichen.« Reina schaltet die Herdplatte aus und lässt den Brei noch einige Minuten im Topf ziehen. Zwischendurch rührt sie immer mal um. »So, jetzt ist der Brei so, wie ich ihn haben will.« Reina serviert ihn mit Zucker, Milch und Butter. Und natürlich Kaffee. Ein sehr besänftigendes, winterliches Frühstück. Comfort Food würde der Engländer sagen. Etwas, dass sättigt und die Seele wärmt.
Während wir essen, kümmert sich Reina um die nächste Variante, diesmal mit Früchten aus dem Eisschrank. »Die kann man ruhig gefroren in den Brei rühren, der ist heiß genug.« Mit den Früchten bekommt der Brei einen frühlingshaften Charakter. Dann bereitet sie noch einen Brei mit Schokolade zu und einen mit Joghurt und Früchten - für jede Jahreszeit einen. »Man kann mit dem Brei wirklich fast alles machen. Ein langweiliges Frühstück ist das nicht.«
Nach dem Essen machen wir eine Rauchpause auf Reinas Balkon. In der Fußgängerzone spielen einige Straßenmusiker. »Die stehen hier jeden Tag. Irgendwann kennt man alle Stücke auswendig. Ich habe schon überlegt, den Musikern Notenbücher zu schenken, damit sie ihr Repertoire erweitern können.« Direkt gegenüber von Reinas Wohnung hat vor einigen Monaten eine Filiale einer dieser gesichtslosen Coffee-Shop-Ketten eröffnet. Vorher war da ein recht guter Plattenladen. Das obere Geschoss steht leer. Reina schaut eine Weile in die ungenutzten Räume. »Das wäre eigentlich ideal, um da eine eigene Kanzlei zu eröffnen.«
Puuro
- 100 ml Haferkleie oder -flocken
- 200 ml Wasser
- Salz, Zucker
Nach Belieben
- Früchte, Marmelade, Butter, Milch, Sahne, Kakao, Joghurt etc.
- Wasser aufkochen lassen, die Flocken einrühren, etwas salzen. Hitze runterdrehen und kochen, bis der Brei die gewünschte Konsistenz hat. Ab und zu umrühren.
- Den Topf von der Herdplatte nehmen und zugedeckt 1-2 Minuten ziehen lassen.
- Etwas Zucker und die gewünschten weiteren Zutaten in den Brei rühren.