Swirl, Sip, Spit & Swagger

Wie man sich durch jede Weinprobe mogelt und beim nächsten Mal sogar wieder eingeladen wird

Schlimm genug, wenn im Restaurant die Sommelière mit großer Geste die Flasche öffnet, den Korken auf ein kleines Tellerchen legt, eine winzige Pfütze ins Glas gießt und fragt: »Wollen Sie probieren?« Aber das richtige Problem kommt ja erst auf, wenn man zum ersten Mal auf eine richtige Verkostung eingeladen wird, wo vor jedem Platz fünf oder sechs Gläser stehen und in der Mitte des Tisches ein Spucknapf. Da sitzt man dann und denkt »Oje, die werden gleich herausbekommen, dass ich hier nichts verloren habe!« Dicke Herren stehen herum und werfen Begriffe wie Linkes Ufer oder Double Decant in den Raum

Die Sache ist natürlich die: Selbst wenn man sich fehl am Platz fühlt, wird es vermutlich doch ziemlich gute Sachen zu trinken geben, daher lohnt es sich natürlich schon, sich durchzumogeln.

Viel braucht es dafür nicht. Eine Handvoll Begriffe und die richtige Technik beim Schwenken des Glases reichen im Prinzip schon aus. Und natürlich ein gewisses Maß an nobler Zurückhaltung beim Konsum. Zehn Regeln für den Bluffer von Welt:

Regel #1: Getrunken wird am Schluss, dafür umso mehr

Wer sich am Ende der Probe die Frage stellt, wann es denn endlich was zu trinken gibt, hat schon einiges richtig gemacht. Wir sind ja – offiziell jedenfalls – nicht zum Vergnügen hier.

Regel #2: Wirbeln aus dem Handgelenk

Statt zu trinken, nimmt man das Glas am Stiel oder, noch besser, man greift den Glasboden mit Daumen und Zeigefinger und lässt den Wein mit kreisenden Bewegungen aus dem Handgelenk darin herumwirbeln. Wer will, kann zwischendurch ruhig das Glas gegen das Licht halten und die Farbe des Weins bewundern.

Regel #3: Die Nase hineinstecken

Während noch der Wein wirbelt, steckt man die Nase ins Glas, atmet tief ein und schließt kurz die Augen, als würde man entweder nachdenken oder – genauso gut – gerade alles vergessen. Diesen Schritt unbedingt mehrfach wiederholen und dabei der Versuchung widerstehen, schon mal einen Schluck zu nehmen.

Regel #4: Immer noch nicht schlucken

In den Mund nimmt man den Wein erst so spät wie möglich, auf gar keinen Fall als Erster in der Runde! Anschließend unbedingt ausspucken. Es sind zwar bei jeder Probe Leute dabei, die den Wein runterschlucken, aber das ist etwas für Fortgeschrittene.

Regel #5: Klappe halten

In der Regel ist jemand vom Handel oder gar vom Weingut anwesend. Sie oder er wird jetzt gespannt in die Runde blicken und darauf warten, dass jemand etwas sagt. Da wir ja nicht wissen, was ein angemessener Kommentar wäre, überlassen wir das erste Wort einem anderen. So sehen wir, in welche Richtung die Diskussion strebt. Wird man direkt gefragt, steckt man die Nase noch einmal tief ins Glas, stellt dieses vorsichtig auf den Tisch, atmet deutlich aus und nickt wissend. Wird man erneut gefragt, wiederholt man die Aktion, schüttelt aber diesmal den Kopf.

Regel #6: Notizen machen

Ein großer Move, als solcher aber natürlich auch brandgefährlich, hier droht Entlarvung. Wer nicht von Haus aus eine Arztschrift hat, schreibt statt seiner Eindrücke einfach nur das auf, was ohnehin jeder sehen kann: Name des Weins, Jahrgang, Farbe (rot oder weiß) etc. Sehr gut macht es sich, zwischendurch den Stift wegzulegen und noch mal am Glas zu riechen.

Regel #7: Bewerten, aber richtig

Richtig heißt in diesem Fall auch wieder: heimlich. Also, eine Zahl ins Notizbuch schreiben, Kringel drum und ganz schnell wieder zuklappen. Was man wissen sollte: Die gängigen Bewertungssysteme gehen zwar von null bis zwanzig, bzw. von null bis hundert, tatsächlich vergeben werden aber nur die ganz hohen Nummern ab fünfzehn bzw. ab neunzig. Aber: so gut wie nie die Zwanzig oder die Hundert.
Falls Sie übrigens wirklich mal auf einer Probe versucht sind, hundert Punkte zu vergeben, haben Sie entweder wirklich überhaupt gar keine Ahnung oder unfassbares Glück!

Regel #8: Das extra Glas

In der Regel hat man bei so einer Verkostung mehrere Gläser vor sich stehen, in die nach und nach die unterschiedlichen Weine eingeschenkt werden. Meistens geht das in Runden, sogenannten Flights. Zwischen den Flights müssen die Gläser geleert werden (in den Spucknapf!) und möglicherweise mit etwas Wasser ausgespült. Wir zeigen, wie beeindruckt wir von dem bisher Dargebotenen sind, indem wir uns bei einem Wein weigern, ihn wegzuschütten und statt dessen um ein extra Glas bitten, weil wir ihn noch nachverkosten wollen.

Regel #9: Biodynamie gut finden

In Wirklichkeit hat natürlich kaum einer Ahnung davon, andererseits traut sich auch niemand, etwas gegen Biodynamie im Weinbau zu sagen. Daher sind wir mit einem diffusen Gutfinden auf der sicheren Seite. Man kann auch sicher sein, dass die bloße Erwähnung des Begriffs eine lebhafte Diskussion auslösen wird, weil der Winzer entweder nicht biodynamisch arbeitet und sich wortreich dafür entschuldigt oder leidenschaftlich proselytierender Adept ist, was ihn auch nicht gerade zum Schweigen verdammt.

Regel #10: Die Tamarindenregel

Die Tamarindenregel besagt eigentlich nur dies: Man kann sich zu allem äußern, tut es aber möglichst so, dass a) keiner versteht, was man meint, und b) sich aber keiner traut, das zuzugeben. Wenn man nach den Aromen im Wein gefragt wird, antwortet man dann eben Tamarinde. Probieren Sie es aus, unabhängig davon, um welchen Wein es geht: Sie werden sich wundern, wie viel Zustimmung Sie ernten, wenn Sie das Wort – mit genügend Selbstbewusstsein – in den Raum werfen.

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Aus Effilee #52, Frühjahr 2020
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