Schöner schlachten

Schlachten ist harte und blutige Arbeit. Dass sie dennoch tierfreundlich sein kann, beweist der Schlachthof Thönes bei Wachtendonk

Früher schlachtete man zu Beginn der kalten Wintermonate. Das selbst aufgezogene Schwein oder Rind wurde auf dem Hof mit Haut und Knochen zu Fleisch und Wurst verarbeitet, im Anschluss wurde mit Freunden und Verwandten gefeiert. Lange Zeit war das Schlachtfest ein Jahreshöhepunkt auf dem Land. Mit dem Wachstum der Städte entwickelten sich die Großschlachtereien, die mittlerweile das idyllische Schlachten auf dem Land fast ersetzt haben. Schon um die Jahrhundertwende wurden die ersten industriellen Schlachthöfe gebaut. Die Union Stock Yards in Chicago waren damals die größten Schlachthäuser der Welt. Sie sorgten dafür, dass die Stadt am Michigansee als hog butcher of the world bekannt wurde und erlangten durch Upton Sinclairs Roman The Jungle selber Ruhm als unmenschlicher Moloch. 100 Jahre später ist der Schlachthof in Chicago eine Touristenattraktion, die harte Fließbandarbeit und das Schlachten von fast 20 Millionen Tieren jährlich sind geblieben. Bei Thönes in Wachtendonk ist die Arbeit ebenfalls hart und blutig. Und trotzdem tierfreundlich.

Foto: Andrea Thode
Die Schweine schlafen, während im Raum nebenan geschlachtet wird

Es ist 6 Uhr früh, kalt und dunkel. Der große Parkplatz vor der Biofhofschlachterei Thönes in Wachtendonk, einer kleinen Gemeinde am Niederrhein, ist menschenleer. Die wenigen Autos, die vor dem Gebäude stehen, wirken verlassen. Nichts rührt sich. Bis Bruno Jöbkes die Tür der Schlachterei öffnet. Der Geschäftsführer, ein großer, schlanker Mann Anfang vierzig, sieht für diese Uhrzeit recht wach aus. Er ist das frühe Aufstehen gewohnt: Jöbkes möchte dabei sein, wenn morgens das Schlachten beginnt.

Grelles Licht scheint aus dem Schlachtraum in die dämmrige, fast dunkle Anlieferungshalle. Circa zwanzig Schweine liegen hier dicht nebeneinander in einer Box, sie schlafen und bewegen sich kaum. Ab und zu hört man lautes Quieken, wenn sich ein Tier zwischen zwei Artgenossen quetscht. Die Tiere wurden gestern Abend von den Landwirten angeliefert. Sie konnten zur Ruhe kommen, denn das Verladen, der Transport und die neue Umgebung bedeutet für die Tiere erst mal Angst und Stress. »Bekommen die Schweine mit, was passiert?«, frage ich Jöbkes. Seine dunklen Haare sind unter einem roten Netz versteckt, seine Hände stecken in den Taschen seines Kittels. »Schweine spüren nicht, was ihnen bevorsteht«, erklärt der studierte Geograf sachlich. »Sie haben keine Vorstellung von ihrem eigenen Tod. Sie kriegen nur Angst, wenn Hektik und Stress verbreitet wird.« Messungen der Tierärztlichen Hochschule Hannover haben gezeigt, dass in der Schlachterei Thönes der Herzschlag der Tiere ruhiger und das Blut mit weniger Adrenalin belastet ist als in herkömmlichen Betrieben, wo der Puls bis auf 240 Schläge pro Minute hochgeht. Geraten die Tiere in Panik, mindern Stresshormone die Fleischqualität.

Foto: Andrea Thode
Schweine haben keine Vorstellung von ihrem eigenen Tod. Sie bekommen nur Angst, wenn Stress und Hektik verbreitet wird

Eine andere Gruppe Schweine läuft in einer benachbarten Box munter um einen Mann Mitte vierzig herum. Er besprüht sie mit einem feinen Nieselregen, der sie beruhigt und auf die kommende Betäubung vorbereitet. Der Mann ist in Gedanken versunken, aber dennoch konzentriert. Jedes einzelne Tier führt er mit bedachten Bewegungen und einem Brett, das einem großen Schneidebrett in der Küche ähnelt, durch eine halbrunde Absperrung in eine Schleuse. Sie endet in der Betäubefalle und führt direkt ins Licht, Schweine würden nicht ins Dunkle laufen. »Stöcke und Elektrotreiber gibt es bei uns nicht. Es geht auch ohne Tierquälerei«, sagt der Mann und lächelt dabei ein wenig schüchtern durch seinen blonden Vollbart.

Foto: Andrea Thode
Die Schweine sind ganz ruhig, genau wie der Mann, der sie ins Jenseits befördert

Am Ende der Betäubefalle steht ein üppig gebauter Schlachter und wartet auf die Tiere. Ohne eine erkennbare Regung schaut er in die Falle, seine Gummischürze ist blutverschmiert, genau wie das spitze Messer, das er in der rechten Hand hält. An seinem Arm haben sich kleine Bahnen aus Blutspritzern gebildet. Hätte er die Ärmel seiner Jacke nicht über die Ellenbogen gekrempelt, würde sich der weiße Stoff mit Blut vollsaugen. Seine linke Hand ruht am Griff der Kopfzange, mit der er die Schweine durch einen Stromstoß betäubt. »In anderen Großschlachtereien werden die Tiere in Gruppen in einer Box mit Kohlendioxid erstickt«, erklärt Jöbkes.

Der kräftige Schlachter setzt routiniert die Zange am Kopf des Schweines an, ein Ruck geht durch das Tier, es sackt zusammen. Bruno Jöbkes zeigt auf zwei Metallklappen, die das bewusstlose Tier auffangen: »Die sind wichtig, damit es nicht zu Knochenbrüchen im Schinken kommt.« Dreißig Sekunden bleiben dem Schlachter, die Halsschlagader durchzuschneiden. Blut läuft aus dem Hals des Tieres, wie Wasser aus einem Gartenschlauch. Die Frage, wie lange er diese Arbeit schon mache, holt den Mann aus seinem Schweigen. »Seit zwanzig Jahren«, antwortet er kurz und grient. Dann schaut er wieder in die Falle, er wartet auf das nächste Schwein. Sein Kollege hängt die Tiere mit ihrem rechten Hinterbein an einen Metallhaken.

Sie baumeln mit dem Kopf nach unten durch die meterhohen Räume, die wie ein Irrgarten wirken. Aus ihren Rüsseln fallen Blutstropfen auf den Fliesenboden. Man muss aufpassen, dass man die Schweinekörper nicht ins Gesicht bekommt, während sie am Lauf band auf Augenhöhe zwischen den Verarbeitungsstationen transportiert werden. In der ersten Station werden sie vollautomatisch mit zwei rotierenden Bürsten vorgewaschen und durch den Brühtunnel gezogen, wo die Haut erwärmt und angefeuchtet wird, um danach die Borsten einfacher zu entfernen. Von diesem Maschinentyp gibt es in Deutschland nur vier Stück. Das Problem ist, an den richtigen Stellen die richtige Menge Dampf einzusetzen, sodass die Haut weich wird und nicht verbrennt. Was wie eine Waschstraße für Autos aussieht, ist ein klug durchdachtes System: Zwei Liter Wasser werden pro Schwein verbraucht – bei der Trogbrühung sind es einhundert. Außerdem kommt an jedes Tier sauberes Wasser, was dazu führt, dass das Fleisch länger haltbar ist.

Durch das runde Fenster der Kratzmaschine sieht man den Schweinekörper, wie er hin und her gerüttelt wird. Mit Metallsplittern aufgeraute Gummischläger entfernen die Borsten, es macht einen ohrenbetäubenden Lärm. Wie eine Lotteriekugel fällt das nackte Tier über eine Rutsche auf den Rand des Kratztisches. Ein junger Mann zieht das Schwein mit einem sehr kräftigen Ruck in die Mitte des Tisches und kratzt die restlichen Borsten ab. Sein Kollege ihm gegenüber entfernt die Ohrmuscheln und die Augen. Er trägt einen Schutzhandschuh aus vielen winzigen Metallringen, der ihn zusammen mit seinem schmalen Schnauzbart und seinem ernstem Blick fast wie einen Ritter aussehen lässt. Die beiden Männer reden wenig miteinander, ab und zu schauen sie zu uns herüber und grinsen sich an. Vielleicht weil eine Frau in einer Schlachterei ist? Sie müssen zügig arbeiten, das nächste Tier landet schon auf dem Kratztisch. Das Schwein wird an beiden Hinterläufen aufgehängt. Arbeiteten die beiden Männer nicht Hand in Hand, gäbe es einen Schweinestau auf der Rutsche.

Foto: Andrea Thode
So kommt das Schwein aus der Kratzmaschine - es sieht aus wie Marzipan

Glatt und faltenfrei hängt das Schwein am Laufband. So kann es später besser entweidet und in zwei Hälften durchtrennt werden. Die letzten Borsten werden automatisch abgeflämmt und in einer Peitschenwaschanlage abgeschlagen, bevor es in die Zerlegehalle geht. Hier ist pure Handarbeit gefragt. In der Zerlegehalle ist es laut, es riecht nach Stall und Schwein. Es gibt keine Fenster. Auf dem feuchten Fliesenboden sind dünne Blutspuren und Reste aus dem Darm zu sehen. Mitten in der Halle steht eine riesige Tribüne, von der aus gearbeitet wird.

Der Mann, der den Schweinekörper vom Schinken bis zur Brust aufschneidet, ist ein reines Muskelpaket. Auf seinem breiten Oberarm ist das Ende einer Tätowierung sichtbar, vielleicht ist es ein Tribal. Über seine Stirn rollen Schweißtropfen, die Unterarme glänzen von dem Dampf, der aus dem geöffneten Bauch des Tieres emporsteigt. Er löst den Darm heraus, der später über ein Fließband die Halle in einen Nebenraum verlässt. Dort wird er entsorgt.

Foto: Andrea Thode
Wer hier arbeitet, braucht keine Muckibude

Neben ihm steht sein Kollege Janssen, der in zweiter Generation in der Schlachterei arbeitet. Schon sein Vater war hier beschäftigt. Janssen ist Anfang vierzig, mit sechzehn fing er an, als Schlachter zu arbeiten. Er löst das Geschlinge aus Zunge, Herz und Leber heraus und zieht die Flomen, das Bauchfett, vor. Das schmale Gesicht ist wie zu einer Faust geballt, die Lippen sind fest aufeinandergedrückt, die Augen zugekniffen, die Adern an den Unterarmen aufgepumpt. Janssen sprüht immer wieder seine Schürze und seine Unterarme mit Wasser ab und sterilisiert seine Messer in einem Behälter hinter ihm, aus dem er für jedes Schwein ein neues nimmt. »Es ist ein anstrengender Job, aber ich hab’s mir ausgesucht«, sagt er später pragmatisch.

Foto: Andrea Thode
Ein Seilzug hält die 50 Kilo schwere Säge fest. Circa 200 Schweine zersägt der Schlachter damit am Tag

Ihm schräg gegenüber steht ein Mann auf einer Plattform, der die Schweine in zwei Hälften sägt. Die Wirbelsäule muss exakt in der Mitte durchtrennt werden, das ist keine leichte Aufgabe: Die Fleischsäge in seinen Händen ist circa 1,50 Meter lang und wiegt um die 50 Kilogramm. Sie hängt an einem Seilzug, der das Gewicht der Säge reduziert. Das Förderband bewegt sich während des Sägens stetig weiter. »In anderen Schlachtereien läuft das Förderband so schnell, dass der Fleischer beim Sägen mitlaufen muss«, sagt Jöbkes und schmunzelt, als wäre es ein Witz. Um das Schwein durchzusägen, macht der Mann einen Ausfallschritt nach vorn, holt wie in Zeitlupe kräftig Schwung, setzt die Säge zwischen den Beinen des Tieres an und teilt es in zwei Hälften. Dabei beugt er sich weit nach vorn, dass man denkt, die Säge reißt ihn von der Plattform. Sein Gesicht ist im Vergleich zu seinem Kollegen Janssen entspannt, er verzieht keine Miene. Als er zum Schluss den Rüssel des Schweines durchtrennt, sieht man, dass aus der Säge feine Wasserstrahlen sprühen. Das Wasser reinigt und kühlt das Sägeblatt.

Foto: Andrea Thode
Eine Tierärztin und drei Fleischbeschauer prüfen, ob das Fleisch als Lebensmittel tauglich ist

Zwischen den Schlachtern steht eine zierliche Frau, die konzentriert auf die Schweinehälften blickt. Die junge Tierärztin unterscheidet sich kaum von all den Männern, auch sie trägt ein weißes Baumwollhemd und -hose, eine Gummischürze und -stiefel, das Haarnetz liegt auf ihrem Hinterkopf und bedeckt ihren Zopf. Sie prüft zusammen mit drei Fleischbeschauern, ob das Fleisch als Lebensmittel tauglich ist, bevor Nieren, Zwerchfell, Rückenmark und Gehirn entfernt werden. Pro Tier hat sie dreißig Sekunden. »Das ist viel Zeit. Es gibt Betriebe, bei denen die Tierärzte nur zwei Sekunden haben«, sagt Jöbkes. Die vom Kreis Kleve bestellten Veterinäre bekommen einen festen Stundenlohn, genau wie die angestellten Mitarbeiter, die teilweise seit zwanzig Jahren oder in zweiter Generation hier arbeiten. Alle bekommen ein Festgehalt. Niemand wird danach bezahlt, wie viele Schweine, Rinder oder Hühner geschlachtet werden, wie es anderenorts üblich ist.

Die Schweinehälften verlassen die Zerlegehalle und kommen ins Kühlhaus. Das, in dem wir stehen, ist so groß wie ein Schwimmbecken für olympische Wettbewerbe. Auf circa zwölf Bahnen hängen Schweinehälften aus den vorherigen Schlachtungen. Es sind um die drei Grad, die Luft ist von einem feinen Nebel durchzogen. Würde Bruno Jöbkes nicht auf einen Mitarbeiter zeigen, der die Schweinehälften aus dem Schlacht- ins Kühlhaus schiebt und auf die Bahnen verteilt, hätte ich ihn übersehen. »Das Fleisch wird hier auf eine Kerntemperatur von maximal sieben Grad gekühlt und für die Kunden zur Auslieferung vorsortiert«, erklärt er. Um die Bestellungen der Kunden zu unterscheiden, kennzeichnen rote Schilder die Tiere aus Biohaltung: »Bio Anfang«, »Bio Ende«.

Foto: Andrea Thode
Im Kühlhaus werden die Schweinehälften schon einmal für die Kunden vorsortiert

Einige Schweine haben noch ihre Ringelschwänze, anderen fehlt er. Jöbkes erklärt: »Wir schlachten auch in Lohn für konventionelle Kunden und Metzger. Das erkennt man an den Tieren mit den kupierten Schwänzen.« In der konventionellen Haltung ist das Kupieren der Schwänze Standard. Die Gefahr, dass die Schweine sich gegenseitig anknabbern ist groß, da sie zu wenig Platz und kein Stroh haben, mit dem sie sich beschäftigen und auf dem sie kauen können. Die inzwischen gesetzlich vorgeschriebenen Beschäftigungsmöglichkeiten wie Eisenketten, die in den Stall gehängt, oder Bälle, die reingeworfen werden, gleichen den Aktionsdrang der Tiere nicht wirklich aus. »Wenn dann ein Schwanz angebissen wird, ist die Gefahr der Entzündung sehr hoch, deswegen werden den Ferkeln die Schwänze kupiert. Das ist in der Biohaltung verboten«, führt Jöbkes weiter aus.

Thönes verarbeitet in der Woche zwischen 40 und 85 Rinder, 20 Lämmer sowie 5000 Hühner, Gänse, Puten, Enten und Poularden. Hinzu kommen zwischen 550 und 650 Schweine. Zum Vergleich: Der größte Schlachtbetrieb Deutschlands, Tönnies in Rheda Wiedenbrück in Nordrhein-Westfalen, schlachtet 110 000 Schweine in der Woche. Wie groß die Kühlhäuser für 220 000 Schweinehälften sein müssen, ist schwer vorstellbar.

Foto: Andrea Thode
"Fleisch ist wie ein Elefant, es vergisst nichts" - Sorgfalt und Hygiene sind daher oberstes Gebot

Das Kühlhaus liegt jetzt hinter uns, die Tiere sehen immer mehr nach dem aus, was man aus Fleischereien und an Selbstbedienungstheken im Supermarkt kennt: Schweinenacken, Schweinebauch, Lendenkoteletts, Schweineschulter … Kaum zu sagen, von welchem Tier und aus welcher Schlachterei das Fleisch kommt.

Damit die Verbraucher sich ein Bild von der Fleischgewinnung machen können, hat Thönes einen Film produziert, der das Leben der Tiere auf dem Bauernhof zeigt und wie sie zu Fleisch und Wurst verarbeitet werden – auch die Schlachtung wurde gefilmt. Dieser Teil wurde bewusst anders gestaltet, statt eines Bildes liefen auf dem Bildschirm im Splitscreen viele kleine Einzelfilme. »Es gab Kunden, denen selbst diese Aufbereitung zu krass war, auch wenn man schon mit der Nase direkt davor stehen musste, um Details zu sehen«, erklärt Bruno Jöbkes. Transparenz und Aufklärung sind ihm wichtig. Für Kunden ist die Schlachterei teilweise zugänglich, von einer Plattform können sie in die Zerlegehalle schauen. Über der Plattform hängt eine schmale Kamera, die früher als Webcam diente. 1998, als sie montiert wurde, war das etwas Neues. Die Kamera ist jetzt abgeschaltet.

Je weiter wir uns von der Zerlegehalle entfernen, desto leiser und ruhiger wird es, desto weniger riecht es nach Ammoniak, Blut und Innereien. Es ist 8.30 Uhr und mittlerweile hell draußen. Bruno Jöbkes hat im Konferenzraum der Thönes-Schlachterei ein Frühstück vorbereitet. Er sitzt mir aufrecht gegenüber und zeigt auf die verschiedenen Wurstsorten, die auf einem Riesenteller liegen: Leberwurst, Kalbfleischleberwurst, Bierschinken mit Pistazien, Rinder- und Pfeffersalami, luftgetrocknete Salami, gekochter Schinken, Schweinerückenbraten im Rosmarinmantel, Corned Beef… Alles aus eigener Produktion. Neben der Auswahl steht ein Korb mit diversen Brotsorten und Brötchen, es gibt Kaffee oder Espresso, Wasser und Tee. Wir bedienen uns, während Jöbkes von der Schlachterei erzählt.

Foto: Andrea Thode
Thönes verarbeitet das nicht verkaufe Fleisch selbst zu Wurst

Seit 1972 gibt es die Großschlachterei Thönes. »Mein Schwiegervater, Egidius Thönes, war damals Inhaber der Schlachterei. Er kam aus einer Viehhandelsfamilie und hat 1972 mitten in Wachtendonk einen Schlachthof übernommen. Acht Jahre später ist er ins Gewerbegebiet gewechselt. Für ihn war es immer wichtig zu wissen, wer der Landwirt und der Metzger ist und wie die arbeiten.« Außerdem wollte der gelernte Bankkaufmann eine tierfreundliche Schlachterei. Die Familie stellte fest, dass das Fleisch von Schweinen, die kein Tierfuttermehl zu fressen bekamen und in einem Stall mit Licht, viel Platz und auf Stroh gehalten wurden, besser schmeckte, als das von industriell gehaltenen Tieren. Die lebten in Ställen ohne Tageslicht, der Tagesablauf wurde von Timern gesteuerten Lichtanlagen geregelt und es gab kein Stroh.

Er gründete den Thönes Natur-Verbund. Seit mittlerweile 22 Jahren gibt es das Bündnis aus der Thönes-Schlachterei, den Landwirten und den angeschlossenen Metzgereien. Das Konzept, das hinter dem Netzwerk steht, ist einfach und dennoch einzigartig in Deutschland: Die Bauern verpflichten sich, ihre Tiere ausschließlich an die Thönes-Schlachterei zu liefern, die wiederum garantiert, das Fleisch zu fairen Preisen abzunehmen. Das bedeutet, dass die Landwirte zu den sich wöchentlich ändernden Schweinenotierungen, den offiziellen Fleischpreisen, einen fixen Aufschlag erhalten. Für Bioware wird ein fester Preis gezahlt, der sich lediglich nach den Kosten für das Futter ändert. Die Landwirte ziehen ihr Vieh nach strengen Regeln auf: Sie müssen die Herkunft ihrer Tiere anhand eines Herdbuches nachweisen, sie dürfen kein Tierfuttermehl füttern oder Antibiotika geben, sie müssen ihre Tiere auf Stroh halten und der Transport zum Schlachthof darf nicht länger als drei Stunden dauern. Sämtliche Landwirte sind in einem Bauernbuch gelistet, das im Internet und in den Metzgereien zur Verfügung steht.

Die Fachmetzgereien beziehen ihr Fleisch von Thönes. Für sie gelten Sonderkonditionen, wenn sie ganze Tiere kaufen. Das wurde eingeführt, weil viele Metzger nur bestimmte Teile verarbeiten. Vor Feiertagen zum Beispiel steigt die Nachfrage an Filetstücken, von denen es pro Tier bekanntlich nur zwei gibt. Fleisch, das nicht an die Metzger verkauft wird, geht in die eigene Wurstküche, die sich im selben Ort in einem unscheinbaren Rotklinkerhaus in einer Einfamilienhaussiedlung befindet. Produziert werden vor allem Rohwurst und Schinken, ohne Hilfsstoffe wie etwa Emulgatoren, die Wasser und Öl miteinander verbinden. Die Produkte kommen auch ohne Nitritpökelsalz aus – damit die Wurst nicht grau anläuft, hat Thönes ein Ersatzprodukt aus Porree und anderem stark nitrithaltigen Gemüse entwickelt.

Die Bioprodukte, die mehr als die Hälfte des Umsatzes ausmachen, werden in Natur-Metzgereien in Köln, Essen, Dortmund, Bonn und Düsseldorf verkauft. Thönes arbeitet nur mit Metzgern, die ausschließlich Thönes-Fleisch verkaufen. Im Gegenzug unterstützt und berät das Unternehmen ihre Partner in allen Fragen rund um die Verarbeitung und den Verkauf. Bruno Jöbkes sagt: »Das ganze System kann nur funktionieren, wenn wir fair und offen miteinander umgehen und kommunizieren.« Und das geht. Im Oktober 2007 eröffnete Thönes einen zweiten Bioschlachthof in Bollewick an der Müritz in Mecklenburg-Vorpommern, der Schlachtbetrieb beliefert den Berliner und den Hamburger Raum mit Biofleisch. Bollewick erwirtschaftet einen Jahresumsatz von 1,5 Millionen Euro, im Stammbetrieb in Wachtendonk sind es 13,5 Millionen im Jahr.

Foto: Andrea Thode
Bruno Jöbkes

Im Gespräch mit Bruno Jöbkes wird immer wieder deutlich, wie ernsthaft Thönes mit den Landwirten und Metzgern zusammenarbeitet und wie man Problemen auf den Grund geht. Auch Bauernregeln können helfen. »Alle sieben Pfingsten schmeckt das Fleisch nicht gut, und alle sieben Pfingsten schmeckt das Schwein genial«, erinnert sich Jöbkes an einen Spruch von früher.

Thomas Thönes nimmt sich ebenfalls Zeit für uns. Der Schwager von Bruno Jöbkes hält einen weiteren Teller voller Käse in der Hand. Das werden wir heute nicht alles essen können. Thomas Thönes ist ein großer, schlanker, fast hagerer Mann Anfang vierzig. Er wirkt durch seinen aufrechten Gang und seine förmliche Art zu sprechen ein wenig majestätisch: »Meine Mutter ist Vegetarierin geworden, weil das Fleisch in der Pfanne schrumpfte, farb- und geschmacklos war«, erzählt er und grinst. Der studierte Diplomökonom isst nichts von der Wurst und dem Brot.

Keine zehn Autominuten ist der Hof der Familie Buschhaus von der Schlachterei entfernt. Bereits ein Schild an der Einfahrt zeigt, dass Buschhaus mit dem Thönes Natur-Verbund zusammenarbeitet. Circa 1000 Schweine leben hier. Günter Buschhaus, der mitten am Tag kegeln ist, hat den Hof von seinem Vater Heinz übernommen. Also zeigen uns Heinz Buschhaus, seine Schwiegertochter und seine Enkelin den Familienbetrieb.

Foto: Andrea Thode
Bei so vielen Tieren, ist eine computergesteuerte Fütterungsanlage sinnvoll

Der drahtige Landwirt ist Ende sechzig und arbeitet nicht mehr auf dem Hof. Seine faltigen Hände und die gebeugte Körperhaltung lassen erkennen, dass er viel gearbeitet hat. Er ist sichtlich stolz auf das, was er aufgebaut hat. Als er uns die einzelnen Ställe zeigt, platziert er sich immer so, dass man ihn gut sehen und hören kann. Seine Schwiegertochter kümmert sich mit Begeisterung um die Aufzucht der Ferkel. Sie weicht mir nicht von der Seite, erzählt von ihrer Arbeit und dem Wesen der Schweine. Sie ist eine sportliche Frau Ende dreißig, der man ansieht, dass sie viel draußen arbeitet, ihre Haut ist frisch und braun gebrannt. Ihre Tochter ist ein sehr lebendiges Mädchen, sie möchte uns am liebsten jedes einzelne Ferkel zeigen, das an der Brust der Sauen eingeschlafen ist.

Die Mehrheit der Verbundlandwirte führt Biohöfe, doch Buschhaus arbeitet nicht nach den Bestimmungen der Bioverbände. Bruno Jöbkes, mit dem ich den Hof besichtige, erklärt: »Wir möchten den Bauern Alternativen bieten. Es muss nicht jeder einen Biohof führen oder einen Biomaststall. Das muss passen.« Bio ist nicht alles, Thönes-Bauern engagieren sich auf viele Arten: Sie pflegen mit ihren Weiden Kulturlandschaften, bilden aus oder stellen Solar- und Windkraftanlagen auf.

Buschhaus überlegt zum Beispiel ständig, wie er seinen Hof weiterentwickeln kann. Etwa durch neue Stallungen, die tiergerecht sind und trotzdem nicht die Arbeitskraft strapazieren. Mit der Schubkarre kommt man bei 1000 Tieren nicht weit. Handarbeit, wie sie auf kleinen Höfen immer noch üblich ist, ist für Betriebe ab einer bestimmten Größe nicht machbar. Um zum Beispiel Tiere auf Stroh zu halten, wird ein fester Untergrund benötigt, der täglich gereinigt werden muss. Will man sich das ersparen, braucht man Spaltenböden, durch die die Fäkalien auf den tatsächlichen Stallboden fallen. Wenn es keine automatisierte Abfuhr der Fäkalien gibt, stehen die Schweine über ihrem eigenen Dung und atmen große Mengen Ammoniak ein. Das führt dazu, dass sich die Lungen der Tiere verändern, viele bekommen eine Lungenentzündung.

Als es hieß, dass Buschhaus seine Schweine auf Spaltenböden hält, war Thönes kritisch. Doch die Spalten sind schmal, sodass die Tiere nicht in ihnen stecken bleiben, und die untere Ebene wird mit einem Schieber zweimal täglich automatisch gereinigt.

Foto: Andrea Thode
Ein Beispiel für saubere Schweinehaltung

Die Schweine leben in hellen und sauberen Ställen. Sie haben einen festen Liegebereich mit Stroh, mit dem die Ferkel spielen können. Ich kann mir vorstellen, dass ihnen schnell langweilig wird, denn die kleinen Schweine wollen offensichtlich was erleben. Als ich vor einer großen Gruppe Ferkel sitze, reihen sie sich wie ein Chor vor mir auf und schauen neugierig herüber. Je länger ich dort sitze, desto näher kommen sie. Die kleinste Bewegung, und sie laufen zurück in ihren überdachten und geschützten Liegebereich. Keine Minute später reihen sie sich wieder auf. Das Spiel könnte ewig so weitergehen.

Foto: Andrea Thode
Schweine sind sehr neugierig

Thönes Natur-Verbund
Großschlachterei Thönes e.k.
Loeweg 15
47669 Wachtendonk
Telefon: +49 2836/914 00

Text: Susi Wilkat
Fotos: Andrea Thode

aus Effilee #14, Januar/Februar 2010

18 Kommentare

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  1. Aus dem ländlichen Raum stammend kenne ich persönlich keine andere Form der Schlachtung, als die eines ruhigen, gelassenen aber konzentrierten Vorgangs. Nun sind im Laufe der Jahre durch EU-Verordnungen die Zahl der selbstschlatenden Betriebe zurückgegangen, sodass diese Weise der Schlachtung noch in der Hausschlachtung nach wie vor preäsent ist. Interessanterweise nehmen die Hausschlatungen wieder zu, denn es gibt wieder mehr Haushalte die die alten Stallungen wieder dem ursprünglichen Zweck entsprechend nutzen, so diese noch erhalten sind und nicht Umbaumaßnahen zum „Opfer“ gefallen sind. Bei der Hausschlachtung gab es das Phänomen, das die Tiere ob nun Kleinvieh (abgesehen von Geflügel) oder eben Sauen schon „merkten“ das ein besonderer Tag angebrochen war am Tag der Schlachtung. Die Tiere haben ein feines Gespür für den Menschen der anders war als der sonst tagein tagaus zum füttern und misten kam eben im Bewustsein dessen was folgen würde, in Achtung und Respekt vor dem Tier.

  2. Diese Firma leistet echte Pioneer Arbeit! Wenn jeder Schlachthof auf dieser Welt so perfekt und korrekt arbeiten würde, wie es die Firma Thönes macht, dann hätten wir viele probleme weniger. Diese schonende Schlachtung ist genial, – mag sein das der Konsument dafür mehr bezahlen muss, kann aber dafür mit reinem Gewissen das Fleisch auch essen. Auch Tierschützer und Tierfreunde können nicht mehr verlangen. Fleisch essen liegt in der Natur des Menschen, ganz klar – aber wir sind intelligent genug – und haben die Mittel das „Töten und verarbeiten“ der Tiere so angenehm und schonend zu gestalten wie möglich. Und genau da ist Thönes einzigartig!

    Diese Firma sollte eine gehörige Portion Respekt erhalten, > das es so etwas gibt!

  3. Also, man muss mal ganz klar sagen das die gezeigte Firma die absolut „schonendste und Tiergerechteste Schlachtung “ durchführt die es gibt. Sicherlich nie schön aber die meisten Essen ja auch Fleisch. Deswegen bin ich als Tierfreund sehr froh (!) das es solche Unternehmen gibt, die für das Tier arbeiten und alles ethisch korrekt anpacken. Es sollte viel mehr davon geben, dann kann man auch wieder mit ruhigen Gewissen Fleisch essen!

    Also weiter So! Das ist der erste richtige Schritt in die Richtung Fleischkonsum!

  4. Als Vegetarier freue ich mich über solche Betriebe, auch wenn Töten grundsätzlich nicht schön ist. Aber das ist ein wichtiger Schritt in bewussteren Konsum, den sich nachdenkliche Verbraucher wünschen. Weg vom „schnell, schnell-hauptsache billig“ bei dem Qualität und Tierbefinden zu kurz kommen. Würde ich Fleisch essen, nur solches.

  5. „Ich pfeif auf die schoenste Leich, wenn ich den Toten machen muss“, hat mein Grossvater oft gesagt. So wirds dem Schwein halt auch gehn, wenns die Hauptperson beim Schlachten ist. Wenns auch noch so schoen fuer die Gaeste ist.

    C’est la vie
    Sellerie

Aus Effilee #14, Jan/Feb 2011
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