Murazzano DOP aus Piemont, Italien

Der Murazzano stammt aus der Provinz Cuneo, südlich von Turin zum Mittelmeer hin. Eine kleine Scheibe, gut zehn Zentimeter im Durchmesser, knapp vier Zentimeter hoch und gut dreihundert Gramm schwer, der Teig weich, aber nicht fließend, in hellem Elfenbein, mit wenigen, winzigen Löchern, die Rinde ein wenig trockener, runzlig und einen Stich dunkler – das beschreibt ihn optisch.

Eine Legende aus dem Piemont besagt, dass selbst der Teufel dem berühmten Murazzano nicht habe widerstehen können und einem jungen Schäfer in der Alta Langhe einen der kleinen Käse stahl. Doch der gute Mann war listig und bekam seinen Käse zurück – allerdings fehlte ein ordentliches Stück aus dem runden Laib.

Ohne gleich mit dem Teufel paktieren zu wollen: Ich kann das nachvollziehen. Ich bin dem Murazzano erst kürzlich begegnet, in Barolo, während der Hitzewelle dieses Sommers. Es war ein gewisser Vorgeschmack auf die Hölle, auch wenn sich die Klimaanlage redlich bemühte. Bei gefühlten vierzig Grad lokalen Erzeugern zwei Tage lang wirklich zuzuhören und mit voller Aufmerksamkeit ihre Käse zu verkosten war schon eine besondere Herausforderung. Und trotzdem brillierte der kleine Schafskäse!

Es ist eine oft junge Generation von Bauern, Hirten und Käsern, die sich ganz bewusst für dieses Leben entscheiden, ähnlich wie viele junge Winzer.

Nahezu alle piemontesischen Käseklassiker sind in den Bergen entstanden, als Eigenversorgung für den Winter und Handelsware für die Märkte in den Städten: vom naturblaubröckeligen Castelmagno über den hochfeinen Robiola di Roccaverano aus Ziegenmilch bis hin zu meinem neuen Freund. Schriftlich ist das Käsemachen im Piemont seit dem 13. Jahrhundert belegt; 1270 ließ sich der Markgraf von Saluzzo – seine Familie herrschte bis Mitte des 16. Jahrhunderts über dieses Gebiet – die Weiderechte in Käse entgelten. Aber lange zuvor konservierten zweifellos bereits Ligurer und Kelten die Milch ihrer Schafe in Form von Tume, der italienischen Variante der französischen Tomme. Diese relativ kleinen runden Weichkäse gibt es in lokalen Variationen überall in den Alpen. Im Piemont halten heute zweitausend Höfe eigene Tiere, von denen beeindruckende sechshundert, also beinahe ein Drittel, als Hofkäser ihre Milch selbst verarbeiten. Viele von ihnen ziehen im Sommer wieder hinauf in die Berge, um höher gelegene Weiden zu nutzen, so wie es traditionell überall in solchen Landschaften Brauch war. Es ist eine oft junge Generation von Bauern, Hirten und Käsern, die sich ganz bewusst für dieses Leben entscheiden, ähnlich wie viele junge Winzer.

Der Murazzano stammt aus der Provinz Cuneo, südlich von Turin zum Mittelmeer hin. Eine kleine Scheibe, gut zehn Zentimeter im Durchmesser, knapp vier Zentimeter hoch und gut dreihundert Gramm schwer, der Teig weich, aber nicht fließend, in hellem Elfenbein, mit wenigen, winzigen Löchern, die Rinde ein wenig trockener, runzlig und einen Stich dunkler – das beschreibt ihn optisch.

Geschmacklich tritt er ebenso gestanden, verlässlich und selbstbewusst auf wie jener Schäfer in der Legende, der den Teufel in einen Brunnen stieß, um den Käse zurückzubekommen. Der Murazzano erzählt vom Wissen um die Vergangenheit, dem Schon immer; zeugt vom Vertrauen in die Landschaft, von der Zuversicht, mithilfe der Tiere in ihr überleben zu können. Unter der milchigen Süße, die an frische Haselnüsse erinnern kann und im Käse cremig konzentriert ist, aber von einer ruhigen Säure getragen wird und nie klebrig am Gaumen bleibt, liegt eine Würze, die wir beim Wein als mineralisch bezeichnen würden und sich durch die Bergweiden und die geringen Mengen an Milch erklärt, die die Tiere geben.

In Barolo war ich auf Einladung des AgriRock-Festivals Collisioni, das seit zehn Jahren regionale Weinerzeuger mit internationalen Größen aus Literatur, Pop und Rock zusammenbringt und Tausende von Besuchern anzieht. Seit vorigem Jahr gibt es außerdem das AgriLab, um auch den Lebensmittelproduzenten eine Plattform zu bieten. Denn wirtschaftlich steckt der Teufel besonders für kleinere Betriebe wie die Cascina Raflazz immer im Detail – wer guten Käse macht, ist nicht unbedingt auch in der Lage, allen bürokratischen und vermarktungstechnischen Anforderungen der Moderne gerecht zu werden. Im AgriLab können sie sich vernetzen und Wissen austauschen.

Mit der Schafsmilch wurde Käse gemacht, die Ziegenmilch gab’s für die Kinder, und das Rind diente als Zugvieh.

Die Cascina Raflazz, der Hof der Familie Adami, liegt etwas südöstlich von Murazzano, dem Achthundert-Einwohner-Dorf, das dem Käse seinen Namen leiht. Von dort bietet sich ein weiter Blick auf das flimmernde Hinterland der Langhe, berühmt für Wein und weiße Trüffel, und in dieser Kulisse weiden auf fast hundert Hektar die Schafe der Adamis.
Die Adamis haben dort schon immer mit Tieren gelebt, es ist Lebensform und Berufung statt Beruf. Vor rund hundert Jahren hatten sie wie viele Familien in dieser Gegend um die zwanzig Schafe, ein paar Ziegen und ein oder zwei Ochsen. Mit der Schafsmilch wurde Käse gemacht, die Ziegenmilch gab’s für die Kinder, und das Rind diente als Zugvieh. Die Schafe waren eine gut angepasste, braun-weiß gefleckte, hörnertragende Landrasse, die Delle Langhe, die heute vom Aussterben bedroht ist.

Anfang der 1990er entschied die Familie, sich ganz auf Schafe zu konzentrieren. Sie hält heute rund dreihundert Tiere und verarbeitet deren grundsätzlich unbehandelte, biozertifizierte Milch von Mai bis Oktober einmal täglich zu Käse.

Laut Statuten darf der Murazzano heute bis zu vierzig Prozent Kuhmilch enthalten, aber Claudio Adami versicherte beinahe entrüstet auf meine Nachfrage, dass sie selbstverständlich ausschließlich die (konzentrierte, süßere) Schafsmilch verarbeiteten. Als ich endlich verkostete, war mir klar, wie überflüssig meine Frage war: Ihr Murazzano braucht weder Teufel noch Hitze zu scheuen.

Meine Meinung …

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Aus Effilee #46, Herbst 2018
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