Marzipan aus Bohnen, Crêpes aus Linsen, Fritten aus Kichererbsen

Aus Hülsenfrüchten kann man viel mehr herstellen als Suppe und Eintopf. Vijay Sapre hat drei spannende Rezepte getestet.

Hier wird gekocht

Hülsenfrüchte sind nicht nur eines der wichtigsten Nahrungsmittel, sie sind auch besonders vielseitig. Im karnivoren Mitteleuropa galten die Bohnen und ihre Verwandten eher als Armeleuteessen, aber auch heute fällt den meisten nicht mehr dazu ein als mediterranes Bohnengemüse und Linseneintopf. Ganz anders in Asien, wo sie ihren Platz ebenso im Brot finden wie im Dessert. Oder in der Provençe, wo man Panisse serviert, die aussehen wie Pommes frites.

Hülsenfrüchte sind die zweitwichtigste Pflanzengruppe für die menschliche Ernährung. Sie enthalten zwei- bis dreimal so viel Eiweiß wie die meisten Getreidearten und spielen deshalb vor allem da, wo wenig bis gar kein Fleisch gegessen wird, eine besonders wichtige Rolle. Die Vielfalt der Arten und Sorten ist unüberschaubar, die Familie der Leguminosen, wie man sie auch nennt, wird an Artenreichtum nur von den Orchideen und den Asternartigen (zu denen Gänseblümchen und Sonnenblume gehören) übertroffen.

Bohnen zu essen ist eine Kulturleistung. Denn Bohnen (wie auch Erbsen und Linsen …) sind Samenkörner, und die sind von der Pflanze nicht als Nahrung gedacht – jedenfalls nicht für andere Lebewesen. Die Pflanzen stecken da in einem Dilemma: Einerseits wollen sie ihrem Nachwuchs, dem Bohnenkeim, alles mitgeben, was er braucht, um Wurzeln in die Erde und Blätter an die Sonne zu treiben, andererseits wollen sie verhindern, dass er einfach aufgegessen wird. Die Hülsenfrüchte lösen dieses Problem, indem sie verschiedene Giftstoffe erzeugen, die ihren Nachwuchs ungenießbar machen sollen.

Erst als das Kochen erfunden war, konnte man Bohnen gefahrlos essen, denn die Hitze zerstört die Giftstoffe. Nachdem unsere Vorfahren das gelernt hatten, hielten sie allerdings einen Trumpf in der Hand, der die Ausbreitung des Homo sapiens erst möglich machte: Hülsenfrüchte sind genügsam im Anbau und lassen sich im getrockneten Zustand über mehrere Jahre lagern. Außerdem sind Erbsen, Bohnen und Linsen ausgesprochen gesund und nährstoffreich. Sie enthalten Eiweiß, Fett, Stärke, Eisen, verschiedene Vitamine und Spurenelemente. Und sie ergänzen sich hervorragend mit den Inhaltsstoffen von Getreide, gemeinsam können sie tierisches Eiweiß in der menschlichen Ernährung fast vollständig ersetzen.

Hülsenfrüchte leben symbiotisch mit einer Bakterienart, den Rhizobien. Mit deren Hilfe können sie den Stickstoff, den sie zum Wachsen brauchen, direkt aus der Luft beziehen, daher können sie auf sehr kargen Böden gedeihen. Sie wurden in der vorindustriellen Landwirtschaft gern als Zwischenfrucht angebaut, da sie die Fruchtbarkeit des Bodens für andere Pflanzen erhöhen.

Die Samen bestehen aus der embryonalen Pflanze, die in ihren Keimblättern (Kotyledonen) einen Nahrungsvorrat anlegt, und einer mehr oder weniger dicken, schützenden Hülle, die im Wesentlichen aus unverdaulichen Ballaststoffen besteht. Hülsenfrüchte enthalten relativ viel sogenannte Dreifachzucker, das sind Kohlenhydrate, die wir nicht verdauen können. Die wandern unverdaut in den Dickdarm, wo wiederum Bakterien leben, die wie geschaffen dafür sind, sich davon zu ernähren. Dabei produzieren sie Gas, wie die Hefe im Champagner. Das erzeugt einerseits ein lästiges Druckgefühl und neigt andererseits dazu, geräuschvoll zu entweichen. Das ist von Sorte zu Sorte unterschiedlich und durchaus auch von einer persönlichen Prädisposition abhängig.

Man kann den Effekt durch gründliches Wässern abmildern, wobei das Einweichwasser weggeschüttet wird, und durch langes Kochen. In beiden Fällen geht das allerdings auch auf Kosten wichtiger Vitamine und Nährstoffe. Eher trügerisch ist die Wirkung von Gewürzen, die zugegeben werden, zum Beispiel Kümmel. Die sorgen lediglich dafür, den Darm zu beruhigen. Es fühlt sich dann nicht so lästig an, die Gasentwicklung ist aber leider dieselbe.

Die Kichererbsen wurden über nacht eingeweicht
Die Kichererbsen wurden über nacht eingeweicht

Haltbar werden Hülsenfrüchte durch Trocknung. Deshalb müssen sie, außer wenn sie ganz frisch zubereitet werden, das Wasser, das ihnen entzogen wurde, wieder aufnehmen. In den meisten Fällen ist die Zeit, die sie brauchen, um das Wasser aufzunehmen, wesentlich länger, als die Zeit, die sie brauchen, um gar zu werden. Daher empfiehlt es sich fast immer, sie vorher, am besten über Nacht, einzuweichen. Man kann den Einweichprozess etwas beschleunigen, indem man die Bohnen vorher einmal kurz aufkocht.

Viele Autoren schreiben, man solle zum Kochen auf keinen Fall Salzwasser nehmen, weil sonst die Samen hart blieben. Das konnte ich in mehreren Versuchen nicht bestätigen, eher im Gegenteil. Was wirklich hilft, ist, eine Prise Natron (Soda) zuzugeben, vor allem bei Rezepten, bei denen hinterher ein Püree hergestellt werden soll, zum Beispiel orientalisches Hummus, eine Paste aus Kichererbsen und Sesammus. Man muss das Natron allerdings sehr vorsichtig dosieren, weil sonst ein seifiger Geschmack zurückbleiben kann. Umgekehrt sorgen Säure und Zucker dafür, dass die Samen fest bleiben. Für Bohnen in Tomatensauce sollte man die Bohnen daher in Wasser weich kochen und erst am Schluss zu den Tomaten geben.

Der Unterschied zum Getreide besteht nicht nur im Eiweißgehalt, sondern auch in der Zusammensetzung des Stärkeanteils. Die Stärke aus Hülsenfrüchten neigt weniger dazu, langkettige Verknüpfungen zu bilden, Teig daraus wird deshalb mürber und, wenn man ihn ausbackt, knuspriger. Es gibt daher kulinarisch hochinteressante Anwendungen, die über das bloße Weichkochen und Wursthineinschneiden weit hinausgehen.

Für drei Beispiele, die nur einen kleinen Teil der Möglichkeiten andeuten, haben wir Rezepte ausprobiert: Chapssal-Ddeok, ein koreanischer Reiskuchen, der mit einer süßen Paste aus roten Bohnen gefüllt wird, die durchaus Ähnlichkeit mit Marzipan hat. Dosa, eine südindische Crêpe, die aus einer fermentierten Mischung von Reis und Linsen gebacken wird, ein wenig wie frisches Sauerteigbrot schmeckt und dabei eine Konsistenz hat, die fast an die Haut von Brathähnchen erinnert. Und Panisse, frittierte Stäbchen aus Kichererbsen, die aussehen wie Pommes, außen knusprig sind, innen aber cremig, und aus der Provençe stammen. In allen drei Fällen handelt es sich um recht freie Interpretationen.

Die Ergebnisse waren jedesmal so überraschend und vor allem so überraschend gut, dass ich jede Gänseleber mit Britzelbrause und jedes Lecithinschäumchen dafür gern beiseiteschieben will.

Text: Vijay Sapre
Fotos: Andrea Thode

aus Effilee #10, Mai/Juni 2010

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Aus Effilee #10, Mai/Jun 2010
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