Seit ich trinken darf, hat mich Wein immer schon mehr interessiert als Bier oder anderer harter Stoff. Vielleicht liegt es daran, dass ich als Kind oft meinen Vater beim Getränkeeinkauf begleitet habe. Bier wanderte schnell in den Einkaufswagen - wahlweise Astra oder Beck’s, was gerade im Angebot war. Vor dem Weinregal wurde immer eine andächtige Pause eingelegt. Sorgfältig wurden Flaschen in die Hand genommen, geprüft, wieder zurückgestellt, eine neue beäugt. Es wurde auch schon mal ein fachkundiger Verkäufer zurate gezogen. Und schon standen zwei gestandene Männer, mit der Hand am Kinn, leise fachsimpelnd vor dem Weinsortiment. Diese besondere Art des Geheimnisaustausches, wie zwei Spione auf der Glieniker Brücke, hat bei mir einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.
Sobald erstes Geld verdient wurde, habe ich meine eigenen Versuche am Weinregal gestartet. Mit unterschiedlichem Erfolg. Und schon damals habe ich mir auch mal eine gute Flasche gegönnt oder schenken lassen. Die habe ich dann auch oft für einen besonderen Anlass aufgehoben.
Seit ich für Effilee arbeite, habe ich meine Leidenschaft für Pinot Noir wiederentdeckt. Jetzt suche ich vor allem Weine von der Côte-d’Or, im Besonderen aus den Gemeinden Meursault und Beaune.
Deswegen zeiht es mich, sobald ich einen neuen Weinladen entdecke, magisch hinein und dann stehe auch ich mit dem Fachpersonal und der Hand am Kinn vor dem Regal wie einst mein Vater. Und fast immer nehme ich eine oder mehrere Flaschen mit. Meist zum Leidwesen meiner Freundin Anette, da der Platz in unserer Dachgeschosswohnung begrenzt ist. Trotzdem lagern dort einige sehr gute Tropfen. Manche Flaschen bleiben liegen, um zu sehen, wie sich die Weine entwickeln, andere warten auf besondere Momente.
Anfang diesen Jahres genossen wir ein verlängertes Wochenende in Amsterdam. Der Samstag war ein ungewöhnlich warmer Frühsommertag. Alles hat geduftet und geleuchtet. Die Stadt zeigte sich von ihrer besten Seite und infizierte ihre Bewohner mit guter Laune. Auch wir fühlten uns beschwingt und angenehm matt durch die nachmittägliche Wärme. Irgendwann meldeten sich die Mägen, und da wir sowieso noch Käse für zu Hause besorgen wollten, steuerten wir ein ebensolches Fachgeschäft an und kauften gleich noch für ein Picknick ein. Was fehlte, war nur noch guter Wein. Nun zahlte sich die magische Anziehungskraft aus, die Weinläden auf mich haben. Wir waren einen Tag zuvor schon einmal in dieser Straße, und ich hatte De Wijnwinkel entdeckt. Eine kleine, aber sehr schöne Auswahl an Burgundern befand sich in seinem Sortiment.
Während Anette den Käse zahlte stand ich längst zehn Läden weiter in der Runstraat 23, siegessicher mit einer halben Flasche Chardonnay 2009 Maison Roche de Bellene an der Kasse. Beim Bezahlen fragte ich nach Trinkgefäßen. Der Verkäufer setzte ein verschmitztes Lächeln auf, öffnete die Flasche und gab mir zwei Plastikbecher. Meine Freundin traf ich, wie verabredet, an der Prinsengracht. Wir setzten uns direkt auf die Kanalmauer und genossen die Sonne und unser Picknick. Der Weiße war gut, aber nichts Besonderes. Da halbe Flaschen viel zu schnell leer sind und Trinken in der prallen Sonne leichtsinnig macht, gab ich kund, dass ich Nachschub besorge. Anette meinte zwar, wir hätten schon genug und würden ohnehin gleich Fischfutter werden, aber ich hatte innerlich schon eine Verabredung mit einer Demi-Bouteille Pinot Noir Maison Dieu 2009. Schnell zurück in den Weinwinkel. Das Grinsen des Verkäufers war jetzt noch breiter. Kein Wort, nur ein Blick und mein nickender Kopf und schon hatte er die zweite Flasche offen.
Zurück an der Gracht füllte ich Daumenbreit Burgunder in meinen Plastikbecher, schwang ihn leicht im Kreis und führte ihn zur Nase. Wie viele tolle Aromen doch in einem Plastikbecher Platz haben können. Was für eine Pracht. Wunderschöner Duft nach frischen Beeren, ganz leicht Kirsche und eine feine Fassnote in einem harmonischen Zusammenspiel. Der erste Schluck offenbarte dann die unverkennbare Herkunft Burgund. Ein schlanker Wein mit betont gut ausgebautem Geschmack nach der eigentlichen Traube, feinem Säurespiel und weichen Tanninen. Kräftig in der Farbe, aber trotzdem nicht verschlossen und mit weicher Textur im Mund, sehr feiner Finesse und schöner Mineralität. Nicolas Potel, der von diesem biologisch angebauten Jahrgang nur knapp 24 000 Flaschen abgefüllt hat, ist ein richtig guter Wein mit viel Potenzial gelungen. Als 2009er absolut trink- und genussfertig, er wird aber auch noch in fünf bis acht Jahren Freude machen.
Und hier hatte ich ihn, meinen besonderen Moment: nach über zehn Jahren immer noch verliebt mit meiner Freundin beim Grachten-Picknick und einen Wein, der richtig Spaß macht. In genau solchen Momenten möchte ich solche Tropfen trinken. Dieses Glück haben wir scheinbar auch ausgestrahlt, wir haben viele nette bis neidvolle Blicke geerntet.
Das Aufstehen war dann in der Tat ein heikler Balanceakt, weil dieser Wein dem Hirn seine 13,5 % nicht vorenthielt und zusammen mit der Sonne viel Schabernack trieb. Trotzdem fand ich erneut den Weg in die Weinhandlung. In der Zwischenzeit hatten der Verkäufer und ich das Gefühl, wir würden uns schon eine Ewigkeit kennen. Kurz vor Ladenschluss erstand ich dann noch zwei Flaschen für zu Hause. Dort liegen sie jetzt, für den nächsten besonderen Moment.
Bezugsquelle