Fergus Henderson sieht aus wie ein englischer Schlachter, groß und rosig. Und dieser Optik wird er gerecht, auf gewisse Weise: Er liebt Tiere. Nicht unbedingt mit Haut und Haaren aber doch von der Schnauze bis zum Schwanz. In seinem Restaurant „St. John“ serviert er was die Biester hergeben - das meiste davon würden andere wegwerfen. Die Vorstellung, sich beim Essen auf ein paar Quadratzentimeter Fleisch nahe der Knochen zu beschränken, schien ihm schon immer albern. „Da werden all die wunderbaren, vorzüglichen Teile weggeschmissen während wir nur das Filet essen.“ Für ihn eine ganz klare Beleidigung des Tieres.
Eigentlich ist Fergus Henderson gar kein Koch. Studiert hat er Architektur, merkte aber bald, dass seine Liebe zum Fleischlichen größer war. Er serviert Ochsenzunge mit Kutteln, gefüllte Lammherzen, einen Salat aus Mark mit Petersilie und Kapern oder Ochsenherz mit Roter Bete und eingelegten Walnüsse. Als er mal Eichhörnchen auf den Speiseplan brachte, bescherte ihm das größere Aufmerksamkeit und Unverständnis. Zu ungewöhnlich, zu niedlich. Der Mensch hat halt eine größere Scheu, niedliche Tiere zu essen. Egal wie wohlschmeckend sie sein mögen. Ansonsten wurde das „St. John“ aber von Beginn an in der Presse gelobt. Selbst für ihre Bösartigkeit bekannte Kritiker zollten Respekt und Anerkennung.
Bereits während seines Architekturstudiums fing Fergus Henderson an, mit einem Freund zu kochen. In einem Restaurant in Covent Garden servierten die beiden ländliche Küche, an Tagen, an denen der Laden für den Publikumsverkehr eigentlich geschlossen war. Etwa 50 Mann saßen an einem großen Tisch und fühlten sich offensichtlich wohl. Der Erfolg der Veranstaltungen machte ihm klar, dass es Befriedigenderes als Architektur gibt und ermöglichte ihm auch seine nächsten Schritte als Koch. Er kochte in verschiedenen Londoner Lokalitäten, bis er mit einem Geschäftspartner 1994 das „St. John“ eröffnete. Von Anfang an war das Konzept, das ganze Tier zu verwerten. Da die Restauranteröffnung jedoch zeitlich mit dem Höhepunkt der BSE-Angst zusammenfiel, verschwanden Gerichte wie Schafshirn recht schnell wieder von der Karte.
Ein Tier, davon ist Henderson überzeugt, muss ein gutes Leben haben um später gut zu schmecken: „Tiere die in der Freiheit leben haben ein anderes Temperament und das schlägt sich auch in ihrem Muskelfleisch nieder.“
Neben dem Geschmack von Schweinenasen, Ochsenschwänzen und Nieren mag er auch die Idee, genau diese Teile auf den Tisch zu bringen, vor denen sich die Meisten heutzutage ekeln. Weil sie sie nicht kennen und weil das Erscheinungsbild der heute verbreiteten Küchenästhetik nicht unbedingt entspricht.
Das Naserümpfen der Uneingeweihten ist er gewohnt. Umso mehr freut er sich, wenn er merkt, wie deren anfängliche Skepsis langsam sichtlichem Vergnügen weicht. Denn seine Gerichte sind nicht als Herausforderungen konzipiert, sie sollen Genuss bereiten und Vorurteile abbauen. Henderson will seine Gäste nicht vor den Kopf stoßen, er will sie sanft überzeugen. Nicht nur in seinem Restaurant, sondern auch mit dem Buch „Nose to Tail Eating“. Und offenbar stößt er mit seiner Überzeugungsarbeit auf ein zunehmend aufgeschlossenes Interesse: Ein zweites Restaurant, „St. John Bread & Wine“, wurde bereits eröffnet, über ein drittes wird nachgedacht.
Kontakt
St. JOHN Bar & Restaurant Smithfield
26 St John Street
London
EC1M 4AY
Fax +44/20/7251 4090
Gibt es sein Kochbuch „Nose to tail…“, auch in deutscher Übersetzung ?