Ching Lim und ihr Mann Detlev empfangen uns im achten Stock des Treppenhauses. Wir sind kurzatmig und dankbar, sie wohnen in einem Laubenganghaus, und da wir, der Fotograf und ich, uns mit eher unterdurchschnittlicher Bergsteigererfahrung auf diese Höhe vorgearbeitet haben, fehlt nun die Luft für eine Suchexpedition nach dem richtigen Eingang. Die Gattners ziehen nächste Woche um und der Wohnungsinhalt ist zum Teil schon verpackt.
In der Küche macht Ching Lim sich sofort daran, das Gemüse auszupacken und Detlev mahnt uns, auf unsere Köpfe aufzupassen. Über dem Esstisch ragt ein Küchenschrank in den Raum. »Früher habe ich hier alleine gelebt. Aber seit Ching Lim und Samuel da sind, muss jeder Quadratmeter genutzt werden. An diesem Schrank hat sich jeder schon mal den Kopf gestoßen.« Immerhin sind die Ecken mit kleinen Kunststoffbollern entschärft, damit man sich den Schrank nicht bis zur Amygdala in den Kopf rammt. Ich mache mir eine Notiz (›Kunststoffboller‹) um auch in meiner Wohnung die Todesfalle Hängeschrank ihrer Gefährlichkeit zu berauben. Ich mache mir eine zweite Notiz für ein mögliches Dokudrama bei RTL (›Todesfalle Hängeschrank‹).
Ching Lim ist als Teil der chinesischen Minderheit in Malaysia aufgewachsen. Und wie fast alle Chinesen dort hat sie auch einen weiteren, westlichen, Namen. Auch in Malaysia haben viele Schwierigkeiten mit der Aussprache chinesischer Namen. Ching Lims zweiter Name ist Wendy. Detlev wird von manchen malaysischen Bekannten der Einfachheit halber ›Peter‹ genannt. »Ich koche zweimal Reis. Einmal Faulenzerreis im Reiskocher und einmal im ›Clay Pot‹. So wird dieses Essen in Malaysia in Imbissen zubereitet. Jedem Kunden sein Tontopf.«
Auf der Arbeitsplatte steht ein Kanister mit Sojasauce. »Das ist praktischer. Wir benutzen so viel davon. Dieser Kanister kostet drei Euro und etwas. Eine Flasche kostet die Hälfte, es ist aber auch nur ein Zehntel drin.« Ching Lim arbeitet bei einem asiatischen Importeur und Großhändler. Aber trotzdem ist es nicht immer leicht, an alle Zutaten zu kommen, wenn sie malaysisch kochen möchte. »Malayische Küche unterscheidet sich von anderen asiatischen Küchen. Und da gibt es schon manche Sachen, die man hier nicht bekommt. In indonesischen Läden gibt es manchmal Sachen dafür, die Küche ist etwas ähnlich. Aber die Zutaten für den Chicken Rice, die bekommt man alle im Supermarkt.« Sie schneidet eine Knolle Ingwer in dünne Streifen. »Ich mag Ingwer. In China macht man für Mütter von Neugeborenen Ingwersuppe mit Essig und Schweinebein, damit sie wieder zu Kräften kommen.«
Sie schneidet Hühnerbrust in kleine Stücke. »Malaysia ist ein wenig wie Singapur«, erzählt sie. Singapur ist mir vor allem durch drakonische Strafen für Kaugummiausspucken und nicht als Hort überbordender Lebensfreude bekannt. Ich frage vorsichtig nach, ob es dort auch so, nun ja, streng zugeht. »Ich sage Jein«, sagt Ching Lim, lächelt und schneidet weiter Huhn. Detlev greift erklärend ein. »In Malaysia bekommt man nicht gleich die Prügelstrafe, wenn man auf die Straße ascht. Die Empfindlichkeiten sind eher religiös. Die Malaysier sind Muslime und stellen selbst nur etwa die Hälfte der Bevölkerung im eigenen Land. Alles freundliche und offene Menschen, aber doch sehr darauf bedacht, ihre Kultur gegenüber jener der anderen Bewohner durchzusetzen. Das ist auch wesentlich strenger geworden in den letzten Jahren.« Detlev kommt von seinem Computer zu uns rüber. »Deshalb ist Wendy letztlich auch nach Deutschland gekommen. Wir wollten nicht, dass Samuel irgendwann als Teil der chinesischen Minderheit vielleicht Probleme bekommt.«
Ching Lim gibt Ingwer und Huhn in eine Schale und füllt Sojasauce hinzu. Erst dunkle, dann helle. Dann Austernsauce und rührt alles mit zwei Essstäbchen gut durch. »Man kann zusätzlich auch Sesamöl mit an die Marinade mischen. Am Besten lässt man es einen halben Tag stehen, wir machen das heute kürzer, das geht auch. Schmeckt aber besser, wenn man es über Nacht ziehen lässt.« Sie füllt Reis aus einem großen Eimer in eine Schüssel und wäscht ihn. Den Reis im Clay Pot füllt sie mit Wasser auf, bis es etwa zwei Fingerbreit über dem Reis steht. Dann füllt sie noch mal eine Menge Reis in den Kocher. »Damit wir auch genug zu essen haben.« Der Kocher kann jetzt sich selbst überlassen werden, der Clay Pot wird auf hohe Temperatur gestellt, bis das Wasser kocht. Dann gibt Ching Lim Hühnerfleisch und Ingwer hinzu, stellt die Temperatur herunter und lässt es gar ziehen.
In der Zwischenzeit wäscht sie Pak Choi und zerlegt ihn in seine Bestandteile. Aus dem Clay Pot dampft und duftet es. Sie nimmt ihn vom Herd und holt ein Ei aus dem Kühlschrank. Sie hält es hoch und lächelt: »Kann man machen. Muss man aber nicht.« Sie macht. Sie schlägt das Ei am Topf auf und lässt es über Reis, Huhn und Ingwer gleiten, wo es langsam angart. Nach ein paar Minuten, das Ei ist halb fest, rührt sie den Topfinhalt mit Stäbchen kurz durch. »So: fertig! Geht ganz schnell.« Sie stellt noch etwas Chilisauce in einem Schälchen auf den Tisch, füllt uns auf und garniert jeden Teller mit Schnittlauch. Wir essen, während Ching Lim den Pak Choi blanchiert. Der nur sanft gegarte Ingwer schmeckt frisch, zitronig und scharf. Das Huhn fühlt sich in der Marinadenmischung offenkundig wohl. »Reis essen wir normalerweise mit Löffeln«, sagt Ching Lim, und wir finden das sehr vernünftig.
Löffel sei Dank ist der erste Teller schnell leer und Ching Lim füllt uns eine zweite Portion auf. Diesmal vom Faulenzerreis aus dem Kocher. Der eigentlich genauso lecker ist. Aber zugegeben, der Clay Pot ist schon cooler. Dafür ist jetzt der Beilagen-Pak-Choi fertig und liegt in Austernsauce mit auf dem Tisch. Ich bin begeistert, wie schnell man ein so leckeres und ungewöhnliches Gericht zubereiten kann. »Meine Frau macht das manchmal noch spätabends, wenn ich schon längst mein Abendbrot hatte«, erzählt Detlev. »Das Schöne ist: Es ist schnell, es ist einfach, und alle Zutaten bekommt man ganz normal im Supermarkt. Und man kann es natürlich auch in einem ganz normalen Topf zubereiten«, sagt Ching Lim, und ich mache eine dritte Notiz: ›schnelles, leckeres Abendessen‹.
Aus Effilee #20, Frühling 2012