Drei Cheeseburger, bitte!

Das Noma wurde in London zum dritten Mal in Folge zum weltbesten Restaurant gekürt. Wir waren dabei. Der Tag begann mit Eggs and Bacon und endete im Groucho Club

Rechteinhaber: Kristian Ditlev, Lizenzvereinbarung: Nutzung nur auf Effilee
René Redzepi ist mit seinem Restaurant Noma zum drittel Mal bestes Restaurant der Welt gewählt wurden.

Es ist genau 15.02 Uhr. Wir haben Montag, den 30. April 2012.
Heute wird der erste Preis im San Pellegrino World’s 50 Best Restaurants verliehen. Ich bin schon total hibbelig. Genau wie die Frau neben mir. Ich warte in der kleinen Wohnung meiner Kollegin im West Heath Drive im Stadtteil Golders Green. Sie schreibt kulinarische Artikel für die dänische Tageszeitung Politiken. Wir sind gerade mit einem späten Frühstück fertig. Eier, Bacon, Toast. Nichts Besonderes. Und schon gar keine New Nordic Cuisine, obwohl wir beide Dänen sind.
»Aber können Sie mir das nicht bitte faxen? Nein? Nun, ich … Hallo?«
Die Verbindung ist abgerissen. Die dänische Journalistin schreit durchs ganze Wohnzimmer. Einen echten Schrei. Die Stimmung ist enorm angespannt. In etwa so, als ob man über eine Wahl berichtet. Oder als ob man selber Pasta macht.
Wir warten noch auf die Sperrfrist. Als Journalist muss man seinen Artikel bis zur Deadline abgegeben haben. Aber da das Drucken an sich eine sehr langwierige Sache ist, muss man manchmal einige Nachrichten im Voraus bekommen. Wie zum Beispiel den genauen Wortlaut eines neuen Gesetzes. Oder wer den Oscar bekommt. Oder wer den ersten Preis im San Pellegrino World’s 50 Best Restaurants gewinnt.

Das Telefon klingelt. Die Frau am anderen Ende der Leitung sagt, dass sie uns das Sperrfristformular e-mailen wird. Wir bekommen einen langen Brief mit Rechtsbelehrungen. Meine Kollegin druckt ihn aus und füllt alle möglichen Felder aus. Name, Adresse, Medienunternehmen … Presseausweisnummer … Telefonnummer … dann faxt sie das Formular zurück. Zwei Minuten später klingelt das Telefon wieder. Wir bekommen das Ergebnis – in etwa drei Stunden.
Im Taxi reden wir über einige unserer kulinarischen Erfahrungen. Ich versuche ihr zu erklären, wie es ist, im Noma zu essen. Ich war dort schon ein paar Mal. Und ich habe es sehr genossen. Aber ich bin nicht einer von denen, die 100%ig überzeugt sind. Irgendwie lässt mich deren ganze Herangehensweise manchmal zweifeln, ob Noma überhaupt ein Restaurant ist. Vielleicht sollte man es eher als Labor bezeichnen. Oder als Forschungszentrum. Einmal habe ich mich mit dem Herausgeber eines internationalen kulinarischen Magazins unterhalten, und der sagte mir im Vertrauen, dass er nach einem Mahl in einem Restaurant mit drei Michelin-Sternen anschließend immer einen Burger essen geht. Ich habe ein anderes Problem. Ich finde, dass die Ästhetik irgendwie abhanden gekommen ist. Als ob es einfach keinen guten Geschmack mehr gäbe. Nur Geschmack – an sich. Das wurde mir klar, als ich irgendwo gelesen habe, dass der Chefkoch René Redzepi einen Besuch bei Noma mit einem Kinobesuch vergleicht.

»Du musst während der Show vielleicht manchmal die Augen zumachen, aber das ist alles Teil der Gesamterfahrung.«
Ich finde es merkwürdig, dass mit Genuss auch Schmerz einhergehen können soll. Ich weiß zwar, dass einige auf Sadomasochismus im Schlafzimmer stehen, aber auf dem Teller?!
Unsere Diskussion im schwarzen Londoner Taxi wird langsam hitzig. Ich bin der Meinung, dass Kiefernnadeln und lebendige Tiere – egal wie klein – nicht als Essen angesehen werden sollten. Noma hat nämlich kürzlich einem Restaurantkritiker eine lebende Ameise serviert. Als sich unser Gespräch einem Essen in der Hamburger Küchenwerkstatt zuwendet, kommen wir wieder auf eine Wellenlänge. Ich hatte dort eine Jakobsmuschel, deren Muschelschale vor dem Backen in Teig gehüllt worden war, sodass das Fleisch im eigenen Saft garen konnte. Vielleicht fühlen sich die vielen Gastronomen des Wettbewerbs gerade genauso?

Als wir an der Londoner Guildhall, dem Preisverleihungsort, ankommen, wuseln schon viele Journalisten aufgeregt umher und berichten über Facebook, Twitter und andere Medien, wo sie sich gerade befinden. Alle Handys, Smartphones und so weiter laufen auf Hochtouren. Ich bin zehn Minuten lang damit beschäftigt, die Damen am Tresen davon zu überzeugen, dass ich wirklich eine Einladung bekommen hatte.
»Ich bin Däne. Ich schreibe für das Magazin ›Effilee‹.«
Was ich nicht bedacht hatte war, dass man natürlich für deutsch gehalten wird, wenn man für ein deutsches Magazin schreibt. Also, da hier anscheinend niemand weiß, dass ich Däne bin, entscheide ich mich kurzerhand, etwas Undercover-Recherche zu betreiben. Vielleicht äußert sich mir gegenüber dann irgendjemand etwas kritischer über Noma.

In der Menge der Journalisten haben einige die Sperrfrist unterzeichnet, andere nicht. Das Gequatsche, die Gerüchte und der Klatsch kennen keine Grenzen.
»Echt? Wir haben zwei Restaurants auf der Liste?«
Einige meiner Kollegen notieren sogar diese wilden Vermutungen.
Plötzlich kommt ein kleiner Mann mit beginnender Glatze, schickem Anzug und einem riesigen orangenen Schal auf den Vorplatz, wo wir alle darauf warten, hereingelassen zu werden. Schlagartig zieht er alle Aufmerksamkeit auf sich. Alle Journalisten – Vertreter der Printmedien, Fotografen, Radioreporter, sogar ganze Fernsehteams – stürzen sich auf ihn, wie billiges Besteck, das sich über ein teures Steak hermacht. Er ist kein geringerer als Ferran Adrià. Wie sieht die Zukunft des Kochens aus? Wer ist heute der beste Koch? Wird Spanien jemals wieder gewinnen?
Der arme Mann hat kaum eine Chance, aber er beantwortet freundlich jede einzelne Frage, egal wie unverschämt, unangemessen oder naiv.

Später – nach einer Menge Recherche – findet ein Kollege heraus, warum der spanische Koch diesen absurden, überdimensionalen, orangefarbenen Schal trägt.
»Das ist alles Teil der Organisation«, sagt er. »Die Saaldiener tragen lila Schals. Die Köche orangene. Damit wir sie unterscheiden können.«

Trenner

Andere berühmte Köche treffen in derselben Verkleidung ein. Alle paar Minuten wird ein neuer Kandidat umringt. Wenn es nicht gerade ein Jurymitglied der britischen Kochsendung MasterChef ist, ist es ein aufstrebendes Nachwuchstalent. Aber manchmal sind es echte Superstars der internationalen Gastronomieszene. Zum Beispiel der Mann mit Kreidestreifenanzug und riesiger Brille: Fergus Henderson ist der Inhaber des St. John Restaurants in London. Meiner Meinung nach eines des besten Restaurants der Welt. Nach San Pellegrinos Meinung, schafft er es nicht einmal mehr auf die Liste.
Als ich endlich in der Londoner Guildhall bin, laufe ich schnell nach vorn und sehe mir an, wer auf den besten Plätzen sitzt. Und die Gerüchte stimmten. An sehr prominenter Stelle – Reihe E, Platz 3 – hat Rasmus Kofoed vom Restaurant Geranium in Kopenhagen eine Reservierung. Also könnte er tatsächlich auf der Liste sein, wie einige meiner Kollegen bereits vermutet hatten. Etwas weiter hinten – Reihe I, Platz 10 – entdecke ich die Reservierung für René Redzepi.
Um 18.57 Uhr geht die Sperrfrist-Liste per E-Mail raus. Ein iPhone-Besitzer hat sie bekommen und schreit verzückt auf. Ein kurzer Blick, und die Ergebnisse werden an die dänischen Kollegen weitergegeben.
»Heston ist dabei, ja.«
»Wo?«
Ein Journalist mit Block und Stift wirft einen Blick auf das iPhone des Kollegen.
»Und … JA! Geranium!«
»Und Relæ? Was ist mit Relæ?«
»Relæ ist nicht unter den Top 50. Nur auf Platz 75.«
Relæ ist eins von Nomas Tochter-Restaurants. Denn, wenn du erst einmal Koch bei Noma warst, kannst du ganz leicht dein eigenes Restaurant in Kopenhagen aufmachen. Christian Puglisi ist so ein Koch. Und er ist einer der besten – sagt man zumindest.
Um 19.19 Uhr entdeckt einer das Noma-Team.
»Der Geschirrspüler ist da! Der Geschirrspüler ist da!«
Gemeint ist Ali, der bei Noma Geschirr spült, und der das erste Mal, als Noma gewann, kein Visum nach Großbritannien bekommen konnte, da er aus Gambia ist. Aus Kritik am Immigrationssystem hatte damals das ganze Team
T-Shirts getragen, auf denen sie das Gesicht Alis hatten drucken lassen.
Alle belagern nun die Noma-drengene – die Noma-Jungs, wie die dänische Presse sie scherzhaft nennt – um herauszufinden, ob sie schon etwas wissen. Das Team beteuert, noch völlig im Dunkeln zu stehen.
Im großen Präsentationssaal der Guildhall bekomme ich nur noch ganz hinten einen Platz – es sind einfach zu viele Menschen hier, und ich bin, zugegeben, auch etwas zu spät gekommen, da ich im Raum nebenan noch unbedingt ein paar bedrohte Tierarten probieren musste. Ich hatte Schwein, das streng genommen nicht dazu gehört.
Mein Sitzplatz befindet sich leider unter einer Büste von Lord Nelson. Unter seiner stolzen Visage stehen drei in Stein gemeißelte Wörter.

NILE
COPENHAGEN
TRAFALGAR

Das waren seine großen Schlachten. Die meisten Leute im Raum wissen nicht genau, wer die heutige Schlacht gewinnen wird. Aber ich weiß, dass es in Fünen, wo ich früher mal ein Sommerhaus hatte, ein Exportbier gibt, das Prins Kristian heißt. Es ist nach jenem Schiff benannt, welches das von Lord Nelson geschlagen hat.
Die Zeremonie hat gerade angefangen, da wird auch schon René Redzepi auf einem großen Bildschirm gezeigt. Er wurde im Noma gefilmt, wo er erzählt, wie es war, als sein Restaurant das erste Mal gewonnen hat.
»Wir haben 40 Sitzplätze in unserem Restaurant, und an den meisten Tagen waren wir ausgebucht. Letzten Sonnabend hatten wir 1204 Namen auf unserer Warteliste«, lacht Redzepi.
Danach warten alle nur noch. Nun macht schon! Wen interessiert schon Asiens bestes Restaurant? Oder die weltbeste Chefköchin?
»Heute Abend haben wir Tausende Zuschauer – nackt – online. Das gibt unserem Event sicher eine gewisse Spritzigkeit.«
Der britische Fernsehmoderator Mark Durden-Smith kommt mit traditionell englischem Humor daher. Und vergisst dabei nicht, seinen Arbeitgeber, die Mineralwassermarke – die sich bei genauerer Nachforschung als Nestlé-Produkt entpuppt – dezent zu erwähnen. Aber er ist ja auch hier, um uns zu unterhalten. Und das tut er.
»Lehnt euch zurück. Entspannt. Döst ein wenig, wenn euch danach ist.«
Den Raum erfüllt ein ständiges Tuscheln, als er die Liste durchgeht. Wird das Waku Ghin aus Singapur aufsteigen? Mit Nummer 39 erreicht es eine gute Platzierung. Nummer 35 ist das Astrud Y Gastón – ein Vertreter der New Andes Cuisine unter der Leitung von Gastón Acurio. Das Fäviken erreicht Platz 34. Vielleicht kann es ja schon 2013 gewinnen? Ich habe neulich gehört, dass der Chefkoch dort rohes Rinderherz serviert und die Knochen am Tisch brechen lässt, sodass seine Gäste das Mark essen können.
Endlich wird der Sieger verkündet. Es ist das Noma. Zum dritten Mal. Kaum ist es ausgesprochen, machen sich meine Kollegen schon auf in den Keller. Sie haben es schon seit mehreren Stunden gewusst. Und sie haben jetzt wichtigere Dinge zu tun.
Als die Fotografen über das Noma-Team – angeführt von Ali in einem billigen Anzug – herfallen, streben viele Menschen schon dem Ausgang zu.
»Die servieren unten Foie gras im Schokoladenmantel! Komm schon!«
»Echt?«
Das kann ich mir kaum vorstellen. Aber der dänische Kollege hat recht.
»Ja. Das ist das kulinarische Gegengift zum Nationalgericht Schottlands, dem frittierten Mars-Riegel. Fett in Fett in Fett. Aber hier im guten Sinne!«, ruft er mir zu.
Und er muss es wissen. Er hat einen dänischen Reiseführer über Schottland geschrieben.
Ich mache mich gerade über einen Mini-Käsetoast her, als alle Nomas erneuten Sieg diskutieren. Einige machen schlechte Die-Vikinger-kommen-Witze. Aber die meisten sind, wenn auch widerstrebend, ein bisschen stolz. Um uns herum schlürfen alle Veuve-Cliquot-Champagner. Die Stimmung wird ausgelassener. Und die in Schokolade gehüllten, salzigen Karamellbonbons mit Echtgold verschwinden in Rekordzeit.
Als wir wieder draußen sind, merken wir, dass wir alle ganz schön hungrig sind.
»Wir haben eigentlich fast nichts gegessen, oder?«
Alle Restaurants sind bereits zu. Also fahren wir in einen privaten Club, den Groucho Club. Die Mitgliedschaft kostet ein Vermögen. Aber die Küche hat noch geöffnet. Auch für hungrige Food-Journalisten, die gerade gesehen haben, wie das beste Restaurant der Welt gekürt wurde. Und nach so einem Erlebnis gibt es eigentlich nur eins, was einen wieder zurück in die Wirklichkeit holt.
»Drei Cheeseburger, bitte.«

Text & Fotos: Kristian Ditlev Jensen

The World’s 50 Best Restaurants Award

S. Pellegrino und Aqua Panna sind die Initiatoren. Für viele Experten ist die Preisverleihung ein Höhepunkt im kulinarischen Kalender.

  1. Noma, Dänemark
  2. El Celler de Can Roca, Spanien
  3. Mugaritz, Spanien
  4. D.O.M. Brasilien
  5. Osteria Francescana, Italien
  6. Per Se, USA
  7. Alinea, USA
  8. Arzak, Spanien
  9. Dinner by Heston Blumenthal, England
  10. Eleven Madison Park
  11. Steirereck, Österreich
  12. L’Atelier Saint-Germain de Joël Robuchon, Frankreich
  13. The Fat Duck, England
  14. The Ledbury, England
  15. Le Chateaubriand, Frankreich
  16. L’Arpège, Frankreich
  17. Pierre Gagnaire, Frankreich
  18. L‘Astrance, Frankreich
  19. Le Bernardin, USA
  20. Frantzen/Lindeberg, Schweden
  21. Oud Sluis, Holland
  22. Aqua, Deutschland
  23. Vendôme, Deutschland
  24. Mirazur, Frankreich
  25. Daniel, USA

Die Plätze 26-50 finden Sie im Internet unter www.theworlds50best.com

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Aus Effilee #22, Herbst 2012
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