Die Foie gras des Meeres

Bei den meisten Tieren gehört die Leber zu den begehrtesten Teilen. Wenn es sich dabei um eine Säugetier oder einen Vogel handelt. Aber auch Fische haben Lebern, die landen allerdings extrem selten auf dem Teller. Warum eigentlich?

Auf dem beschaulichen südwestfranzösischen Sonntagsmarkt im Nachbardorf steht Pol Grobois, unser sehr guter Fischhändler. Gelegentlich hat er etwas Besonderes oder Seltenes anzubieten. Und so sah ich dann bei ihm neben den anderen Fischen gelbbräunliche, unregelmäßig geformte Fladen liegen, jeder ungefähr siebenhundertfünfzig bis tausend Gramm wiegend und leicht fettig glänzend. Das mussten Lebern des Seeteufels sein – dieses festfleischigen Knorpelfischs mit dem teuflisch großen Kopf. Und so war es: Unser Mann empfahl sie sehr und schlug eine würzige Sauce mit Curry oder Tomaten und Knoblauch oder ein etwas süßliches Chutney vor. Er verglich Konsistenz und Delikatesse tatsächlich mit Stopfleber. Braten sollten wir das nicht wie Kalbsleber, also innen noch rosa, sondern gut gegart, außen mehr oder weniger stark angebraten. Ein kleines Stück genügte uns fürs Erste, der Kilopreis lag bei neun Euro.

Zu Hause dann erstmal dran riechen, da war Meer und Algen, auch etwas muffiger Tang, aber eigentlich kaum Fischiges. Mit Trauben und Feigen machten wir eine dickliche Marmelade, und dann musste das Stück vor dem Braten in Olivenöl und Butter ein bisschen pariert werden. Leicht gebräunt und etwas fester probierten wir alles zusammen auf einer gerösteten Weißbrotscheibe.

Einige unglückliche Japaner fallen der Leber des Fugu Fisches, weil sie als Rauschmittel gilt.

Es schmeckte nach Meer, altem Tang und Algen, mit Röstaromen, nicht fischig, aber doch … irgendwie dumpf …? Und hatte tatsächlich genau die Konsistenz von fest gebratener Stopfleber, nicht zerfließlich, eher bissfest. Insgesamt ein interessantes Gericht, aber auch eins von denen, wo einem eine kleine Portion vollauf genügt.
Es wundert einen nicht wirklich, dass, abgesehen vom Kaviar, Fischinnereien vor allem in Europa ein eher ungewöhnliches und selten zubereitetes Produkt sind und jeder Feinschmecker dabei sofort an den Fugu-Fisch denkt, diese festfleischige japanische Sashimi-Spezialität, deren giftige Innereien es erforderlich machen, dass Köche eine besondere Ausbildung bekommen, wenn sie ihn zubereiten wollen. Dabei wird die Leber extra ausgesondert ob ihrer Giftigkeit und eben gerade nicht verzehrt. Einige unglückliche Japaner fallen ihr trotzdem immer wieder zum Opfer, weil sie als Rauschmittel gilt. Die moderne giftfreie Aufzucht in Japan entschärft das Risiko dieser Delikatesse. Aber auch im Mittelmeer hat sich – durch den Suezkanal eingewandert – seit 2003 ein Verwandter des japanischen Kugelfischs ausgebreitet, der das verantwortliche Tetrodotoxin gleichermaßen enthält: Der Hasenkopf-Kugelfisch sorgt vor allem beim Verzehr seiner Innereien und Gonaden zuverlässig für ein schweres Koma, das eine längere künstliche Beatmung erfordert, wie Fälle aus der Türkei, dem Libanon und Israel belegen.

Aber auch andere Fischarten können gefährlich werden, wenn man ihre Innereien verzehrt. Traditionell hat man in Nordeuropa vor allem Dorschlebern gegessen, auch heute noch geräuchert in Dosen erhältlich, und die Leber der Aalquappe (auch unter dem Namen Trüsche bekannt). Im Internet werden die Leber des Wallers oder Welses und die vom Lachs gehandelt; Angler braten sich schonmal die Lebern anderer selbstgefangener Fische wie Karpfen, Forelle oder Schellfisch. Auf dem Fischmarkt in Genua war früher die Leber (und das Herz!) des Thunfischs traditionell eine gesuchte Delikatesse, in den Sechzigerjahren ließ sich in ihnen noch nach Jahren radioaktiver Fallout aus Atombombenexperimenten im Pazifik nachweisen. Fischlebern wurden in großem Umfang zur Produktion von Lebertran genutzt, welcher ein wichtiger Lieferant von Vitamin D besonders in der Nachkriegszeit war: auch heute noch wichtig für die Knochen, das Nervensystem und die Immunabwehr. Andere Fischarten speichern große Mengen Vitamin A in der Leber, was 2015 bei einem Fischer in Tokio, der achthundert Gramm Riesenzackenbarschleber gebraten und gegessen hatte, zu einer unangenehmen, aber nicht lebensgefährlichen Vergiftung mit späterer Hautschuppung und komplettem Haarausfall führte. Die Vergiftungserscheinungen wurden verstärkt durch den gleichzeitigen Genuss von Alkohol; viele ähnliche Fälle sind auch nach dem Genuss der Leber der großen Bernsteinmakrele aufgetreten.
In Südostasien (vor allem in Vietnam und China) führt der Verzehr von Gallenblasen bestimmter Fischarten – als eine traditionelle naturheilkundliche Medizin gegen Rheuma und für ein gutes Allgemeinbefinden benutzt – zu schwerem akutem Nierenversagen durch eine Verbindung, die aus den Lebern und Gallenblasen von Karpfen isoliert
werden konnte. Ein gutes Beispiel dafür, dass Naturheilkunde wahrlich nicht ohne Risiken ist.

Der Verzicht auf Innereien jedweder Art, ob vom Fisch oder von Säugetieren, ist eines Gourmets nicht würdig: Alles gehört probiert, aber gewusst wie und wo und in Maßen!

Andere Fische, vor allem Raubfische aus exotischen Weltmeeren, nehmen in ihr Fleisch und in die Leber wiederum von ihren Beutefischen gespeicherte Algengifte auf, von denen das Ciguatoxin mit seinen lang anhaltenden Vergiftungserscheinungen (Erbrechen, Hautjucken, Umkehr des Kalt-Warm-Empfindens, Koma und Tod in schweren Fällen) am berüchtigtsten ist. Jährlich stellen sich in den Unfallambulanzen und bei Tropeninstituten in Deutschland eine Reihe von Patienten mit diesen für sie oft unerklärlichen, aber äußerst unangenehmen Symptomen vor – plötzlich ist die heiße Dusche eiskalt! Die Frage nach den Mahlzeiten der jüngsten Vergangenheit bringt es dann an den Tag, denn meist wurde im Karibikurlaub Barrakuda auf den Grill gelegt. Auch Viktoriabarsche aus dem ostafrikanischen Viktoriasee können hohe Konzentrationen ähnlich gefährlicher Blaualgengifte in ihrem Fleisch und den Innereien enthalten. Gerade in den Lebern der Fische lagern sich aber nicht nur diese natürlichen Gifte, sondern neben Radionukliden auch Schwermetalle, gefährliche Chemikalien wie Dioxine und PCB, Quecksilberverbindungen und Kleinstpartikel des in den Weltmeeren allgegenwärtigen Plastikmülls ab. Es ist gut zu wissen, dass ein Teil dieser Verbindungen durch regelmäßige oder stichprobenartige Kontrollen der Landesgesundheitsämter vor allem in den importierten Nahrungsmitteln nachgewiesen wird und bei Überschreiten der Höchstgrenzen das entsprechende Produkt dem Markt vorübergehend oder dauerhaft entzogen wird – zumindest bei uns.
Das ist nur einer der Gründe dafür, dass der Ratschlag, ganz auf diese exotisch anmutenden Delikatessen zu verzichten, der falsche wäre. Zu vielen Genüssen gehört ein bisschen Risikofreudigkeit – siehe auch die Debatte um den Rohmilchkäse und seine Gefahren. Auch scheinbar harmlose, industriell produzierte Nahrungsmittel können Gefahren bergen, wovon die regelmäßigen Rückrufaktionen in den Supermärkten Zeugnis ablegen. Und der Verzicht auf Innereien jedweder Art, ob vom Fisch oder von Säugetieren, ist eines Gourmets nicht würdig: Alles gehört probiert, aber gewusst wie und wo und in Maßen! Deshalb sollte man Fischlebern vom vertrauten und zuverlässigen Händler beziehen und dabei auf die traditionellerweise verzehrten Arten setzen. Bei selbstgefangenen, unbekannten Fischen im Urlaub, am Mittelmeer und vor allem in den Tropen, ist es besser, die Finger davon lassen – wie auch in der Schwangerschaft. Es sollte auch ein eher seltener Genuss sein angesichts des hohen Gehalts an Vitamin A und der schon erwähnten chemischen und Schwermetallkontaminationen. Eine Reihe von Toxinen, darunter vor allem das bereits genannte Ciguatoxin, ist gegen Erhitzen, Braten oder Kochen resistent. Bei Krankheitssymptomen wie Erbrechen, Sehstörungen, Hautausschlag, Fieber, anhaltend heftigem Durchfall oder Kreislaufstörungen nach der Mahlzeit oder auch in den Folgetagen (!) ist es wichtig, behandelnde Ärzte auf den vorangegangenen Konsum dieser Delikatesse aufmerksam zu machen. In den meisten Fällen dürfte eine kurze Behandlung der akuten Symptome völlig ausreichend sein und auch die unangenehme Ciguateravergiftung klingt irgendwann von alleine ab.

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Aus Effilee #40, Frühjahr 2017
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