Das Braukastenprinzip

Was tut ein Mann, der mit der Bierkultur vor seiner Haustür nicht zufrieden ist? Beleidigt den Konsum einstellen? Wir haben einen Herrn besucht, für den diese Lösung nie und nimmer in Frage käme. Jens Hinrichs tritt die Flucht nach vorne an und braut das Bier seiner Träume auf der eigenen Terrasse

Südlich der Elbe bedeutet für viele Hamburger eine angstvolle Reise in ein unbekanntes Land voller Gefahren. Dass der alte Arbeiterstadtteil Wilhelmsburg nur ein paar S-Bahn-Stationen von der Reeperbahn entfernt liegt, ist da immer wieder überraschend. Doch inzwischen sind viele, vor allem jüngere Menschen dort hingezogen, und es scheint sich hier tatsächlich um ein recht gelungenes Beispiel für das zu handeln, was im Allgemeinen als Gentrifizierung bezeichnet wird. Alte und neue Bewohner kommen ganz gut miteinander klar, und eventuelle Vorurteile konnten auf beiden Seiten schnell abgebaut werden. In einer Sackgasse ohne nennenswerten Verkehr reihen sich Niedrigenergiehäuser mit Holzverkleidung. Hier wohnen vorwiegend junge Familien, mein Freund Patrick, den ich kenne, seit unsere Mütter zusammen bei der Schwangerschaftsgymnastik waren, wohnt hier mit Frau und Zwillingen. Schräg gegenüber wohnt Jens Hinrichs. Auch er hat eine Frau und zwei Kinder. Darüber hinaus hat er noch ein Brau-Kit, mit dem er in seiner Freizeit sein eigenes Bier braut. Es ist nach einem laschen Winteranfang plötzlich spürbar kalt geworden in Hamburg. Seit gestern pendeln die Temperaturen um minus zehn Grad. Es liegt Schnee auf den Wilhelmsburger Straßen, der Wind lässt Gesicht und Hände gefrieren und pfeift durch jedes Knopfloch.
Ich bin etwas zu früh da und klingele noch bei Patrick, um Hallo zu sagen und zu sehen, wie Tillmann und Paula in den letzten Wochen gewachsen sind. Wie sich überraschenderweise herausstellt, sind sie jetzt bereits acht Jahre alt, es muss also doch mehr als nur ein paar Wochen sein, dass ich zuletzt hier war. Patrick bringt mich bei Jens vorbei. »Hier im Projekt ist es eh alles ganz entspannt. Eigentlich sind alle Türen immer offen. Sozusagen. Und die Kinder können hier auch herumlaufen, wie sie wollen.«

Was ist das liebste Spielzeug eines Mannes mit Hang zum Vergorenen? Sein Heim-Braukit. Auf dem Foto ist es gegen die winterliche Kälte geschützt

Jens und seine Frau Christin sitzen mit den Kindern Cleo und Jannes in der Küche und essen Mittag. In den Tellern asiatische Nudelsuppe, auf dem Tisch eine große Flasche Fischsauce. Die Kinder werden offenbar früh an den fortgeschrittenen Geschmack gewöhnt. »Immerhin essen sie Gemüse«, meint Patrick, der für seine Kinder die Pflanzenteile immer unter Fleisch verstecken muss. Die Schwiegermutter ist da, um sich ein wenig um Tochter Cleo zu kümmern, die sich gerade eine Lungenentzündung geholt hat. Von der Küche fällt der Blick auf die Terrasse, auf der schon ein großer, in eine gelbe Isomatte eingewickelter Bottich auf einer Gasflamme steht. Zugedeckt ist er mit einem großen braunen Kissen. »Alles zur besseren Isolation, damit die Temperatur möglichst konstant bleibt.« Etwa fünfunddreißig Liter Maische werden in dem Topf erwärmt. Maische ist erstmal nur geschrotetes Malz mit Wasser. Sie verströmt einen sehr charakteristischen Geruch, den jeder kennt, der mal in der Nähe einer Brauerei gewohnt hat. Aber Jens hat seine Nachbarn vorgewarnt.

Seine Heimbrauausrüstung hat Jens zu seinem dreißigsten Geburtstag bekommen, das ist jetzt fast fünf Jahre her. »Ich habe mit Malzextraktbrauen angefangen. Das ist so die schnelle Nummer für den Einstieg. Mehr Spaß macht das mit richtigem Malz.« Die Grundausrüstung kostet etwa vierhundert Euro, die Rohstoffe für vierzig Liter Selbstgebrautes nochmal dreißig Euro. Jens zeigt unter die Treppe, die von der Küche in den Wohnbereich führt. »Da stehen mehrere Säcke mit verschiedenen Malzsorten. Der hier vorne ist für Pilsener, der andere ist Münchener Malz.« Das Malz bestimmt den Charakter des Bieres. Unter anderem. »Die erste grobe Unterscheidung ist zwischen untergärigem Bier und obergärigem. Pils und Märzen sind untergärig. Die gären bei niedrigen Temperaturen und die Hefe sammelt sich unten. Hefeweizen und Ales sind obergärig.«

Hopfen in Pelletform. Die Rohstoffe für vierzig Liter selbstgebrautes Bier kosten zusammen circa dreißig Euro.

Neben dem Braugerät stehen Blumentöpfe auf der Balustrade, die Erde in Eisblöcken eingefroren. Bei der Terrassentür ein Kasten Club-Mate. »Letzte Nacht bin ich von explodierenden Flaschen aufgewacht. Ich hatte mich schon gefragt, ob das die Nacht wohl noch gut geht. Ging nicht.« Er schaut auf die Nachbarterrasse hinüber. »Da sieht es auch nicht besser aus.« Ein paar geplatzte Glasflaschen und PET-Flaschen gefrorenen Mineralwassers. »Ich versuche heute zum ersten Mal ein untergäriges Bier zu brauen. Das geht bei diesen Temperaturen ganz gut. Früher konnte man das nur machen, wenn es draußen kalt war. Das Märzen war das letzte Untergärige, das man vor dem Sommer herstellen konnte. Danach wurde es zu warm.« Patrick geht wieder zur Familie zurück. Es ist Sonntag und die Kinder wachsen offenbar schneller, als man gucken kann, da ist jede Sekunde wertvoll. Jens und ich bleiben dick eingepackt in der Kälte zurück. Jens ist im Norden Schleswig-Holsteins aufgewachsen, in der Nähe von Niebüll, also klassisches Pilsterritorium. »In der Kneipe trinke ich auch immer noch am liebsten Pils. Aber es gibt beim Bier so viele interessante Sachen zu entdecken. Wenn ich die Möglichkeit habe, was auszuprobieren, dann probiere ich es auch.«

Jens schaut auf das Thermometer, das die Temperatur der Maische anzeigt. »Es gibt verschiedene Schritte beim Brauen. Zuerst das Einmaischen von Wasser und Malz bei fünfunddreißig bis vierzig Grad für etwa zehn Minuten. Dann kommt für etwa zehn bis zwanzig Minuten die Eiweißrast bei dreiundfünfzig Grad, da werden unerwünschte Proteine abgebaut. So geht die Temperatur nach und nach rauf. Ganz wichtig ist dann die Maltoserast. Da wird die Stärke zu Zucker abgebaut. Das bestimmt dann letztlich den Alkoholgehalt, da sich der Zucker ja in Alkohol umwandelt.«

Er schöpft etwas Maische in ein Schälchen und tropft Jod darauf. »Zwischendurch muss man ab und zu eine Jodprobe machen, um den Zuckergehalt zu überprüfen. Wie du siehst, bleibt das Jod braun. Wenn es lila würde, wäre zu viel Stärke drin. Jetzt heize ich auf zweiundsiebzig Grad rauf, zur Verzuckerungsrast. Dabei werden Stärkereste in nicht vergärbaren Zucker umgewandelt. Das beeinflusst am Ende die Süße und die Vollmundigkeit.«

Jens holt sein iPad aus der Küche. »Hier, das wollte ich dir mal zeigen: Es gibt etliche Brau-Apps, mit denen kannst du zwischendurch immer wieder überprüfen, ob alles im Lot ist.« Ich schau ihm über die Schulter. »Ich habe mal den Stand eingegeben. Idealerweise sollten die ganzen Flächen grün sein. Diese eine hier ist gelb. Das Bier wird vermutlich etwas dunkler als geplant.« Er bringt den Rechner, auf dessen Display sich durch unseren Atem eine Schicht Reif gebildet hat, schnell wieder in die Küche. Für elektronische Geräte sind die Temperaturen alles andere als ideal. Auch der Akku meiner Kamera entlädt sich schneller, als ich fotografieren kann. Wir wärmen uns für ein paar Minuten in der Küche auf. Wenn das so weitergeht, müssen wir uns alle zu Cleo mit Lungenentzündung ins Zimmer legen und von Jens’ Schwiegermutter gesundpflegen lassen.

Es ist mir auch schon mal passiert, dass nach den sechs Wochen nichts mehr übrig war, weil ich zwischendurch immer den Reifungsfortschritt überprüft habe

»Es gibt beim Brauen die 666-Regel. Sechs Stunden Brauen, sechs Stunden Gären, sechs Wochen lagern. Es ist mir auch schon mal passiert, dass nach den sechs Wochen nichts mehr übrig war, weil ich zwischendurch immer den Reifungsfortschritt überprüft habe.« 666 lässt sich hervorragend merken, der Teufel hat ja schließlich das Bier gemacht, aber sklavisch daran halten sollte man sich auch nicht. Jeder Schritt ist dann fertig, wenn er fertig ist.

»Das hier …«, Jens hält einen sehr großen Kochlöffel hoch, »ist ein Maischepaddel. Damit rührt man zwischendurch um, damit die Temperatur gleichmäßig verteilt ist und nichts ansetzt. Manche bauen sich auch mit Scheibenwischermotoren eine Rührvorrichtung.« Das ist sicher praktischer, nimmt aber auch etwas von der Heimbrauromantik. Wir gehen zurück zum werdenden Bier, Jens paddelt in der Maische und ich versuche mich – erwartet vergeblich – an einer Zigarette zu wärmen. Am Garten vorbeispazierende Nachbarn grüßen Jens. Seine Erwiderung kondensiert zu Eiskristallen in der Luft. »Für den Zeitaufwand, den ich mit dem Brauen habe, könnte ich mir auch zweihundert Kisten Öttinger kaufen.«

»Gleich kommt noch eine Rast, also die Maische bleibt auf einer Temperaturstufe. Aber erstmal noch eine Jodprobe … Oha! – Eingefroren …« Jens schüttelt die Jodflasche. »Ich wusste gar nicht, dass Jod einfrieren kann…« Er geht in die Küche, um das Jod aufzutauen.

»Schau mal, jetzt wird das so orange. Es ist also kaum noch Stärke drin.« Jens kriecht unter den Kübel, um die Flamme zu regulieren. »Jetzt müssen wir noch bei achtundsiebzig Grad abmaischen. Da muss man schon relativ präzise sein. Ab achtzig Grad entstehen Gerbstoffe, die wir nicht haben wollen.«

Er stellt einen Plastikeimer auf den Terrassentisch. Unten in dem Eimer ein Metallsieb unter dem wiederum ein Schlauch herausführt. »Das hier ist der Läutereimer. Damit filtern wir den Treber, also die Spelze vom Malz, heraus, und unten läuft dann die sogenannte Speise raus. Den Treber kann man als Viehfutter verwenden oder zum Brotbacken. Das habe ich aber beides noch nicht gemacht. Ich werde nebenbei mal etwas Wasser anheizen, als Nachguss.«

Der Rest ist Heimarbeit. Hier gießt Jens seine eigene Maische geradezu liebevoll in den eigenen Läutereimer

Der Nachguss ist heißes Wasser, das nachher über die Maische im Läutereimer gegossen wird, um alles herauszuholen, was raus soll. Jens stellt einen kleineren, mit einer kleinen Isomatte umwickelten Topf auf die Gasflamme und einen großen Eimer auf den Boden, in den er den Schlauch des Läutereimers legt. Er wuchtet den riesigen Braubottich neben den Tisch und schöpft in dichte Dampfschwaden gehüllt die Maische in den Läutereimer. In den Geruch der Maische mischt sich eine Note versengten Plastiks. »Mist, jetzt brennt’s!« Die um den kleinen Topf gewickelte Isomatte hat Feuer gefangen. Jens löscht mit etwas Nachgusswasser.

»Man soll immer aufpassen, dass die Maische beim Läutern nicht trockenläuft, also immer genug Flüssigkeit da ist. Deshalb kippe ich jetzt auch langsam den Nachguss rein.«

Nach einer Weile ist im oberen Eimer nur noch Treber, im unteren wunderbar bierfarbene Flüssigkeit. Jens schöpft etwas von der Speise ab. »Die lasse ich jetzt auf etwa zwanzig Grad herunterkühlen, um die Stammwürze zu messen. Daran kann man schon erkennen, wie hoch später der Alkoholgehalt sein wird. Ich nehme an, die Stammwürze wird so bei fünfzehn Prozent liegen.« Bei diesen Außentemperaturen kühlt die Speise recht schnell von den knapp achtzig Grad auf die gewünschten zwanzig herunter. Jens steckt die sogenannte Spindel, einen Glaskolben mit einer Skala, in den Messbehälter mit der Flüssigkeit, die jetzt schon nach Bier aussieht. Eine schöne warme Bernsteinfarbe. »Dreizehn bis vierzehn Prozent. Das wird dann ein Bier mit etwa 5,3 Prozent Alkohol ergeben. Man kann sagen, dass etwa ein Drittel der Stammwürze zu Alkohol vergoren wird.«

»Bier ist ja eigentlich ein ungeheuer nuancenreiches Getränk. Beim Wein hast du Traube, Boden und Lage. Beim Bier gibt es irre viele Möglichkeiten, den Geschmack zu beeinflussen. Hopfen, Hefe, Malzsorten. Man kann auch beim Gären noch Hopfendolden in die Speise geben, dann hat man einen viel fruchtigeren Geschmack.« Das nennt man dann Trockenhopfen, eine Methode, die bei englischen Bitters oder Pale Ales angewendet wird.

In Deutschland gibt es eigentlich keine Bierkultur, sondern nur eine Saufkultur. Was ein bisschen Schade ist

»Das deutsche Reinheitsgebot ist ja nicht nur ein Segen. In anderen Ländern gibt es ja eine Tradition von Frucht- und Kräuterbieren, die zum Teil sehr lecker sind. Es ist natürlich schön, wenn man sicher sein kann, dass keine chemischen Zusatzstoffe im Bier sind. Aber das Reinheitsgebot verbaut auch viele Möglichkeiten.« Das sehe ich ein. Bierbrauen ist wie Kochen eigentlich ein großes Experimentierfeld. Ein Heimlabor zum Ausloten von Geschmacksmöglichkeiten. Man stellt sich im Prinzip laufend die Frage Was passiert eigentlich, wenn ich jetzt das mache? In England, das jahrzehntelang als Heimat des schlechten warmen Bieres galt, gibt es inzwischen viele kleine Brauereien, deren Biere es auch schon in die großen Supermarktketten geschafft haben. Auf den Etiketten wird der Geschmack beschrieben und angegeben, welche Hopfensorten auf welche Weise verwendet wurden. »In Deutschland gibt es eigentlich keine Bierkultur, sondern nur eine Saufkultur. Was ein bisschen Schade ist. Wenn man sieht, dass Öttinger und Warsteiner zu den meistverkauften Bieren gehören, dann ist klar, dass da noch ein ganz weiter Weg vor uns liegt. Deutschland war lange ganz vorne, ist aber seit Jahrhunderten auf einem Stand geblieben. In anderen Ländern tut sich zum Teil deutlich mehr.«

Aber auch hier gibt es Zeichen einer Veränderung zum Besseren. Braufactum zum Beispiel, die Bier von engagierten Kleinstbrauereien vertreiben und ein stetiges Wachstum zu verzeichnen haben. Oder den Craftbeer Store. »Auch bei gutem Bier kann man, wie bei Wein, wahnsinnig viele Geschmacknoten feststellen. Von Schokolade über Grapefruit bis Banane.«

Wir sind jetzt schon einigen Stunden am Brauen und trinken in der Küche einen weiteren Kaffee, um uns aufzuwärmen. Durch das Fenster sehen wir Patrick und Tom, einen weiteren Nachbarn, vor der Terrasse stehen und den Vorgang beobachten. Wir packen uns wieder warm ein und stellen uns zu ihnen. Tom hat selbst Erfahrung mit der Alkoholherstellung: »Ich mache ab und zu Obstweine. Wenn ich Obst bekomme.« Er wendet sich an Jens. »Wo willst du das Bier nachher lagern, bei diesen Temperaturen?« Jens überlegt. »Das ist untergäriges Bier und muss bei so etwa acht Grad lagern. Ich dachte vielleicht in der Garage?« Tom schüttelt den Kopf. »Hab ich grad gemessen. Bei mir ist da minus eins.« Bei acht Grad würde sich natürlich eigentlich ein Kühlschrank anbieten, aber wer hat schon einen Kühlschrank, in dem Platz für einen Vierzig-Liter-Eimer ist? »Vielleicht in der Nähe vom Lüftungsschacht?« Jens denkt weiter nach. Patrick und Tom ziehen sich in die Wärme ihrer Häuser zurück.

»Jetzt kommen wir zum Hopfenkochen. Und in diesem Fall heißt das wirklich kochen, also über hundert Grad. Dafür heize ich die Speise jetzt nochmal auf. Und dann kommt der Hopfen dazu. Ich nehme heute Hallertauer Hopfen, weil das so eine Art Münchener Helles werden soll. Sonst mag ich die amerikanischen Hopfensorten sehr gerne, die sind nuancenreicher und fruchtiger.« Jens schneidet eine Tüte Hallertauer Hopfenpellets auf und gibt den Inhalt in den großen Braukübel, der jetzt mit der Speise gefüllt wieder auf der Flamme steht.

Langsam wird es dunkel auf der Terrasse, die nur noch aus der Küche beleuchtet wird, und es wird immer kälter. Wir halten uns in Bewegung, um nicht festzufrieren. Im Sommer muss das Vergnügen deutlich größer sein. Jens hat offenbar den gleichen Gedanken. »Im Sommer in meiner Datscha mache ich das eher so nebenbei«, sagt er und schaut in den frostigen Wilhelmsburger Abendhimmel. »Da jäte ich dann zwischendurch Unkraut oder mähe den Rasen. Oder gieße Blumen.« Er setzt die pelzige Kapuze seiner Winterjacke auf. »In der Eiseskälte ist das was anderes. Hat aber auch was.« Sagt er ohne große Überzeugungskraft.

Die Speise kocht jetzt und Jens schüttet den Hopfen hinein und rührt. Wir setzen uns wieder in die Küche. »Weil wir ja von unserem Bier heute noch nichts probieren können, habe ich hier eins von einem sogenannten ›Gypsy Brewer‹, das ist ein Brauer ohne Brauerei, der herumreist und in verschiedenen Brauereien braut. Der heißt Mikkel Borg Bjergsø und kommt aus Kopenhagen.« Jens zeigt auf die Terrasse. »Wenn alles fertig gekocht ist, dann wird nochmal gefiltert.« Er holt ein gebogenes Kupferrohr aus der Ecke. »Dazu habe ich mir diese Vorrichtung gebaut. Das ist ein sogenannter Schwanenhals. Damit werden die letzten Feststoffe herausgefiltert.« So einen Schwanenhals kann man auch kaufen, aber Jens ist ein Bastler. »Danach lagere ich das Bier über Nacht in den Eimern, bevor die Hefe dazukommt und es in Flaschen abgefüllt wird. Ich denke, ich werde mal sehen, ob es bei dem Luftschacht geht.«

In diesem Moment klopft Nachbar Tom noch mal an der Tür. »Dachboden!«, sagt er nahtlos, als hätte er die ganze Zeit am Gespräch teilgenommen. »Ich hab da grad gemessen, bei mir auf dem Dachboden sind etwa zehn Grad.« Er winkt und ist auch schon wieder verschwunden. »Dachboden ist eine gute Idee«, meint Jens. »Das werde ich mal ausprobieren.«

Für mich ist es wieder an der Zeit, auf die andere Seite der Elbe zu kommen, bevor die Züge an den Gleisen festfrieren. »Hier passiert heute nichts Wesentliches mehr. Über Nacht lagert das gute Zeug in Eimern, um auf Gärtemperatur herunterzukühlen, und danach wird es auf Flaschen abgefüllt. Die wesentliche Arbeit erledigt dann die Hefe, da gibt es nicht viel zu sehen.« Ich wickle mich in Schal und Mantel ein. »Wie gesagt«, meint Jens zum Abschied, »sechs Wochen dauert das jetzt noch. Und eine Flasche ist auf jeden Fall für dich reserviert.« Und während ich gegen die Kälte anfluchend zum Bahnhof gehe, denke ich darüber nach, was für Biere ich gerne brauen würde. Vielleicht habe ich ein neues Hobby gefunden.

Ein Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Aus Effilee #28, Frühjahr 2014
«
»