Die fette alte Kuh und ihr Liebhaber

Üblicherweise werden Rinder nach zwei bis drei Jahren Mast geschlachtet, zerlegt, verkauft und gegessen. Das Fleisch dieser Tiere interessiert den Basken Imanol Jaca nicht. Er sucht stattdessen in ganz Europa nach Kühen, die dreizehn bis achtzehn Jahre lang bestes Futter bekommen haben und dabei fett geworden sind

das beste Fleisch der Welt
Das beste Fleisch der Welt, meint Imanol Jaca, stammt von dreizehn bis achtzehn Jahren alten Kühen.

Wir sind um 11 Uhr mit Imanol Jaca in seinem Delikatessenladen Don Serapio in San Sebastián verabredet.
Imanol, der vor Kurzem fünfzig geworden ist, hat sich etwas Jungenhaftes bewahrt, er ist drahtig, trägt Jeans und Pullover und halblange, strähnige Haare. Er könnte auch ein später Student sein, Schlachter stellt man sich jedenfalls anders vor. »Ich würde sagen, erstmal probieren wir was«, grinst er und bringt einen Teller mit Ibéricoschinken, eine Flasche Rotwein und Gläser. Er hat auch schon einen Plan für den weiteren Verlauf des Tages: »Im Baskenland essen wir immer spät, aber das ist gut so, denn ich muss erst noch in ein Restaurant, um Käse abzuliefern, dann zeige ich euch den Betrieb und anschließend essen wir von unserem Fleisch.«
Wir stehen also noch ein wenig den echten Kunden im Weg herum, während Imanol über den Laden erzählt, der ihm offensichtlich gleichermaßen Nebensache wie Herzensangelegenheit ist. Delikatessenladen darf man nicht sagen, meint er, für ihn ist es ein Nachbarschaftsladen mit gutem Essen. »Im Baskenland haben wir eben nicht dieses katalanische Konzept der Luxus-Tante-Emma-Läden, deshalb habe ich ein Schild aufgehängt, auf dem einfach nur Lebensmittelgeschäft draufsteht.« Wobei, mit Verlaub, so mancher Delikatessenladen vor Neid erblassen würde, angesichts des Angebots, das von selbsteingelegten Paprika und Artischocken über Schwäbisches Spätzlemehl, allerbeste Essige und Öle bis hin zu den riesigen Fleischstücken reicht, derentwegen wir eigentlich hier sind.
Aber erst will der Käse abgeliefert sein. Wir gehen hinunter in die Tiefgarage hinter dem Haus, in der Ecke steht auf einem Parkplatz Imanols weißer BMW X1, davor ein Enduromotorrad, beides millimetergenau eingeparkt, sodass nicht ein Eckchen über die Markierung auf dem Boden hinausragt. Die baskischen Tiefgaragenmieter sind offensichtlich kein bisschen weniger kleinlich als die in anderen Ländern. Auf dem Weg zum Restaurant, wo wir den Käse abliefern sollen, erzählt Imanol vom Stellenwert des Essens im Baskenland. »Gutes Essen ist für uns kein Luxus«, meint er, »im Gegenteil, schlecht essen und dann auch noch dafür bezahlen, das ist Luxus!
Im Baskenland gibt es ein Sprichwort: Wenn man einen Baum umarmt, und der hat keine Wurzeln, so fällt er um.
Das Wichtigste ist sicherlich die Sprache, aber gleich danach kommt das Essen.«
»Wenn wir etwas zu besprechen haben, gehen wir in ein Restaurant. Denn ein gutes Essen sorgt auch für einen klaren Kopf!« Imanol geht in seinen Erzählungen so auf, dass er schonmal vergisst, weiterzufahren, wenn die Ampel auf Grün springt. Trotzdem erreichen wir bald das Restaurant, was sich als Arzak, eines der drei Drei-Sterne-Restaurants von San Sebastián, entpuppt. Wir werden begrüßt wie alte Freunde, man serviert uns das Amuse-Gueule und ein Glas Champagner und beim Herausgehen treffen wir die folgenschwere Entscheidung, für den Abend noch einen Tisch zu reservieren. Wenn man schonmal da ist.

Auf dem Weg zum Betrieb erklärt Imanol, was es mit den alten Rindern auf sich hat. Der weitaus größte Teil des Fleisches, das wir heutzutage verzehren, kommt aus intensiver Viehhaltung. Wenn aber Tiere ausschließlich zur Fleischerzeugung gehalten werden, kann man sie aus wirtschaftlichen Gründen nur so lange füttern, wie sie wachsen und an Gewicht, vor allem an Muskelmasse, zulegen. Deshalb werden Rinder in der Regel nach zwölf bis vierundzwanzig Monaten geschlachtet. Der gesamte Markt hat sich auf die Verwertung dieser Tiere eingestellt.
Es gibt aber auch Tiere, die bei kleinen Bauern mit auf dem Hof leben, jahrelang auf die Weide gehen und Milch geben. Wenn so ein Tier im Alter von dreizehn bis achtzehn Jahren zum Schlachthof gebracht wird, will es eigentlich keiner mehr haben. Wenn es gesund ist, ist es nämlich auch fett, und Fett kommt beim Verbraucher nicht gut an. Unsere Vorstellung von gutem Fleisch ist natürlich geprägt von dem, was im Handel erhältlich ist, daher weiß gar keiner mehr, wie das gesunde, fette Fleisch älterer Tiere schmeckt.
Im Baskenland gibt es noch die Tradition und das Wissen, wie man mit dem Fleisch dieser Tiere umgeht, sodass es zur Delikatesse wird.
»Früher kamen die Tiere ausschließlich aus Galicien und Portugal, seit der EU können wir auch in anderen europäischen Ländern einkaufen«, beantwortet Jaca die Frage, auf welchen Weiden denn die Tiere stünden. Denn der unbedarfte Gast hat natürlich die Vorstellung von glücklichen Kühen, die eigens auf verborgenen Weiden im Baskenland gehalten werden. So geht es aber nicht, denn ließe man die Kühe nur um des Fleisches willen achtzehn Jahre alt werden, wäre das Fleisch völlig unbezahlbar. Stattdessen hat Imanol ein Netzwerk in ganz Europa aufgebaut: »Wir sind die Einzigen, die für das Fett bezahlen, die sagen, ja, wir wollen genau das!« So gibt es in ganz Europa Personen, die an Txogitxu, Jacas Unternehmen, denken, wenn wieder eine fette alte Kuh angeboten wird. Das geschlachtete Tier wird dann nach San Sebastián gebracht, wo es zerlegt und abgehängt wird.

Imanol
Zubereitung eines Festmahls. Das Txuletón wird direkt scharf auf der Platte scharf angebraten und bleibt im Inneren weitgehend roh.

Der Betrieb liegt am Stadtrand und sieht aus, wie solche Betriebe nunmal aussehen. Funktional, mit großem Tor und Laderampe. Nur den Fußboden in den Büroräumen, der glatt wie eine Eisbahn wird, wenn man nasse Schuhe anhat, würde in Deutschland nie ein Bauprüfer abnehmen. Imanols Warnung kommt gerade noch rechtzeitig, denn als wir kommen, ist gerade Schichtende und überall wird mit Dampfstrahlern saubergemacht. Imanol führt uns ins Kühlhaus, wo die Rinderhälften hängen. »Hier!«, erklärt er, während er auf die Stelle zeigt, wo die Rippen mit der Wirbelsäule verbunden sind, »hier kannst du erkennen, wie alt das Tier war. Dieses hier war wohl etwa dreizehn Jahre alt, da ist der Knorpel noch nicht ganz verknöchert.« Er geht weiter zu einer anderen Rinderhälfte »Dieses hier ist vermutlich achtzehn Jahre alt gewesen, hier ist alles hart. Und seht euch das Fett an!« Tatsächlich ist das Fleisch von einer dicken, cremig-gelblichen Fettschicht überzogen. Imanol reibt mit beiden Händen daran, bis das Fett anfängt zu schwitzen. Er hält erst sich, dann uns die Hände unter die Nase: »Riech mal, dieser Duft!« Seine Augen leuchten. Es riecht buttrig frisch, ganz leicht säuerlich und überhaupt nicht unangenehm.

Imanol
Auf den blauen Zetteln steht, welcher Kunde welches Stück bekommt. Die Zuteilung ist Chefsache.

»So und jetzt«, sagt er, »wollen wir was essen!« Das passt, denken wir, dann sind wir vielleicht um 16 Uhr im Hotel und können noch ein wenig ausruhen, bevor wir später zu Arzak gehen.
Wir fahren zurück in den Laden, wo Imanol ganz beiläufig einen meiner Jugendträume auslebt, nämlich sich einen großen Korb nimmt, aus allen Regalen was rauszieht, nur das Beste versteht sich, und dann mit einem freundlichen Gruß an der Kasse vorbeigeht. Ein paar Türen weiter lässt er uns kurz warten und holt einen Schlüssel, und dann gehen wir kochen.
Zwei Straßen weiter steigen wir in den Keller eines Hauses hinab und finden da einen ganz und gar wunderbaren Ort: die Txoko, in der Imanol Mitglied ist. Die Txoko ist eine kulinarische Gesellschaft, ein Verein kochender Männer. Es gibt einfache Holztische und -stühle, eine komplett ausgestattete Küche mit riesigem Gasherd wie in einem Restaurant. An einem Tisch sitzen ältere Männer um die siebzig, die Gruppe an einem anderen Tisch ist jünger. Beide Gruppen sind schon fertig mit dem Essen, aber es wird noch getrunken und diskutiert. Das Gespräch dreht sich um das Mahl, das man gerade hinter sich hat, einer oder zwei aus der Runde haben gekocht und die anderen haben es sich schmecken lassen. Zur letzten Flasche Wein werden noch Schnäpse ausgeschenkt. Die Stimmung ist entspannt und mit uns Fremden spricht man sogar Englisch.
Imanol packt aus, was er aus dem Laden mitgenommen hat. Neben eingelegten Paprika und Artischocken, Wein und frischem Brot sind es vor allem zwei Txuletóns, die jedes für sich bestimmt zwei Kilo wiegen. Wir sind zu viert. Ganz schüchtern versuchen wir, darauf hinzuweisen, dass wir abends ja noch einen Tisch reserviert haben, aber so richtig kommt die Information nicht an: »Ihr müsst das probieren, unbedingt!«
Das Txuletón gehört zur Tradition der baskischen Sagardotegi, der Cidre-Häuser. Hier wird jedes Jahr zwischen Januar und April der neue Apfelwein direkt aus dem Fass probiert, dazu gibt es das Fleisch der alten Kühe. Die riesigen Stücke werden auf dem Grill oder auf der Plancha sehr scharf angebraten, gewendet, auf der zuerst angebratenen Seite dick mit Salz bestreut und dann auf einer sehr heißen Platte serviert. Besonders wichtig ist, erklärt Imanol, dass das Fleisch rechtzeitig aus der Kühlung genommen wird, da es im Inneren sehr bleu bleibt.
Das erste Stück wird von den Nebentischen mit anerkennendem Nicken bedacht, und die guten Vorsätze, vielleicht nur die Hälfte davon zu essen, verfliegen. Das ist wirklich atemberaubend. Das Fleisch ist, anders als man erwarten möchte, absolut zart, buttrig und von einem feinen, intensiven Rindgeschmack. Von dem Salz mal abgesehen verlangt es wirklich überhaupt nicht nach Gewürzen. Statt Sauce nimmt jeder sich nach Bedarf etwas von dem Fett, das bei der Berührung mit dem Gaumen Glücksgefühle bis in die Zehenspitzen auslöst. Wir essen und Imanols Augen leuchten. Als nur noch ein Stückchen Fleisch auf dem Teller liegt, macht er sich an das zweite Txuletón. Als es fertig ist und er zurückkommt, liegt das Stück immer noch da. »Finish, eh?«, sagt er und legt es der Dolmetscherin auf den Teller. Da müssen wir jetzt wohl durch.
Das Fleisch stammt von einem noch älteren Tier, diesmal ist das Fett intensiv gelb und zu dem Buttrigen kommt noch eine nussige Note. Imanol nimmt noch einen Schluck Wein, deutet mit dem Messer auf das Fleisch und sagt: »Das andere war sehr gut, aber dieses hier ist exzeptionell. Ex-zep-tio-nell!«
Dem ist eigentlich wenig hinzuzufügen. Außer vielleicht, dass Imanol uns, als wir fast schon auf dem Weg ins Hotel waren, erklärte, dass auch der Gin Tonic eine große Tradition im Baskenland habe und nirgends so gut serviert würde, was er uns nun unbedingt beweisen müsse. Und dass Elena Arzak, als wir später bei ihr im Restaurant saßen, in flüssigem Deutsch sagte: »Ihr wart bei Imanol, nicht wahr? Wir werden euch zwei Gänge servieren, mehr schafft ihr sowieso nicht. Er ist ein guter Freund, aber ich bin ein bisschen böse mit ihm, weil er wusste, dass ihr noch zu uns kommt.« Die zwei Gänge waren übrigens auch exzeptionell, aber dazu vielleicht ein andermal mehr.

Txogitxu in Deutschland
vinogusta.com
genusshandwerker.de

Text: Vijay Sapre Fotos: Andrea Thode
13 Kommentare

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  1. Wie lange hat es gedauert bis die Leute es endlich begriffen haben! Grasfressende und weide gerechte Haltung ist das einzige und richtige für das Tier und gibt man ihm noch ein wenig Z E I T dann kann man nichts mehr besser haben und essen. Alte oder mittelatere spielt überhaupt keine Rolle. DAS ist das BESTE was es gibt und tschüss mit Wagyu und Proteinbolzen!!
    Wir in der Ziegelhütte wissen das schon lange und verarbeiten nur Nachbarsfleisch!!!
    victor imfeld
    Head chef Gasometer AG Zürich

  2. Schöner Bericht. Wir verarbeiten schon seit einigen Jahren fast ausschließlich Fleisch von älteren Rindern (8 bis 12 Jahre alt) und Schweinen (3 bis 4 Jahre alt). Der Geschmack und die Zartheit sind mit dem herkömmlichen Fleisch einfach nicht zu vergleichen.

Aus Effilee #24, Frühling 2013
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