Das erste Mal … ist nicht zwangsläufig am besten, aber immer besonders. Was auch kulinarisch gilt: Das erste Eintauchen in eine Essenskultur vor Ort bietet so viele Ahas, Ohs und Wows, die sich weder durch YouTube noch durchs Fernsehen ersetzen lassen; ganz wie im richtigen Leben. Kürzlich also: Vietnam, oder zumindest ein kleiner Teil davon. Hoi An an der Ostküste, die Fischsaucen-Insel Phu Quoc ganz im Süden, die Metropole Ho-Chi-Minh-Stadt. Energie und Gelassenheit zugleich, umtriebiger Geschäftssinn und zwischenmenschliche Freundlichkeit. Die Tage (und Nächte) waren erfüllt von den Aromen der Tropen, vom Gehupe der unzähligen Mopeds, den Rufen der mobilen Imbissstände. An jeder Ecke ein neues Geschmacksabenteuer: frischer Zuckerrohrsaft, schwarze Sesammilch, rote Bohnen mit Kokoscreme. Knackigsaure Mangospalten mit Chili und Salz, Seeigel vom Grill mit Chili und Koriander. Alles mehr oder weniger Mögliche also.
Eines allerdings erwartete ich so überhaupt gar nicht, dass ich nicht einmal danach suchte: Käse. Sicher, es gab die lachende rote Kuh, con bo cuoi auf Vietnamesisch. Die Schmelzkäseecken begegneten mir zuverlässig an so gut wie jedem Banh-Mi-Stand, wie die baguetteartigen gefüllten Brötchen ein Relikt der französischen Kolonialzeit. Darüber hinaus stieß ich auf Gouda, Cheddar und Cream Cheese bei Nhu Lan, einer alteingesessenen Bäckerei mit Feinkostladen und Imbiss neben dem Bitexco Tower in Ho-Chi-Minh-Stadts Distrikt 1, besser bekannt als Saigon. Aber die schienen zusammen mit neuseeländischer Butter und Sahne eher für westliche Expats bestimmt und zählen im Heinzelcheese-Universum auch nicht wirklich als Käse. Erst an meinem letzten Tag in Saigon kam ich auf die Idee, Google zu vietnam cheese zu befragen. Wie gesagt, ohne große Erwartungen - wissen wir nicht alle, dass Asiaten keine Milch vertragen?
Google überraschte mich nicht nur mit dem Bericht eines Marktforschungsunternehmens, demzufolge der vietnamesische Markt für Molkereiprodukte deutlich wächst und der Milchverbrauch pro Kopf von einem halben Liter jährlich 1990 auf achtzehn Liter 2013 gestiegen ist. Vietnam, so eine andere Pressemeldung, ist auch das erste Land in Asien, in dem die französische Bel Group, Hersteller der lachenden Kuh, in eigene Produktionsstätten investiert.
Die wahre Überraschung aber fand sich zwischen diesen beiden Einträgen: »Homemade cheese | Pizza 4P’s | Platform of Personal… pizza4ps.com. Our talented craftsman team consisting of 2 Japanese and 20 Vietnamese staffs is in charge of producing the best quality homemade artisan cheeses.«
Handwerkliche Käse aus eigener Herstellung in höchster Qualität? Und ich erfuhr davon erst jetzt, vierundzwanzig Stunden vor dem Rückflug? Nachdem ich beinahe zwei Wochen Zeit gehabt hätte, um den Ursprung dieser Käse zu erkunden - was hatte ich dem großen Käsegott getan, um so rüde abgestraft zu werden? Doch der war von buddhistischer Gelassenheit und sehr pragmatisch eingestellt. Hinter dem Google-Eintrag verbarg sich zwar eine Käserei in Da Lat, dem grünen Hochplateau etwa dreihundert Kilometer nordöstlich von Saigon, also für mich zumindest auf dieser Reise nicht mehr erreichbar. Aber Platform of Personal Pizza for Peace war auch ein Restaurant, kaum zehn Minuten zu Fuß von meinem Hotel entfernt.
Merkwürdiger Name? Ja, aber eine großartige Pizzeria, und der Grund dafür, dass ihr Eigentümer Yosuke Masuko sich mit Käse beschäftigt. Der Mittdreißiger stammt aus Tokio, studierte Soziologie in Australien und kam über seinen Job in der Finanzbranche nach Vietnam. 2011 entdeckte er seine wahre Berufung: Pizza. Er baute einen Steinofen und erkannte schnell, dass zu guter Pizza guter Mozzarella gehört, frischer Mozzarella, also in Vietnam gemacht, nicht aus Italien importiert. Er eignete sich die Technik auf YouTube an, machte zuerst zu Hause Käse und dann in dem inzwischen in einem Hinterhof einer belebten Geschäftsstraße in Saigon eröffneten Restaurant, bis er schließlich die Käserei in Da Lat gründete. Inzwischen produziert das Team dort nicht nur Mozzarella, sondern auch wunderschöne Burrata (beides ließe sich nur noch durch Büffel- statt der verwendeten Kuhmilch in der Qualität steigern) und einen Camembert und beliefert längst auch andere Restaurants.
Ich saß bereits an dem runden Tresen der mit Naturstein, Mosaik und großen Fenstern sehr geschmackvoll eingerichteten Platform, direkt am weiß getünchten Steinofen, und schaute mit großem Vergnügen den jungen Frauen beim Pizzabelegen, -backen und -schneiden zu. So viel Liebe zum Detail und Aufmerksamkeit habe ich dabei selten erlebt. Sie arbeiteten schnell und konzentriert und doch - typisch vietnamesisch - hing kein Hauch von Stress in der duftenden Luft. Peace. Neben teils sehr kreativen Pizzavariationen (Flower Pizza mit Chrysanthemen, Teriyaki Chicken mit Hühnchen, Algen, Shisoblättern, Mayonnaise, Olivenöl und Mozzarella), einigen Pastagerichten und Vorspeisen überraschte mich die Karte mit der besten Weinauswahl meiner Reise - sehr guter Prosecco glasweise und Riesling von Frankland Estate aus der Great Southern Region in Westaustralien … Und: Käse. Siehe oben. Heinzelcheese im siebten Himmel.
Deutlich flacher als sein Namensvetter aus der Normandie, war der Camembert ausgesprochen fein im Geschmack, mit sehr dünner weißer Rinde und im Platform auf den Punkt gereift (er war der einzig mögliche Kandidat, um mich zurückzubegleiten und überstand die lange Reise bis nach Hamburg vor die Kamera ausgesprochen gut - siehe links). Ebenso erstaunlich wie Käse, Pizza und Wein war aber, dass um mich herum in dem gut belegten Restaurant mit seinen etwa siebzig Plätzen vor allem Vietnamesen saßen. So viel zum Thema Asiaten und Käse. Aha. Masukos erklärtes Motto lautet: »Delivering Wow & Happiness. By working on this day in and out, we’re going to bring peace to the world.«
Käse und pizza in saigon
Platform of Personal Pizza for Peace
8/15 Le Thanh Ton Street, Distrikt 1,
Ho-Chi-Minh-Stadt
www.pizza4ps.com